Neil MacGregor zur Queen's Lecture an der TU: „Die Idee der Weltkultur ist in Berlin geboren“
Neil MacGregor im Interview über das Humboldt-Forum und die Queen als britisches Symbol - bevor er am Nachmittag in der TU spricht.
Mr. MacGregor, Sie haben in Hamburg gelebt, Germanistik studiert und sind ein „Deutschland-Fan“. Von diesem Enthusiasmus zeugte vor Kurzem Ihre Ausstellung „Germany – Memories of a Nation“ im Britischen Museum: Es sei die einzige Nation, so stellten Sie heraus, die sich in Denkmälern nicht nur glorifiziert, sondern Monumente ihrer eigenen Schande errichtet, um zu erinnern und zu lernen. Warum war es Zeit, den Briten ein neues Deutschlandbild zu vermitteln?
Nun, 25 Jahre nach dem Mauerfall – ein sehr wichtiger Moment in der deutschen Geschichte – haben wir genügend Distanz, um zu erkennen, dass es ein neues Deutschland gibt. Ein Land, das nie zuvor existiert hat, nicht in Bezug auf seine Regierungsform und nicht in diesen Grenzen. Letzteres ist für die Briten besonders bemerkenswert, denn die britischen Grenzen haben sich seit Jahrhunderten nur wenig verschoben. Viele Briten assoziieren mit Deutschland immer noch vor allem den Nationalsozialismus. Und Preußen halten sie für den wichtigsten deutschen Staat der Geschichte. Das Ende der deutschen Teilung hatte außerdem Auswirkungen auf Europa, in dem Deutschland nicht mehr am Rand liegt, sondern zum zentralen Element geworden ist. Nur mit einem veränderten Blick können wir die Frage beantworten: Was ist passiert, dass mit der deutschen Wiedervereinigung ein völlig neues Europa entstanden ist?
Sie lassen Objekte Geschichten und Geschichte erzählen, bringen alte Symbole zum Sprechen: die Kuckucksuhr, den VW Käfer oder das erste Kulissenmodell für Brechts „Mutter Courage“. Sie decken damit bisher kaum beachtete Verbindungen zwischen den Kulturen auf. Welche Fragen stellen sie an diese?
Bei Fragen, die wir an Objekte der deutschen Geschichte stellen, müssen wir zunächst beachten, dass Deutschland es besonders schwer hat mit gemeinsamen Erinnerungen. Doch der Schlüssel zum Verständnis eines Landes liegt darin, wie es seine Erinnerungen organisiert. Die erste Frage an ein deutsches Objekt wäre also: Erzählt es überhaupt Dinge aus beiden Teilen Deutschlands? Aus Ost und West? Die Teilung selbst ist zwar eine gemeinsame Erinnerung sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR. Doch die Menschen wissen oft nicht viel über das Alltagsleben im jeweils anderen Teil Deutschlands. Fragen ergeben sich auch daraus, dass Deutschland zu seiner eigenen Vergangenheit eine vollkommen andere Beziehung hat als jedes andere Land in Europa. Das betrifft vor allem das 20. Jahrhundert und hier besonders die Jahre 1933 bis 45. Diese besondere Beziehung, diese kritische Reflektiertheit, definiert geradezu das neue Deutschland.
Sie werden ab Oktober als Kopf eines Gremiums aus drei Gründungsdirektoren das Humboldt-Forum im neu errichteten Berliner Schloss mit Leben füllen. Welche Vision haben Sie für diese Aufgabe?
Das Humboldt-Forum ist ein großes Objekt, das viele Geschichten erzählt. Schon das Gebäude selbst ist das Symbol einer gemeinsamen Vergangenheit, die vor 70 Jahren abgeschnitten wurde. Es soll damals und heute neu verbinden. Unsere Arbeit wird auch darin bestehen, ein Symbol dafür zu gestalten, was Deutschland heute sein will und was die Deutschen über sich selbst denken. Im Moment habe ich allerdings noch keine klare Vorstellung davon, wohin der Weg uns führt. Das werde ich zusammen mit meinen Kollegen Hermann Parzinger vom Pergamonmuseum und Horst Bredekamp von der Humboldt-Universität herausfinden. Wir hören die Stimmen der Vergangenheit aus den sprechenden Monumenten, von denen Berlin voll ist. Sie erzählen von verschiedenen Vergangenheiten und von Hoffnungen und Plänen für eine andere Zukunft.
Die Kontroversen um den Wiederaufbau des Stadtschlosses führten zu dem hohen Anspruch, mit dem dort angesiedelten Humboldt-Forum ein neues Zentrum der Weltkulturen zu schaffen.
