zum Hauptinhalt
Kosmische Lichtspiele. Der Galaxienhaufen „Abell 383“ wirkt wie eine Linse, die das Licht weit entfernter Galaxien bündelt und verstärkt. Die Bilder sind jedoch verzerrt. Das zeigt sich besonders an den leuchtenden Bögen um die elliptische Galaxie (unten links).
© Nasa, Esa, J. Richard, J.-P. Kneib

Einsteins Erbe: Die dunkle Seite des Universums

Schwarze Löcher, dunkle Materie, dunkle Energie: Die großen Rätsel der modernen Kosmologie sind untrennbar mit der Relativitätstheorie verbunden. Sie fordert Forscher bis heute heraus.

Ein ganzes Jahrhundert hält die allgemeine Relativitätstheorie die Wissenschaft bereits in Atem. Um sie zu testen, werden Observatorien gebaut und Satelliten ins All geschickt. Im kommenden Jahr soll zum Beispiel der französische Kleinsatellit „Microscope“ den freien Fall zweier Körper aus unterschiedlichen Metallen präzise messen. Werden sich die beiden Metallzylinder im Orbit in gleicher Weise im Schwerefeld der Erde bewegen? Oder muss Einsteins Theorie korrigiert werden?

Bislang hat sie sich bei allen erdenklichen Tests bestens bewährt. Andererseits ist sie bis heute ein Solitär unter den physikalischen Theorien. Im Unterschied zu den sonstigen Beschreibungen physikalischer Grundkräfte ist die allgemeine Relativitätstheorie nämlich zugleich eine Theorie von Raum und Zeit.

Gravitation lässt sich nicht abschirmen

Raum und Zeit sind in ihr keine feste Bühne des Naturgeschehens. Stattdessen ändern sich Längen- und Zeitmaßstäbe in der Nähe massiver Himmelskörper. Erst das Gravitationsfeld bestimme „die metrischen Eigenschaften des vierdimensionalen Messraums“, sagt Einstein. Da die Gravitation auf sämtliche Materie gleichermaßen wirkt und – anders als elektrische oder magnetische Kräfte – in keiner Weise abgeschirmt werden kann, kann man sie allgemein als Krümmung von Raum und Zeit interpretieren. Einstein verglich diese gekrümmte Raumzeit mit einem gespannten Tuch, in dem jeder Himmelskörper ein Mulde erzeugt, die sich mit ihm mitbewegt, während er in den Einflussbereich anderer Mulden hineingerät.

Sein völlig neues Verständnis der Gravitation hat wesentlichen Anteil am Aufschwung der modernen Kosmologie. Die großen Fragen der Physik, über die an Stammtischen ähnlich passioniert gesprochen wird wie auf Fachtagungen, sind untrennbar damit verbunden: Was geschieht im Einzugsbereich schwarzer Löcher? Wie entstand das Universum? Woher rührt die dunkle Energie, die Galaxien immer schneller auseinandertreibt? Woraus besteht die dunkle Materie, die zwar unsichtbar ist, sich aber allenthalben im Weltall durch ihre Schwerewirkung bemerkbar macht?

Schon bald dreht Einstein seine Theorie wieder durch die Mangel

Einstein ahnte nichts von dunkler Materie, dunkler Energie oder schwarzen Löchern. Als er sein epochales Werk zum Abschluss brachte und der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin am 25. November 1915 vorlegte, wusste er nicht einmal von der Existenz anderer Galaxien jenseits unserer Milchstraße, geschweige denn von einer Expansion des Universums. Die großen astronomischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts standen noch aus. Umso erstaunlicher, wie er der Kosmologie, ausgehend von wenigen, eher intuitiven physikalischen Annahmen, völlig neue Perspektiven eröffnete.

