Zweifel am Nutzen: Die erste Gentherapie wird vertagt
1,2 Millionen Euro kostet die Behandlung pro Patient. Werden die Kassen das bezahlen? Die Zustimmung galt als Formalie, doch dann gab es Zweifel an der „Nutzen-Risiko-Bilanz“.
Eigentlich sollte der Tagesordnungspunkt 8.1.3 der Berliner Sitzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nur eine Formalie sein. Nach Aktenlage wollte das Gremium aus Vertretern von Krankenkassen, Ärzteschaft, Patienten und Gesundheitspolitik über den „Zusatznutzen“ für die erste in Europa zugelassene Gentherapie „Glybera“ entscheiden. Für die jahrzehntelange Gentherapieforschung wäre ein Meilenstein erreicht worden. Und für den niederländischen Hersteller Uniqure wäre der Weg frei gewesen zur Kostenerstattung ihrer Therapie durch die Krankenkassen. Einen Preis von immerhin 1,2 Millionen Euro pro Patient wollte das Unternehmen erzielen für die Therapie der Lipoproteinlipasedefizienz (LPLD), mit maximal 500 Patienten in Europa eine extrem seltene Erbkrankheit.
Zweifel an der Nutzen-Risiko-Bilanz
Doch es kam ganz anders. Erst kurz vor der Sitzung an diesem Donnerstag erfuhr der GBA, dass die europäische Zulassungsbehörde EMA aufgrund aktueller Daten inzwischen Zweifel an der Nutzen-Risiko-Bilanz der Behandlung hat, bei der Patienten rund 25 Spritzen in die Oberschenkelmuskulatur bekommen, damit die künstlichen Gene den Enzymmangel im Fettstoffwechsel beheben können.
Aufgrund der Seltenheit der Krankheit akzeptierte die EMA 2012 die Zulassungsstudie mit nur 27 Patienten – unter der Voraussetzung, dass Daten über weitere Behandlungen und deren Ergebnisse dem Amt mitgeteilt werden. Ein gängiges Verfahren, da anhand von so wenigen Informationen weder die Wirksamkeit noch das Ausmaß von Nebenwirkungen einer Therapie hinreichend beurteilt werden können. Nun hat allerdings die Auswertung dieser zusätzlichen Daten laut EMA ergeben, dass die mit der Therapie verbundenen Risiken den möglichen Nutzen übersteigen. Glybera droht damit ein Entzug der Lizenz.
Gesetzliche Fristen werden überschritten
Schon in der Zulassungsstudie gingen nicht bei allen Patienten die Blutfettwerte und die Bauchspeicheldrüsenentzündung so wie erhofft zurück. 2012 urteilte die EMA noch: „Obwohl Daten nur für eine kleine Anzahl an Patienten vorliegen, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Glybera für Patienten mit schweren oder mehrfachen Entzündungsschüben der Bauchspeicheldrüse von Nutzen sein würde.“ Diese Einschätzung dürfte die EMA Anfang nächster Woche aufgrund der neuen Datenlage wohl revidieren.
Der GBA will diesen Beschluss der EMA abwarten, obwohl das Gremium damit gesetzliche Fristen überschreitet – zum ersten Mal seit Beginn der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln. „Die Sicherheit der Patienten ist wichtiger als die Einhaltung einer formalen Verfahrensfrist, wenn ein solch gravierender atypischer Sonderfall vorliegt“, sagte Josef Hecken, Vorsitzender des GBA. Den Mitteilungen der EMA nach seien die neuen Daten „ gravierend“.
Die US-Börsenaufsicht wurde früher informiert als der GBA
Hecken zeigte sich in der Sitzung um einen sachlichen Ton bemüht, äußerte dann aber doch „Befremden“ darüber, dass der Hersteller Uniqure am 8. April zunächst die US-amerikanische Börsenaufsicht und erst sechs Tage danach den GBA über die neuen Bedenken informiert habe.
Der Absturz Glyberas könnte es nun den Dutzenden anderen Gentherapien schwer machen, die derzeit in der Entwicklung sind.
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