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Eine Frau will zum Baden ins Wasser steigen, ein Mann nähert sich ihr von hinten und will ihr ein Hüfttuch wegziehen.
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Rembrandt-Forschung: Die Handschrift eines Anderen

Rembrandts Werk ist von parallelen Stilen und Stimmungsumschwüngen geprägt. Im Rembrandt Research Project haben Forscher nun aufgeklärt, was vom Meister selbst stammt und was in seiner Werkstatt entstand.

Altersmilde – so nennt man ein Urteil, das ganz von Lebenserfahrung gesättigt ist und darum eben milder ausfällt als eines, das die ganze Härte einer Regel oder eines Prinzips zur Durchsetzung bringt. Das „Rembrandt Research Project“ sollte einem solchen Prinzip folgen. 1968 von einem Team niederländischer Kunsthistoriker ins Leben gerufen, hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Wildwuchs der dem von 1606 bis 1669 lebenden Amsterdamer Maler zugeschriebenen Arbeiten zu beschneiden und auf den Kern der gesicherten und authentischen Werke zurückzuführen. Denn Rembrandts vermeintliches Œuvre war immer weiter angeschwollen, bis es unter dem führenden Kenner Abraham Bredius in dessen definitivem Katalog von 1937 auf 624 Gemälden angestiegen war. Erstaunlich ist das, weil Wissenschaft doch gemeinhin zur Reduktion, zur Konzentration auf einen Kernbestand führt. Rembrandt hingegen, dieser gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker geschätzte und gesammelte Meister des 17. Jahrhunderts, schien weit mehr Bilder als zuvor bekannt geschaffen zu haben, die über Museen und vor allem Privatsammlungen in ganz Europa verstreut waren.

Man wollte Werke von Rembrandt besitzen - und schrieb sie ihm zu

Mit dieser Vorstellung hat das Rembrandt Research Project ein für allemal aufgeräumt. Naturwissenschaftliche Analyse der Gemälde in ihrer Eigenschaft als physische Objekte trat an die Stelle von Kennerschaft, von connoisseurship, wie sie die Rembrandt-Experten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert so freigiebig verteilt hatten. Über diese Kennerschaft und ihre Verwicklung in die erstaunlich gleich gerichteten Interessen von Händlern und Sammlern hat Ernst van de Wetering (76), das letzte verbliebene Mitglied des nunmehr seit 46 Jahren aktiven Rembrandt-Projekts, im soeben erschienenen, abschließenden sechsten Band des Korpus-Werkes einen erhellenden Aufsatz geschrieben. Die Radikalität der Mitarbeiter ist nur auf diesem Hintergrund allzu wohlfeiler Zuschreibung, von Verkauf und Besitzerstolz zu verstehen. Man wollte Werke von Rembrandt besitzen, also wurden entsprechende Gemälde als von der Hand des Meisters stammend beschrieben, gehandelt und stolz an die Wand gehängt.

Auch der Berliner "Mann mit dem Goldhelm" fiel unter das Verdikt

Das Rembrandt Research Project hat die Zahl der echten Rembrandts zunächst auf 250 mehr als halbiert. Unter anderem fiel dem Verdikt auch der Berliner „Mann mit dem Goldhelm“ zum Opfer. Einst der Stolz der Königlichen Museen, muss sich das Gemälde heute als Werkstattarbeit mit einem Nebenplatz in der Gemäldegalerie begnügen. Ist es weniger aussagekräftig, nur weil nun doch nicht Rembrandt selbst Hand angelegt hat? Das ist die Frage nach der Rezeption von Kunst, die das Projekt jedoch ausklammern musste, um nicht im Wust zeitbedingter Urteile und Zuschreibungen zu versinken. Allerdings kam das Vorhaben mit rein naturwissenschaftlichen Methoden doch nicht zu endgültigen Urteilen; die herkömmliche Stilanalyse und das geschulte Auge der Kenner nahmen am Ende erneut ihren angestammten Platz ein.

Mit welchen Schwierigkeiten sich die Rembrandt-Forschung konfrontiert sieht, macht nun ein wahrhaft überraschender Fall aus der hiesigen Gemäldegalerie deutlich. Das Gemälde „Susanna und die beiden Alten“, die 1647 geschaffene Darstellung einer überaus beliebten biblischen historia, trägt die Handschrift eines anderen Großen der Malerei, des Engländers Joshua Reynolds. Das ist nun wirklich frappierend. Reynolds besaß das Gemälde zwischen 1769 und 1792; die Gemäldegalerie erwarb es 1883. Eine jetzt durchgeführte gründliche Untersuchung mit Röntgen- und Neutronenstrahlen brachte die erheblichen Veränderungen ans Licht, die Reynolds an dem Gemälde vorgenommen hat. Nicht nur hat er Stellen übermalt, die ihm nicht zusagten, sondern teilweise sogar die Farbe Rembrandts entfernt. Die jetzige, oberste Farbschicht dürfte zu 90 Prozent von Reynolds’ Hand stammen.