Die allgemeine Relativitätstheorie war gerade ein Jahr alt, da drehte er selbst sie schon wieder durch die Mangel. Auch auf die Gefahr hin, „in einem Tollhaus interniert zu werden“, versuchte Einstein nun, das Universum als Ganzes zu beschreiben. Dazu modifizierte er seine Theorie noch einmal und fügte ein zusätzliches Glied in die Feldgleichungen ein, die „kosmologische Konstante“. Sie sollte sicherstellen, dass sich das Universum weder ausdehnt noch kollabiert.

Gleichmäßig verteilte Sterne

Einsteins Vorstellungen vom Aufbau des Kosmos lag ein einfacher Gedanke zugrunde: dass das Universum in jeder Himmelsrichtung gleich aussieht und dass dies auch für jeden anderen Beobachter im Weltall so sein muss. Ein für ihn typischer relativistischer Standpunkt. Zu den Erfahrungen der Sterngucker passte er nur bedingt. Denn wer in einer klaren Nacht zum Himmel schaut, der sieht hier vereinzelte Sterne, dort ganze Sternhaufen, vor allem aber das leuchtende Band der Milchstraße. Man kann den Eindruck gewinnen, als wären alle Sterne in der Milchstraße konzentriert und darüber hinaus nichts als leerer Raum.

Einstein zog dies durchaus in Erwägung. Seiner Ansicht nach verlangte Newtons Theorie der Schwerkraft geradezu, dass die Welt eine Mitte hat, wo sich die Sterne tummeln, während die Sternendichte nach außen hin abnimmt und einer unendlichen Leere Platz macht. Doch dies hätte dem leeren Raum eine Bedeutung verliehen, die Einsteins eigener Theorie widersprach.

Außerdem wäre eine solche Ordnung nicht von Dauer. Die Sterne würden die Insel nach und nach verlassen und im Unendlichen verschwinden, ohne je wiederzukehren. Ein Stern nach dem anderen würde im gravitativen Spiel der Himmelskörper aus dem Zentrum hinausgeschleudert. Die Welteninsel würde systematisch verarmen.

Der Kosmos hat keine Mitte

Dafür lieferten astronomische Beobachtungen keine Indizien. Stattdessen mutmaßte Einstein, die Fixsterne könnten gleichmäßig über den Raum verteilt sein. „Wie weit man auch durch den Weltraum reisen mag, überall findet sich ein loses Gewimmel von Fixsternen von etwa der gleichen Art und der gleichen Dichte.“ Anders gesagt: Der Mensch steht nicht im Zentrum der Kosmos, weil es eine solche Mitte gar nicht gibt. Ein Schlüsselgedanke der modernen Kosmologie.

Um seine Vorstellungen zu einem Weltmodell zusammenzufügen, nahm Einstein an, dass die vorhandene Materie die Raumzeit gerade so stark krümmt, dass sie sich wie eine Kugel schließt. Ein solches Universum wäre in sich geschlossen und doch unbegrenzt. Zur Veranschaulichung mag eine Ameise herhalten, die auf einem Ball herumläuft, ohne jemals an eine Grenze zu stoßen. Da sie immer nur ein kleines Stück der Oberfläche wahrnimmt, erscheint sie ihr, obschon gekrümmt, lokal flach.

Im Februar 1917 legte Einstein der Berliner Akademie seine „Kosmologischen Betrachtungen“ vor. Darin beschrieb er das Universum außerdem als zeitlich unveränderlich. Zu seiner eigenen Bestürzung hatte er allerdings feststellen müssen, dass seine im November 1915 veröffentlichten Feldgleichungen gar kein statisches Universum zuließen. Einstein hatte sich daher zu dem kühnen Schritt entschlossen, seine Feldgleichungen, an deren Herleitung er acht Jahre gearbeitet hatte, noch einmal abzuwandeln: indem er die kosmologische Konstante einfügte.

