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Noch werden die Berliner Busse von Fahrern manövriert. Ob sich autonomes Fahren bewährt, wollen das Land Berlin, die BVG und die Charité in einem Projekt testen.
© Matthias Heyde

Humboldt-Universität zu Berlin: Die Arbeitswelt kommt in Bewegung

Technische Revolutionen vernichten nicht nur Jobs, sondern lassen auch neue Berufe entstehen.

Autonom fahrende Autos sind eines der großen Zukunftsthemen rund um die Mobilität – und zugleich ein Beispiel dafür, wie Digitalisierung sich auf alle unsere Lebensbereiche auswirkt. 2018 ist es damit auf dem Campus der Charité in Mitte sowie am Virchow-Klinikum in Wedding soweit. Vier selbstfahrende Kleinbusse mit elektrischem Antrieb werden Mitarbeiter, Patienten und Besucher auf drei Routen mit festen Haltestellen befördern. Die Strecken werden zuvor für die Software der Busse kartiert. Sensoren informieren, wenn Hindernisse auftauchen. Informationen wie die zulässige Geschwindigkeit – auf dem Charité-Gelände 20 Kilometer pro Stunde – werden vorab programmiert.

Im zweiten Schritt könnten nicht nur Personen, sondern auch Waren mit autonomen Autos transportiert werden. Das Projekt gilt als Vorreiter für den zukünftigen Verkehr in ganz Berlin. Die Klinikgelände in Mitte und Wedding, Abbilder der Stadt im Kleinen, fungieren als Versuchslabore. Nicht bloß Mobilität ist Thema bei diesem Vorhaben. Die Betreiber Charité und BVG betonen, dass es mitnichten Ziel sei, durch autonomes Fahren Mitarbeiter zu entlassen, sondern die ohnehin überlastete Belegschaft zu entlasten. Diese Beteuerung im Kleinen spiegelt ebenfalls ein deutlich größeres Phänomen wider.

Die Arbeitswelt wird von der Digitalisierung in besonderem Maße erfasst. Das sah man, als in den 1990er Jahren flächendeckend Computer in Büros Einzug hielten. Was seinerzeit prognostiziert wurde, kam nicht: Das papierlose Büro ist immer noch in weiter Ferne. Dafür gibt es nun Homeoffice und Internetcafés, in denen Freiberufler mit ihrem Laptop arbeiten. Viele Arbeiten kann man heute fast überall erledigen. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist damit durchlässiger geworden.

Müssen Arbeitnehmer nervös werden?

„Ständige Verfügbarkeit ist ein Wert, an dem sich nicht nur Freiberufler, sondern auch Angestellte werden messen lassen müssen“, sagt Andreas Eckert. Der Arbeitsschwerpunkt des Historikers am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität liegt auf Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive. „Andererseits empfinden Menschen diese Entgrenzung auch als Befreiung, weil sie arbeiten können, wo und wann es ihnen beliebt. Ob es sich dabei um Fluch oder Segen handelt, hängt von der konkreten Situation ab.“ Die klare zeitliche wie räumliche Trennung von Privatem und Dienstlichem ist jung, eine Folge der Industrialisierung. Bis vor rund 200 Jahren hat die große Mehrheit in der Landwirtschaft gearbeitet. Nine-to-five ist auf dem Bauernhof, wo man lebt und arbeitet, unbekannt.

Einige Wissenschaftler prognostizieren, dass smarte Technologien vor so gut wie keinem Berufsfeld mehr haltmachen werden. Besonders großes Aufsehen erregten der schwedische Ökonom Carl Benedikt Frey und der Informatiker Michael Osborne. Sie veröffentlichten 2013 die sogenannte Oxford-Studie, in der sie untersuchten, wie anfällig Arbeitsplätze für die Digitalisierung sind. Die Autoren haben für den US-Arbeitsmarkt die Zukunftsaussichten von gut 700 Berufsgruppen angesichts der Konkurrenz durch Roboter und Computer berechnet. Ihr Fazit: Rund die Hälfte der Jobs ist innerhalb der nächsten 20 Jahre bedroht. Müssen alle Arbeitnehmer nun nervös werden? „Die Studie zeichnet schon ein sehr düsteres Bild“, wendet Eckert ein. „Hier muss man aber genauer hinsehen, dann wird das Bild deutlich differenzierter.“ Jobs in Branchen wie etwa dem Versicherungswesen würden sicher nicht vollständig durch Computerarbeit ersetzt. Es werde bestimmte Abteilungen und Jobprofile treffen, so der Professor.

