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Das größte Landtier Europas. Ein Wisent kann bis zu 900 Kilogramm schwer werden – so viel wie ein Kleinwagen. In den nächsten Tagen soll eine kleine Herde im Rothaargebirge freigelassen werden.
© picture alliance / dpa

Wildtiere: Die Großen kommen zurück

Wisente, Elche und Wölfe streifen wieder durch heimische Wälder. Nicht überall sind sie willkommen. Landwirte fürchten um ihr Vieh. Und auch mancher Jäger richtet trotz Verbot das Gewehr auf die Rückkehrer.

Spätestens als vor kurzem das Bild aus einer Fotofalle nahe Berlin veröffentlicht wurde, ist klar: Die Wölfe sind zurück, sie streifen nicht nur über Truppenübungsplätze, sondern nähern sich auch Ballungsräumen. Sie sind aber nicht allein. Auch andere, lange verschollene große Tiere wie Wisent und Elch, Braunbär und Luchs kehren in ihre ursprüngliche Heimat in Mitteleuropa zurück.

Bis zu ihrer zeitweisen Ausrottung lebten sie hier, gehören also wie Wildschwein und Rotfuchs zu Mitteleuropa. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob das auch noch im 21. Jahrhundert gilt. Diese großen Tiere brauchen viel Platz, finden sie ihn auch in einer intensiv genutzten Region? Und das ohne Konflikte mit den Interessen der Menschen?

Ein Wisentbulle kann schließlich bis zu 900 Kilogramm wiegen, so viel wie ein Kleinwagen. Im Rothaargebirge in Nordrhein-Westfalen soll in den nächsten Tagen erstmals wieder eine kleine Herde dieser Tiere in einen Wirtschaftswald freigelassen werden. Können die gewaltigen Waldrinder mit ihren kräftigen Hörnern Wanderern gefährlich werden? Die Erfahrungen im Wald von Bialowieza, wo an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland bereits seit den 1950er Jahren Wisente umherstreifen, sprechen dagegen. Dort wandern viele Touristen durch die Wälder, Begegnungen mit den schätzungsweise 450 Wisenten aber sind eine Ausnahme. Denn die Tiere gehen den Zweibeinern normalerweise großräumig aus dem Weg. Für die Wisente im Rothaargebirge gilt: Zeigen sie dieses Fluchtverhalten nicht, bleiben sie für den Rest ihres Lebens im Gehege.

In der nächsten Größenklasse treten mit bis zu 500 Kilogramm Lebendgewicht Elche an. Ein Rothirsch bringt dagegen allenfalls die Hälfte davon auf die Waage. Dieser Unterschied zeigt sich auch beim Fressen: Ein Elch vertilgt durchaus fingerdicke Triebe, ein Rothirsch knabbert eher an den Zweigen. Die Befürchtung, den Wäldern Mitteleuropas drohe der Kahlfraß, sei aber unbegründet, sagt Ulrich Wotschikowsky. „Elchen ist es in Mitteleuropa einfach zu warm“, sagt der Wildbiologe aus Oberammergau, der als Fachmann für Schalenwild und große Raubtiere an verschiedenen Managementplänen für solche Heimkehrer mitgearbeitet hat. Der Klimawandel scheint dagegen die Chance für die großen Hirsche zu verschlechtern, zeigen seine Daten.

„Erfolgreicher verläuft die Rückkehr der Wölfe“, berichtet Felix Knauer vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde der Veterinärmedizinischen Universität Wien. 2009 haben er und fünf Kollegen im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz in einer Studie ausgerechnet, dass in Deutschland im Prinzip mehr als 400 Wolfsrudel leben könnten.

Die Realität scheint das Computermodell zu bestätigen: Seit der letzte „deutsche“ Wolf 1845 in Sachsen geschossen worden war, kamen wohl immer wieder einzelne Tiere über die Oder nach Westen. Sie wurden vermutlich geschossen oder fielen dem Verkehr zum Opfer. Erst als mit der Wende auch im Osten Deutschlands Wölfe nicht mehr gejagt werden durften, hatten die Rückkehrer eine Chance. Im Jahr 2000 kamen in der sächsischen Lausitz die ersten Welpen zur Welt. Inzwischen sind es 18 Rudel, die Nachwuchs haben. Längst leben Wölfe auch in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und in der Lüneburger Heide.

