Quotendeutsch: Die DNA der Frauensprache
Herr Präsident oder Frau Präsidentin? - Der US-Wahlkampf rückt auch den sprachlichen Umgang mit dem Weiblichen ins Blickfeld. Es scheint die patriarchal geprägte Grammatik passt nicht mehr in die Zeit.
In regelmäßigen Abständen erhebt eine alte Debatte ihr Haupt in deutschen Feuilletons: die um das „Quotendeutsch“. So fragte gerade erst „Focus online“, ob das Wort „Präsidentin“ frauenfeindlich sei, die Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ wehrt sich in ihrer aktuellen Ausgabe gegen „zwanghaft verweiblichtes Deutsch“ und in der früher sehr angesehenen Kulturzeitschrift „Merkur“ befasste sich Rainer Paris, Soziologe an der Fachhochschule Magdeburg, unter der Überschrift „Bescheuertheit“ mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache.
Paris’ Artikel ist eine Hasstirade gegen Frauen, progressive Ideen, den Feminismus im Allgemeinen und die feministische Sprachpolitik im Besonderen. Laut Paris machen die Feministinnen mit ihrer bescheuerten Gleichmacherei alles Schöne kaputt, vor allem die „Geschlechterspannung“. Er unterstellt, feministische Sprachkritik sei eine „totalitäre Ideologie“ und ihr „Quotendeutsch“ erinnere an Orwells „Neusprech“. Fakt ist hingegen, dass feministische Sprachkritik von der Basis ausgeht und vom Establishment jahrzehntelang bekämpft wurde. Seit die Frau aus ihrem Familiengefängnis heraus nach voller Teilhabe am gesellschaftlichen Leben strebt, wird die Sprache weltweit als defizitär empfunden. Die feministische Sprachkritik kam aus den USA zu uns herüber. Sie war eine naheliegende Weiterentwicklung der Kritik der Bürgerrechtsbewegung an diskriminierenden Ausdrücken wie „nigger“, oder „boy“ für erwachsene Männer.
Ferner behauptet Paris: „Feminismus ist Abtreibung von Spielfähigkeit.“ In Wahrheit hat feministische Sprachkritik immer fröhlich mit Sprache herumgespielt gegen rigide patriarchale Grammatikregeln. Ihr verdanken wir zum Beispiel Begriffe wie „herstory“ (statt „his-story“) und „shero“ (statt „hero“) oder das produktive Wortspiel „frau“, wie in „Wenn frau ihr Kind stillt“ – „Wenn man sein Kind stillt“ fanden Frauen wenig stimmig. Bei seinen Bemühungen, die feministische Sprachkritik lächerlich zu machen, hält Paris weder irgendwelche Literaturkenntnis für notwendig noch eine sachliche Analyse der beträchtlichen linguistischen Probleme, die mit dem Versuch verbunden sind, Sprache gerechter zu machen.
Was will die feministische Sprachpolitik wirklich? Hillary Clinton sagte neulich in einer Wahlkampfrede: „The next president of the United States will have to roll up his or her sleeves and start working from day one.“ Zu deutsch: „Der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird seine oder ihre Ärmel hochkrempeln und vom ersten Tag an hart arbeiten müssen.“ Klingt holprig, aber das liegt an der Männersprache Deutsch.
Das Deutsche eine Männersprache? Naive Naturen können sich das nicht vorstellen. Sie glauben noch immer, die Grammatik kenne keine Geschlechterungerechtigkeiten, sie sei vielmehr völlig neutral. Wissenschaftlich ist die Annahme, die Regeln der Sprache hätten sich unbeeinflusst von jahrtausende alten Machtstrukturen entwickelt, unhaltbar. Sprache ist kein Natur-, sondern ein historisch-gesellschaftliches Phänomen. Als solches darf sie auch kritisiert und verändert werden. Wenn Frauen bis vor etwa 50 Jahren in der Politik und allen anderen Machtzentren kaum vorkamen, so hat das in der Tiefe der Grammatik Spuren hinterlassen – die das Sprechen und Schreiben in einer geschlechtergerechter gewordenen Gesellschaft bis heute behindern.
Auffällig sind zumal die zahlreichen Personenbezeichnungen im Maskulinum, zu denen sich Feminina morphologisch ableiten lassen: der/die Lehrer-in; der/die Arbeiter-in. Die Feminina als abgeleitete Formen existieren hier nicht unabhängig von den Maskulina, es besteht eindeutig ein Verhältnis der Voraussetzung – so wie es das Wort „Engländer“ ohne England nicht gäbe. Wie so manche sprachliche Absurdität lässt sich auch diese historisch erklären. Das formal gesehen unökonomische und absurde System ist ökonomisch und sinnvoll genau dann, wenn die männliche Hälfte der Menschheit als Norm gilt und die weibliche Hälfte von der männlichen abhängig ist und auch so wahrgenommen wird.
