Schwangerschaft: Die entscheidende zwölfte Woche
Schon früh in der Schwangerschaft sollte medizinisch vorgesorgt werden. Probleme wie Schwangerschaftsdiabetes, Wachstumsverzögerungen oder eine drohende Frühgeburt zeichnen sich frühzeitig ab.
Wie viele Kinder werden im Jahr 2031 in Deutschland auf die Welt kommen? Werden alle Babys in großen Zentren geboren, weil es die kleineren Geburtskliniken dann nicht mehr gibt? Wird es mehr Kinder geben, die wie der kleine Berliner, der vor einigen Wochen geboren wurde, schon zu Beginn sechs Kilo auf die Waage bringen? Werden immer mehr Frauen mit über 50 Jahren Mutter, nachdem sie in einem anderen Land eine Eizelle gespendet bekommen haben? Und wird es genug Ärzte und Hebammen geben, die den neuen Erdenbürgern dabei helfen, das Licht der Welt zu erblicken?
Geburtshelfer sind in gewisser Weise Spezialisten für Zukunft. Doch diese Fragen zur Geburtshilfe in 20 Jahren, die beim 25. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin in Berlin gestellt wurden, konnten auch sie nur spekulativ beantworten. Für die nähere Zukunft zeichnet sich allerdings ein Trend deutlich ab: „Es wird weniger Überraschungen geben“, so formulierte es Christian Wieg, Neugeborenenmediziner am Klinikum Aschaffenburg.
Vor allem die Technik des Ultraschalls wird dafür sorgen, dass über die zukünftigen Erdenbürger schon vor ihrer Geburt vieles bekannt ist. Drei Ultraschalluntersuchungen gehören schon heute zum regulären Programm, in der 12. bis 14., um die 22. und um die 37. Woche. „Möglicherweise wird der Ultraschall auch im Kreißsaal Standard werden und dort die Tastuntersuchungen zum Erfassen des Geburtsfortschritts ersetzen, wir werden dann mehr messen und weniger fühlen“, sagte die Berliner Geburtsmedizinerin und Ultraschallexpertin Silke Michaelis.
Ihr Kollege Karl Oliver Kagan von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen räumte allerdings mit der Vorstellung auf, die Betreuung aller Schwangeren müsse umso engmaschiger werden, je näher der Geburtstermin rückt. Kagan machte deutlich: Die Weichen werden früher gestellt, in der 12. bis 14. Woche. „Der erste Ultraschalltermin sollte zur Planungsuntersuchung für die gesamte Schwangerschaft umgestaltet werden“, forderte der Gynäkologe. Die Hälfte aller schwerwiegenden kindlichen Fehlbildungen könne zu diesem Zeitpunkt jüngsten Forschungen zufolge schon erkannt werden, berichtete Kagan.
Anhand einer Ansammlung von Flüssigkeit am Nacken des Kindes, deren Dicke im Ultraschall gut zu erkennen ist, kann auch das Risiko für eine Trisomie 21 recht gut eingeschätzt werden. Dass eine Frau über 35 Jahre alt ist und ihr Kind ein etwas höheres Risiko für diese Chromosomenauffälligkeit hat, reicht schon heute für die Empfehlung einer Fruchtwasseruntersuchung nicht mehr aus, auch weil es dabei in einem von 200 Fällen zu einer Fehlgeburt kommt.
Dieses Risiko besteht bei einem neuen molekularbiologischen Test des Ungeborenen nicht, für den nur etwas Blut der Schwangeren gebraucht wird. „Im Blut der Mutter schwimmen Bruchstücke von kindlicher DNS, die Chromosomen zugeordnet werden können“, erläuterte Kongresspräsident Klaus Vetter vom Vivantes-Klinikum Neukölln. Im nächsten Jahr könnte der Test für das Aufspüren einer Trisomie 21 auch in Deutschland auf den Markt kommen. Er bietet sich als Ergänzung zur Nackenfaltendiagnostik an.
Schon heute ist klar, dass die Auswirkungen vereinfachter genetischer Tests auf Familie und Gesellschaft auch künftig für Diskussionsstoff sorgen werden. Doch in der „Planungsuntersuchung“ zwischen der 12. und der 14. Woche soll es nach den Vorstellungen der Geburtsmediziner auch um die Gesundheit der Schwangeren gehen. Anhand ihrer eigenen medizinischen Vorgeschichte und der ihrer Familie, anhand ihres Gewichts, ihres Blutdrucks, einer Ultraschalluntersuchung der Blutgefäße ihrer Gebärmutter und eines Bluttests könne man schon dann das Risiko für eine Präeklampsie („Schwangerschaftsvergiftung“) gut abschätzen, berichtete der Tübinger Frauenarzt Kagan.
Gegebenenfalls könne man mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure („Aspirin“) vor der 16. Schwangerschaftswoche gezielt vorbeugen, deren Wirkung sich inzwischen in Studien gezeigt habe. Auch Probleme wie Schwangerschaftsdiabetes, Wachstumsverzögerungen oder eine drohende Frühgeburt zeichnen sich frühzeitig ab. Kagan wünscht sich noch mehr Forschung, um die Vorhersagen auf sichere Füße zu stellen. Die Lebensspanne, in der Frauen guter Hoffnung sind, soll allerdings nicht generell durch immer mehr medizinische Tests und Termine beschwert werden. „Nur wenn solche besonderen Risiken bestehen, muss die Betreuung im weiteren Verlauf der Schwangerschaft intensiviert werden.“
Auch wenn das Kind auf der Welt ist, können die Weichen für die Behandlung einiger Erkrankungen früh gestellt werden. Auf 14 von ihnen werden die Babys heute im Rahmen des Neugeborenenscreenings getestet. Der Kinderarzt Rainer Rossi vom Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln plädierte für die Aufnahme eines biochemischen Tests auf Mukoviszidose in dieses Programm. Pro Jahr werden in Deutschland etwas über 200 Kinder mit einem Gendefekt geboren, der zu zähem Schleim in Drüsen und Lunge führt. Sie haben Probleme beim Atmen, sind von Infekten bedroht und gedeihen schlecht, doch wird die Diagnose oft erst im Kindergartenalter gestellt. „Die Kinder profitieren aber davon, wenn wir frühzeitig ihre Ernährung optimieren und uns um die Lungenfunktion kümmern“, erklärte Rossi.
Mehr Klarheit und weniger Überraschungen: Auf dem Kongress wurde deutlich, dass diese Devise in der Medizin rund um die Geburt nur gelten sollte, wenn sich aus den Informationen auch nützliche Konsequenzen ableiten lassen. Schöne Überraschungen mit dem Kind wird die Zukunft hoffentlich trotzdem bieten.
Adelheid Müller-Lissner
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