Die wenigsten registrieren, dass die Raubtiere in ihre Gegend zurückgekehrt sind. „Wölfe gehen Menschen möglichst aus dem Weg“, sagt Knauer. Und wenn nicht? In Sagen und Märchen ist der Wolf ein gefährlicher Räuber. Seit 1973, berichtet der Forscher, habe es in Europa, abgesehen von Russland, aus dem keine zuverlässigen Daten vorliegen, keinen einzigen Unfall gegeben, bei dem ein Mensch durch einen gesunden Wolf zu Tode kam. Allerdings gab es in den letzten 50 Jahren fünf Todesfälle durch Wölfe mit Tollwut. Diese Infektion wurde inzwischen jedoch in Mitteleuropa ausgerottet. „Das gefährlichste Tier im Wald ist also keineswegs der Wolf, sondern eher die Zecke, die zwei schwere Infektionen übertragen kann“, sagt Knauer.

Manche Jäger jedoch sehen im Wolf einen Konkurrenten, der ihnen die Beute wegnimmt. Das Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz hat seit 2001 mehr als 4000 Kotproben von Wölfen in der Lausitz untersucht, um aus den Rückständen auf die Beute zu schließen. Demnach machen Rehe 53 Prozent der Beute aus, Rothirsche 21 Prozent und Wildschweine 18 Prozent, der Rest sind Damhirsche, Mufflons und kleinere Tiere.

Ulrich Wotschikowsky hat aus solchen Studien den Einfluss der Wölfe auf die Bestände ihrer Beutetiere grob geschätzt. In der Lausitz scheinen die Raubtiere demnach nur zwei Stück Schalenwild in einem 100 Hektar großen Gebiet zu erwischen. „Auf der gleichen Fläche schießen Jäger das Vier- bis Zehnfache.“

Die Jagdstrecken für Schalenwild jedenfalls haben bisher in der Lausitz nicht abgenommen, sagt er. „Offensichtlich ist genug Wild für alle da.“ Mancher Jäger aber neidet den Wölfen offensichtlich ihre Beute, weil er sie lieber selbst schießen würde. Der Wildbiologe aus Oberammergau, der selbst seit vielen Jahrzehnten passionierter und überzeugter Jäger ist, schließt das aus der Wolfspopulation in Deutschland. Sie wird gut beobachtet: Wie viele Welpen werden geboren, wie viele verlassen als ausgewachsene Wölfe ihr Rudel, wie viele Tiere fallen dem Verkehr zum Opfer? Errechnet man dann, wie viele Wölfe zurzeit hier leben sollten, kommt man auf eine deutlich höhere Zahl als die 18 tatsächlich existierenden Rudel plus zusätzliche Einzelgänger.

„Es gibt eine große Dunkelziffer von Wölfen, die anscheinend spurlos verschwinden“, sagt Wotschikowsky. „Viele dieser Tiere wurden vermutlich von Jägern illegal geschossen.“ An die große Glocke hängen die Jäger diese verbotenen Abschüsse kaum, schließlich drohen hohe Strafen und sogar Haft. Wird ein erschossener Wolf wie zum Beispiel im April 2012 im Westerwald gefunden, ist die offizielle Vertretung der Jägerschaft entsetzt. Der Landesjagdverband Rheinland-Pfalz setzte 1000 Euro Belohnung für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Täters führen. Der stellte sich bald: Es war der Pächter des Reviers. Er wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.

Doch nicht nur Jäger müssen sich mit den Rückkehrern arrangieren. Vor allem Landwirte beklagen Schäden. 0,75 Prozent der Beute von Wölfen in der Lausitz sind Haustiere. Das kann ein Schaf sein, das tagsüber weitab von der nächsten Siedlung allein weidet oder in der Nacht unbeaufsichtigt auf der Wiese steht. Mit einem etwas höheren Elektrozaun können diese Tiere geschützt werden. Die Behörden unterstützen den Kauf solcher Anlagen. Schlägt der Wolf trotzdem zu, werden die Eigentümer der Herde mit dem Wert der Tiere entschädigt. Allerdings haben Hobbyzüchter davon wenig, weil ihr Verlust mit Geld kaum aufzuwiegen ist.

Insgesamt verzeichnet Sachsen im Jahresdurchschnitt nur 39 Schafe, die von einem Wolf gerissen wurden oder bei deren Tod ein Wolf im Spiel gewesen sein könnte. Im zweiten deutschen Schwerpunktland für Wölfe – Brandenburg – sind die Zahlen ähnlich. Zwischen 2008 und 2012 wurden dort knapp 60 000 Euro Beihilfen für Wolfsschäden ausgezahlt, wobei die jährlichen Beträge von gut 20 000 Euro im Jahr 2010 auf weniger als 5000 Euro 2012 abgenommen haben.

Es sieht so aus, als hätten sich Mensch und Wolf vorerst miteinander arrangiert.

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