Das Œuvre als Ganzes ist inkonsistent

Was ist das nun – ein Rembrandt, ein Reynolds, ein ehemaliger Rembrandt? Publik gemacht wurde der Fall bei einem Symposium der Londoner National Gallery, die derzeit mit der Ausstellung „Late Rembrandt“ eine Übersicht über das Spätwerk des Malers zeigt. Nicholas Penny, der Direktor der National Gallery, betont, in der Ausstellung zum großzügig ab 1650 angesetzten Spätwerk seien ausschließlich Werke zu sehen, die unzweifelhaft der Hand des Meisters zuzuordnen sind.

Rembrandt war imstande, parallel verschiedene Stile oder „Modi“ zu bedienen. Das Œuvre als Ganzes ist inkonsistent. Es reizt natürlich, den immer stärker pastosen Auftrag der Farbe, ihr geradezu dreidimensionales Hervortreten vor dem Bildträger, dazu die Auflösung der Umrisse und das Zerfließen der dargestellten Objekte als das „Ziel“ einer „Entwicklung“ zu deuten. Dafür finden sich unter den rund 40 in London gezeigten Gemälden, die von einer doppelt so hohen Anzahl von Zeichnungen und Druckgrafiken begleitet werden, entsprechende Belege. Doch lassen sie sich nicht in eine lineare Chronologie pressen. Salopp gesagt: Rembrandt malt mal so, mal so.

Nie erscheint Rembrandt in seinen Gemälden als ein Verbitterter

Eine rein stilkritische Analyse übersieht den Gehalt der Bilder. Das melancholische Fluidum, das die Porträtierten umgibt, egal ob 85-jährig wie der schwerreiche Kaufmann Jacob Trip (um 1661) oder gerade mal 14-jährig wie der (einzige) Sohn Titus auf seiner Schulbank (1655), und das ebenso die zahlreichen Selbstbildnisse wie die in London gezeigten beiden Arbeiten aus dem Todesjahr 1669 kennzeichnet, lässt sich als Ausdruck der condition humaine deuten, wie Rembrandt sie sah. Seine eigene Biografie mit ihren Todesfällen, Bankrotten und Misserfolgen bot dazu genügend Anlass. Und doch erscheint Rembrandt in seinen Gemälden nie als ein Verbitterter, sondern als ein Wissender, um nicht zu sagen ein Weiser.

Natürlich hat Rembrandt nicht durchweg so gemalt. Seine Kunst ist fundiert in der Beobachtung „naer het leven“, nach dem Leben, das er in seinen Zeichnungen in Bleistift und Tusche festhält. Kein Motiv ist ihm zu gering, von einer zufälligen Baumgruppe über den geschlachteten Ochsen beim Fleischer bis zur entkleideten Frau am Ofen. Diese Wirklichkeitsbeobachtung erst ermöglicht ihm, biblische Szenen so realistisch und zugleich ergreifend darzustellen wie den „Ecce Homo“ oder die verschiedenen Kreuzigungsszenen. Rembrandts Leben fällt in eine religiös aufgewühlte Zeit, die zugleich die des zu politischer Macht gelangten Bürgertums ist – jener Honoratioren, die er in Gruppenportraits wie den „Vorstehern der Tuchhändlergilde“ von 1662 festhält.

Sein Altersstil galt als zufällig oder regellos

Rembrandts Altersstil fiel indessen unter das Verdikt der nachfolgenden Generation. Seine Malerei erschien ihr als zufällig und regellos. Mit der „Nachtwache“, heute das Glanz- und Hauptstück des Amsterdamer Rijksmuseums, hatte er 1642 den Zenit seines Könnens erreicht. Doch der zeitgleiche Tod seiner Frau Saskia stürzt ihn in eine persönliche und künstlerische Krise. Führt man sich vor Augen, dass Rembrandt damals ein Mann von erst 36 Jahren war, so wird die Schwierigkeit deutlich, einen Altersstil einzugrenzen. In London – und im kommenden Frühjahr in Amsterdam, wohin die Ausstellung weitergereicht wird – begreift man, warum Rembrandts Werke in ganz Europa gesucht und gesammelt wurden, von der Eremitage in St. Petersburg bis zu den Königlichen Museen Berlins. Und warum so viele Bilder von der Hand seiner Werkstattmitarbeiter und seiner Schüler zu „echten“ Rembrandts erklärt wurden. Eben weil der Künstler malen konnte wie kein Zweiter, es sei denn, man ahmte ihn so originalgetreu nach wie möglich.

In das Durcheinander von Werken eigener Hand, der Werkstatt oder sonstigen Nachahmern Klarheit gebracht zu haben, bleibt das Verdienst des „Rembrandt Research Project“. Auch wenn nicht weniger als 70 Arbeiten im sechsten Band des Research-Werkes, die in den vorangehenden Bänden ausgesondert worden waren, von dem allein verbliebenen Ernst van de Wetering nun doch wieder dem Meister zugeschrieben werden. Altersmilde äußert er Zweifel an der früheren Radikalität. Endgültige Klarheit wird sich ohnehin nie gewinnen lassen. Der Zeitgeschmack spielt stets eine zwar meist geleugnete, aber dennoch wirkmächtige Rolle.

London, National Gallery, bis 18. Februar, Katalog 304 S., 19,95 Pfund. – A Corpus of Rembrandt Paintings VI: Ernst van de Wetering, Rembrandts Paintings Revisited. A Complete Survey. Springer Verlag, New York/Heidelberg 2014. 736 Seiten, 1332 Abbildungen, 1069 Euro.

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