Einsteins "größte Eselei"

Der Zusatzterm hat eine tiefere Bedeutung. „Er zeigt, dass Einstein 1915 im Gegensatz zu dem, was er schrieb, eben noch nicht die allgemeinsten Gleichungen, die mit seinen Forderungen vereinbar sind, gefunden hatte“, erläutert der Einstein-Experte Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Vom mathematischen Standpunkt aus gesehen, war das Hinzufügen der kosmologischen Konstante gerechtfertigt. Einstein hatte sie jedoch in die Waagschale geworfen, um das kosmische Gleichgewicht gerade so auszutarieren, dass das Universum weder expandiert noch in sich zusammenstürzt. Was er dabei zunächst übersah: Das so hergestellte Gleichgewicht war instabil.

Obwohl er die Konstante später als seine „größte Eselei“ bezeichnete und verwarf, taucht sie in der modernen Kosmologie wieder auf. Sie hat eine Renaissance erlebt, nachdem sich gezeigt hat, dass das Universum nicht nur expandiert, sondern dass sich diese Ausdehnung sogar beschleunigt. Seit der Jahrtausendwende spricht einiges dafür, dass mehr als zwei Drittel der Energiedichte des Universums von einer rätselhaften Druckkraft herrühren, einer kosmologischen Konstanten. Doch welche unbekannte dunkle Energie treibt dieses immer schnellere Aufblähen des Kosmos an? Etliche Forscher vermuten, dass sich dahinter eine Energie des Vakuums verbirgt, die aus ständig ablaufenden quantenphysikalischen Prozessen resultiert.

Fünf Jahre später wird die Lichtablenkung bewiesen

Die allgemeine Relativitätstheorie wirft tiefgreifende Fragen auf. Zugleich verhilft sie Wissenschaftlern zu unerwarteten Einblicken in die Struktur des Weltalls. Beispielhaft dafür ist Einsteins frühe Vorhersage, dass das Licht ferner Sterne gleichsam um die Sonne herumgebogen wird. Sie machte ihn im November 1919 in der ganzen Welt berühmt, nachdem britische Astronomen diese Lichtablenkung bei einer totalen Sonnenfinsternis nachgewiesen hatten. „Lichter am Himmel alle schief“, titelte damals die „New York Times“ und sprach von einer „Revolution in der Wissenschaft“.

Galaxien und Galaxienhaufen bündeln und verstärken das Licht dahinter liegender Objekte noch viel effektiver als die Sonne. Sie wirken ähnlich wie die Linsen eines Teleskops. Der erste Hinweis auf diesen „Gravitationslinseneffekt“ findet sich in Einsteins eigenen Notizen. Schon 1912 studierte er das optische Phänomen in geometrischen Skizzen. Seine Berechnungen überzeugten ihn davon, dass der Linseneffekt mit damaligen Mitteln unbeobachtbar war. 1936 trat er dennoch mit seinen Überlegungen an die Öffentlichkeit. Die Publikation habe der Ingenieur Rudi W. Mandl aus ihm herausgepresst. „Sie ist wenig wert, aber dieser arme Kerl hat seine Freude daran.“

So funktioniert eine Gravitationslinse.
So funktioniert eine Gravitationslinse.
© TSP

Freude daran hatten vor allem jene britischen Astronomen, die 1979 auf ein seltsames Zwillingspärchen im Sternbild des Großen Bären aufmerksam wurden: zwei nahezu punktförmige Lichtquellen direkt nebeneinander. Eine genaue Analyse ergab, dass es sich bei den Himmelslichtern um ein und dasselbe Objekt handelte, um einen Quasar, den aktiven Kern einer Galaxie. Bald darauf zeigte sich auch, worauf das Doppelbild zurückzuführen war. Zwischen dem entlegenen Quasar und der Erde lag eine leuchtschwache Galaxie, die bis dahin unbemerkt geblieben war. Sie lenkte die vom Quasar ausgesandten Strahlen auf verschiedenen Wegen zum Auge des irdischen Betrachters.