Es ist Herausforderung und Chance zugleich, hier einerseits zu zeigen, dass die Menschheit aus sehr eng verbundenen Welten und Kulturen besteht, und andererseits, wie eng Deutschland mit dem Rest der Welt verbunden ist. Schloss und Museumsinsel standen immer in sehr enger Beziehung zueinander. Sie waren – und werden es wieder sein – Symbol für das intellektuelle, akademische und wissenschaftliche Engagement, das Deutschland mit den Kulturen der ganzen Welt verbindet. Das Humboldt-Forum soll mit sorgfältig ausgewählten Arrangements von Objekten aus den großen Berliner Sammlungen Geschichten der Welt erzählen. Es soll eine Ressource des Weltbürgers werden, denn die Idee der „Weltkultur“ ist in Berlin geboren.
In Ihrer erfolgreichen Radioserie und in dem Buch: „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ blicken Sie vergleichend auf die Weltgeschichte. Ist im Humboldt-Forum Ähnliches zu erwarten?
Beidem liegt eine Idee zugrunde, die bereits die Aufklärung entwickelt hat: Es gibt ein gemeinsames kulturelles Erbe der Menschheit. Dieser Gedanke entsprang deutschen wie britischen Quellen. So ist er auch ein europäisches Ideal, das wir anhand der Sammlungen deutlich machen möchten. In jeder Stadt erzählen die Objekte andere Geschichten, denn die Städte und Institutionen haben unterschiedliche Vergangenheiten. Und natürlich erzählen die Objekte nicht nur davon, wie sie gemacht wurden und von wem, sondern auch, von wem sie benutzt und im Laufe der Zeit verändert wurden, wer sie studiert hat und auch wer sie unter welchen Umständen in die Stadt gebracht hat.
Sie haben engagiert gegen die Rückkehr der „Elgin Marbles“ aus dem Britischen Museum gekämpft: Marmorskulpturen, auf die Griechenland heute Restitutionsansprüche erhebt. Berlin hatte einen ähnlich spektakulären Fall mit der Büste der Nofretete. Welche Rolle spielen Museen, um das Weltkulturerbe zu bewahren, insbesondere in Zeiten politischer Instabilität und Unsicherheit?
Die wichtigste Frage an jedes Objekt ist immer: Wie kann eine größtmögliche Zahl von Menschen einen größtmöglichen Gewinn daraus ziehen? Jedermann soll es studieren können und so die Welt besser verstehen. Diese Gründungsidee der Berliner Sammlungen ist bis heute sehr wichtig, insbesondere in konfliktreichen Zeiten. Was derzeit im Nahen Osten geschieht, ist auch in dieser Hinsicht sehr beunruhigend. Die Zerstörung großer Kulturschätze ist ein Verlust für die Menschheit und vergrößert die Verpflichtung der Länder, die große Sammlungen besitzen, diese zu bewahren und sie jedermann zugänglich zu machen.
Was erwartet uns in Ihrem Vortrag, den Sie heute Nachmittag an der TU Berlin halten?
Die Queen ist, wenn Sie so wollen, ein Symbol Großbritanniens. Dass sie nach Berlin zurückkommt, ist eine große symbolische Geste. Das scheint mir ein geeigneter Moment zu sein, den Deutschen einige Objekte zu präsentieren, die ihnen mehr über die Briten erzählen – so wie wir im Britischen Museum versucht haben, den Briten etwas über die Wandlung der Deutschen zu erzählen. Der Besuch der Queen ist ein guter Anlass, um herauszufinden, was die Berliner und die Deutschen über die Briten denken und ein guter Anlass, ihnen anhand historischer und moderner Objekte wenig bekannte Seiten der Briten zu zeigen.
ZUR PERSON
Anfang Mai besichtigte der Schotte erstmalig seinen künftigen Arbeitsplatz. Als Leiter der Gründungsintendanz soll er das Humboldt-Forum im Stadtschloss zu einem Ort machen, über den die Welt redet. Dem Britischen Museum verpasste der 69-Jährige in den letzten Jahren mit spektakulären Ausstellungen ein modernes Image. Sein Rat ist gefragt von St. Petersburg bis Mumbai. Er wurde mit Preisen überhäuft, von der Queen ausgezeichnet, 2008 wählte ihn die „Times“ zum „Briten des Jahres“. MacGregor studierte Sprachen in Oxford, Philosophie in Paris und Jura in Edinburgh, lehrte Kunstgeschichte und Architektur in London und war Direktor der National Gallery, bevor er 2002 das Britische Museum übernahm. pp
Dieser Text ist einer Beilage der TU Berlin entnommen, die in Kooperation mit dem Tagesspiegel entstand.
Patricia Pätzold