Während weibliche Formen gewöhnlich durch Suffixe von den männlichen gebildet werden (Gott – Göttin, Schirmherr – Schirmherrin), gibt es den umgekehrten Fall für Nutztiere häufiger (Ente – Enterich usw.), für Menschen jedoch nur zweimal: Hexe – Hexer, Witwe – Witwer. Nicht einmal die sogenannte Rückbildung wird akzeptiert: Aus „Kindergärtnerin“ wird nicht „Kindergärtner“, sondern „Erzieher“. Aus „Krankenschwester“ nicht Krankenbruder, sondern Krankenpfleger. Aus „Hebamme“ nicht „männliche Hebamme“, sondern „Geburtshelfer“. Entsprechend werden die abgeleiteten Feminina auch von Frauen oft noch als zweitrangig empfunden, die Bezeichnung von Frauen mit einem Maskulinum wird hingegen als Aufwertung interpretiert: „Ich bin Ingenieur“, formulieren besonders ostdeutsche Frauen. Bei aus Adjektiven und Partizipien abgeleiteten Personenbezeichnungen mit Differentialgenus (die/der Abgeordnete; die/der Jugendliche) ist die feminine Form nicht aus der maskulinen abgeleitet. Trotzdem bezeichnet „der Angestellte“ sowohl den männlichen Angestellten als auch die Spezies der Angestellten. Theoretisch hätte für diese Neutralisierungsaufgabe auch das Femininum ausersehen werden können. Wenn „er“ gleichwohl als neutraler empfunden wird als „sie“, ist das nicht im Wesen der Grammatik begründet – die Ursachen liegen außerhalb.
Die Bezeichnung für den Mann wird stellvertretend für beide Geschlechter verwendet: die Bezeichnung für „das Wichtige“ soll stellvertretend auch das „weniger Wichtige“ einschließen. Aus einer weiblichen Gruppe machen die meisten Sprachen deshalb symbolisch eine Männergruppe, sobald ein einziger Mann hinzukommt. 99 Sängerinnen und ein Sänger sind auf Männerdeutsch „100 Sänger“ – und der Soziologe Paris will, dass das so bleibt. Hier ist ihm „Geschlechterspannung“ anscheinend weniger wichtig. Durch den Gebrauch generischer Maskulina werden Frauen in der Sprache aber unsichtbar gemacht – es wäre buchstäblich sprachlicher Selbstmord gewesen, hätte Hillary sich nur mit „he“ auf „the next president“ bezogen. Die Dominanz des Maskulinums in der Grammatik führt sogar dazu, die Kongruenzregel (das Prädikatsnomen stimmt mit seinem Bezugswort überein) zu verletzen („Die Uni ist der größte Arbeitgeber am Ort“) oder zu Referenzproblemen („Bei jedem ist die Schwangerschaft anders“).
Was ist zu tun? Gerecht wäre nach all den Jahrhunderten des „Mitgemeintseins“ mal eine Umkehrung: Wir sagen nur noch „Berlinerinnen“ und versichern den Männern, sie seien selbstverständlich immer herzlich mitgemeint. „Die Nächste bitte“ ist nicht länger als „der Nächste bitte“. „Jede kommt mal dran“ ist sogar noch kürzer als „jeder kommt mal dran“, „die Witwe“ schreibt sich schneller als „der Witwer“. Der Vorzug dieses Verfahrens bestünde darin, dass die oft als schwerfällig und ästhetisch minderwertig kritisierten Doppelformen („Lehrerinnen und Lehrer“) nicht nötig werden. Doch so mutig sind noch immer nur wenige Sprecher und Schreiberinnen des Deutschen. Immerhin gibt es einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihren Publikationen mal die männliche und mal die weibliche Form als Oberbegriff für beide Geschlechter verwenden.
Gesellschaftlich weniger riskant ist hingegen die sanfte Humanisierung der Sprache mit einem Bündel von Maßnahmen, abgekürzt als DNA:
D wie Differenzierung oder Doppelform: „jede/r“
N wie Neutralisierung („Studierende“)
A wie Abstraktion („Ministerium“ statt wie früher „Der Minister“, etc.)
Der Einwand von Journalistinnen, platzfressende Doppelformen schadeten dem Lesefluss, Abstraktion und Neutralisierung der Anschaulichkeit, ist nicht unberechtigt. Doch soll eine Sprache nicht nur bequem, sondern auch gerecht sein. Sollen die Frauen mit ins Boot, wird es halt etwas eng und unbequem, aber das ist kein Grund, sie hinauszuschubsen. Kann die DNA auch nicht durchgängig verwendet werden: Durch den Gebrauch weiblicher Bezeichnungen haben wir es selbst in der Hand, andere dazu zu bringen, an Frauen zu denken. Ganz einfach – und hocheffektiv. Viele finden diese Idee unwiderstehlich und haben, unterstützt durch zahllose Empfehlungen, Richtlinien und Erlasse, in den letzten 30 Jahren weltweit einen Sprachwandel in Gang gesetzt, der nicht mehr aufzuhalten ist. Das Maskulinum wird nie mehr das sein, was es mal war.
Luise F. Pusch
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