Wenn Licht auf unterschiedlichen Wegen zur Erde gelangt, sehen Astronomen dasselbe Objekt nicht nur doppelt und dreifach, sondern, je nach Lichtlaufzeit, auch zu verschiedenen Zeitpunkten. So entdeckten Astronomen um Patrick Kelly von der Universität von Kalifornien in Berkeley vor einem Jahr mithilfe des Weltraumteleskops „Hubble“ zunächst vier Abbildungen einer seltenen Sternexplosion in einer fernen Galaxie. Die Bilder dieser Supernova wurden von einer Gravitationslinse im Sternbild Löwe an den Nachthimmel geworfen.

Die Linse zeigt eine Sternexplosion im Zeitraffer

Die Linse beschert Astronomen vermutlich noch weitere Bilder derselben Sternexplosion. Berechnungen zufolge wird der Beginn der Supernova unter einem bestimmten Blickwinkel erst Anfang 2016 sichtbar werden. Forscher werden ihren Verlauf dann womöglich im Detail studieren können.

Derart zeitversetzte Einblicke in das kosmische Geschehen sind spektakulär. Nicht weniger faszinierend sind die Gravitationslinsen selbst. Die Art und Weise der Lichtablenkung und -verstärkung verrät viel über die in den Linsen zusammengeballte Materie. Astronomen können auf diese Weise auch die im Kosmos vorherrschende dunkle Materie nachweisen, die ebenfalls den Gesetzen der einsteinschen Gravitationstheorie genügt und Lichtstrahlen vom Kurs abbringt.

Ein Beispiel dafür ist der „Bullet-Cluster“ im Sternbild Carina. Er ist einst aus der Kollision zweier Galaxienhaufen hervorgegangen. Zwischen den Haufen leuchtet verdichtetes Gas. Abgesehen davon haben sich die beiden Galaxienhaufen bei dem Zusammenstoß nahezu ungehindert durchdrungen. Das gilt insbesondere für die dort vermutete dunkle Materie. Im „Bullet-Cluster“ ist offenbar viel mehr Masse in Form von dunkler Materie konzentriert, als die sichtbaren Sterne und Gaswolken in sich vereinen. Nach heutigem Kenntnisstand trägt die dunkle Materie dort wie im gesamten Kosmos fünf Mal mehr zur Energiedichte bei als sämtliche uns bekannten Materieformen.

Eine Vereinigung der allgemeinen Relativitätstheorie mit der Quantenphysik ist vorerst Zukunftsmusik

Woraus besteht sie? Forscher rätseln bis heute über ihre Zusammensetzung. Wird es Physikern am Teilchenbeschleuniger in Genf gelingen, die hypothetischen Elementarteilchen der dunklen Materie nachzuweisen? Bislang haben Teilchenphysiker in ihren Laboratorien keine entscheidenden Hinweise darauf gefunden, was die dunkle Seite des Universums ausmacht. Was verbirgt sich hinter der dunklen Energie? Gibt es einen physikalischen Prozess, der den Kollaps eines massereichen Sterns zum schwarzen Loch irgendwann stoppen könnte?

Solange solche Fragen nicht beantwortet sind, wird eine Vereinigung der allgemeinen Relativitätstheorie mit der Quantenphysik wohl Zukunftsmusik bleiben. Doch obschon die Suche nach einer Weltformel weiter auf sich warten lässt. Wenn es allein um Aspekte der Gravitation geht, bildet Einsteins Theorie nach wie vor einen verlässlichen Rahmen für die zeitgenössische Kosmologie. 100 Jahre nach Einsteins Geniestreich ist sie eine der am besten bestätigten wissenschaftlichen Theorien. Und immer noch für viele Überraschungen gut.

Von dem Autor ist soeben das Buch „Allein gegen die Schwerkraft. Einstein 1914–1918“ (308 Seiten, 21,90 Euro) im Hanser Verlag erschienen.

Zur Startseite