Archäologie: Die Fragen bleiben historische
Archäologie zwischen Kultur- und Naturwissenschaften.
Sie sind das Unbehagen aus den Nachrichten. Wenn vom Antiterrorkampf die Rede ist, wird über Drohnen diskutiert und die Frage, ob ihr Einsatz zu rechtfertigen ist angesichts von Entscheidungsstrukturen, die außer Kontrolle geraten können. Multikopter oder UAVs (unmanned aerial vehicles), so die gängigen Sammelbegriffe in der zivilen Nutzung, sind nur Werkzeuge. Die Verantwortung für ihren tödlichen oder nützlichen Gebrauch tragen immer noch Menschen.
Ihrem erfolgreichen Einsatz in der Archäologie widmete sich im Mai 2014 eine wissenschaftliche Tagung an der Berliner FU. Von schwer zugänglichen Burgruinen bis zu den Resten prähistorischer Pfahlbauten im Wasser reichten die Beispiele, bei denen die Fluggeräte Erkundungsarbeit aus der Luft leisteten. In der Feldforschung wird ihnen eine große Zukunft vorausgesagt. Der Berufsalltag von Archäologen ist technisch geworden, was sich im breiten Themenspektrum des 8. Deutschen Archäologiekongresses spiegelt, der zurzeit in Berlin tagt: Dort wird über Siedlungsstrukturen des Neolithikums, Neuigkeiten aus der Welt der klassischen Antike oder archäologische Untersuchungen in ehemaligen Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern ebenso selbstverständlich diskutiert wie über Fragen von Big Data und Open Access für archäologische Forschungsliteratur.
Schon bei der Geländeprospektion, dem ersten handfesten Arbeitsschritt jeder archäologischen Feldforschung, greifen Hightech-Spielzeuge wie Multikopter und technisch komplexe Verfahren zur Datenerhebung nahtlos ineinander. Mit dem Magnetometer und mit Bodenradargeräten kann das Gelände, auf dem eine Grabung geplant ist, abgefahren werden, wobei unter der Oberfläche versteckte Strukturen wie Gruben, Gräben, Mauerreste lokalisiert werden.
Geowissenschaftliche Methoden erleichtern die Analyse eines Grabungsfeldes
Die Luftbildarchäologie erfasst seit den 1920er Jahren weiträumige Bodenverfärbungen und aus der Normalperspektive kaum sichtbare archäologische Großstrukturen. Mit hochmodernen 3-D-Scannern – boden- oder luftgestützt – werden virtuelle Oberflächenmodelle selbst bewaldeter Gebiete generiert. „Mit solchen Methoden werden heute sehr feingliedrige Geländemodelle ermöglicht. So sieht man Grabhügel, die eigentlich komplett weggepflügt worden sind“, erklärt Philipp von Rummel, der Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), der seit 2008 ein deutsch-tunesisches Grabungsprojekt in Simitthu/Chimtou leitet.
Geowissenschaftliche Methoden wie diese erleichtern die Analyse eines potenziellen archäologischen Grabungsfeldes, noch ehe die erste Schaufel Erdreich bewegt werden muss. Grabungsfunde werden nicht mehr allein wie seit Schliemanns Zeiten einer stratigrafischen Altersschicht zugeordnet und somit in eine relative zeitliche Abfolge zueinander gebracht. Auch die gute alte Stilgeschichte reicht längst nicht mehr bei der wissenschaftlichen Bewertung von Grabungsfunden, weshalb man diese oft auch materialtechnisch untersucht. „Archäologen sind für die Möglichkeiten der Materialanalyse offener als andere Geisteswissenschaftler“, sagt Ina Reiche, die neue Leiterin des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin.
Durch die Massenspektrometrie von Metallgegenständen lässt sich die Abbaustelle der verwendeten Metalle ermitteln. Verfahren wie die Röntgenfluoreszenz oder Atomabsorption geben Anhaltspunkte für die Zusammensetzung und regionale Herkunft von Tonmischungen, wodurch sich Jahrtausende zurückliegende Handelsbeziehungen nachweisen lassen. Bei der Isotopenuntersuchung werden menschliche Überreste darauf untersucht, ob der Tote in seiner ursprünglichen Heimat aufgefunden wurde oder eingewandert ist.
Datenbanken und 3-d-Modelle gehören zum wissenschaftlichen Standard
Mithilfe der DNA-Analyse können Verwandtschaftsbeziehungen nachgewiesen werden. Auch tierische und pflanzliche Überreste werden bei modernen archäologischen Projekten als Quellen erschlossen und zur Interpretation herangezogen. Datierungsverfahren wie Dendrochronologie, Radiokohlenstoffdatierung und Thermolumineszenz erlauben teils jahrgenaue Altersbestimmungen von Holz, organischen Stoffen oder Keramik.
Auch bei der Aufbereitung und Präsentation ihrer Forschungen nutzen Archäologen längst modernste Technik. Datenbanken gehören dabei ebenso zum wissenschaftlichen Standard wie 3-D-Modelle, sowohl zur Visualisierung für ein breiteres Publikum wie zur Klärung wissenschaftlicher Fragen. Bei der Ausbildung von Archäologen spielen all diese Methoden, die unter dem Oberbegriff Archäometrie zusammengefasst werden, eine zunehmend große Rolle.
„Leider können die meisten archäologischen Institute dabei nicht ganz mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt halten“, resümiert Alfried Wieczorek die derzeitige Ausbildungssituation. Der Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, zugleich Archäologe, Ausstellungsmacher und Wissenschaftsmanager, verweist auf die vorbildlichen Lehrangebote für Archäometrie an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. Dort lehrt der Chemiker Ernst Pernicka, der bekannt wurde, als er die Echtheit der bei einer Raubgrabung gefundenen Himmelsscheibe von Nebra nachwies.
Alte und neue Methoden schließen sich nicht aus
Es sind archäometrische Forschungsergebnisse wie diese, die das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit zunehmend bestimmen. Dabei arbeiten Archäologen und Naturwissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen eng zusammen. Ein multidisziplinäres Feld nennt Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, den weiten Kosmos der archäometrischen Möglichkeiten – und plädiert im selben Atemzug leidenschaftlich für die Pflege der objekt- und materialkundlichen Kompetenz an den archäologischen Museen und Sammlungen, die sich durch das vergleichende Studium der Objekte ergibt. Solche Erfahrungen sammelt nur der Mensch, nicht der Computer.
Alte und neue Methoden schließen sich nicht aus. Für die Qualität der mit komplexesten Verfahren erzeugten Messergebnisse und Daten zeichnen hochspezialisierte Naturwissenschaftler verantwortlich. Doch für deren Interpretation braucht man den archäologischen Background, das geistes- und kulturwissenschaftliche Rüstzeug. „Die Fragen, die wir an unseren Forschungsgegenstand herantragen, sind letzten Endes immer historische. An diesem entscheidenden Punkt ändert sich das Grundverständnis unserer Disziplin nicht“, erklärt Philipp von Rummel den geisteswissenschaftlichen Primat, dem sich die Archäologie verpflichtet fühlt.
Michael Zajonz
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