Die Welt rückt immer enger zusammen

Angst vor der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch technischen Fortschritt ist kein neues Phänomen, das erst die Digitalisierung verursacht hätte. Schon die ersten Manufakturen und Fabriken machten die Handarbeit vieler Menschen überflüssig. Jede Maschine, die Arbeitsabläufe effizienter macht, kostet automatisch Arbeitsplätze. Das sieht man zum Beispiel am Hamburger Hafen. Früher schufteten dort Heerscharen von Arbeitern unter größter Anstrengung, heute sieht man dort nur noch vereinzelt Leute, die Fahrzeuge lenken oder Kräne bedienen. Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis – ein Mann arbeitet über Jahrzehnte für ein großes Unternehmen und ernährt davon seine Familie – war schon in den Jahrzehnten nach dem Krieg nur das Lebensmodell einer Minderheit. „Dass Arbeitsplätze verschwinden, ist auch nur die eine Seite des Fortschritts“, sagt Eckert. „Neue Technologien müssen schließlich entwickelt, gebaut und bedient werden, so entstehen neue Arbeitsplätze.“ Das Auto etwa verdrängte die Droschken samt Pferden und Ställen, stattdessen kamen Tankstellen und Werkstätten. Vor 20 Jahren waren Jobs wie Programmierer oder System-Administrator noch kein Thema.

„Die Digitalisierung bringt allerdings eine besondere Dynamik in den Arbeitsmarkt, weil sie die Globalisierung forciert“, sagt Eckert. „Der weltweite Transfer von Informationen und Material ist auch durch Computertechnik deutlich günstiger und schneller geworden.“ So werden Produkte in Europa, Japan oder den USA entwickelt, aber dann zum Beispiel in China produziert. Gerade im wachsenden Dienstleistungssektor haben Unternehmen durch Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten. Wer etwa in Deutschland eine Kunden-Hotline wählt, landet schnell mal in einem indischen Call-Center. „Arbeitsplätze werden also durch IT nicht unbedingt vernichtet, aber mit ihrer Hilfe dorthin ausgelagert, wo die Arbeit besonders billig ist“, so Eckert. Die Welt rückt ökonomisch und sozial immer enger zusammen. Im globalen Maßstab bleibt das Wohlstandsgefälle bislang jedoch extrem. „Da entstehen Konflikte, die auf nationaler Ebene nicht gelöst werden können“, warnt Eckert. „Hier ist die Politik in besonderem Maße gefordert.“

In vier Schritten von der Dampfmaschine zum Internet der Dinge

Industrie 1.0:

Ab etwa 1800 wurden zunehmend Dampfmaschinen eingesetzt, die anfangs Webstühle ersetzten. Das Zeitalter von Kohle und Schwerindustrie begann. Eisenbahnen und Dampfschiffe erschlossen die Welt.

Industrie 2.0: Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich die Elektrizität als neue Antriebskraft. In der Automobilproduktion wurde die Arbeit erstmals durch Fließbänder und Motoren weiter automatisiert. Telefon und Telegramm vereinfachten die Kommunikation.

Industrie 3.0: Der Berliner Konrad Ernst Otto Zuse entwickelte mit dem Z3 schon 1941 den ersten funktionsfähigen Computer. In den 1970er Jahren trieben große Rechenmaschinen die Automatisierung in größerem Maßstab voran. Ab den 1980ern begründete der PC für Büro und Haushalt einen neuen Industriezweig.

Industrie 4.0: Das Web wird zum „Internet der Dinge“: Über intelligente und

digital vernetzte Systeme kann zunehmend selbstorganisiert produziert werden – bis hin zum 3D-Drucker für jedermann. Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren direkt miteinander.

Der Artikel ist am 14.Oktober 2017 in einer Beilage der Humboldt-Universität zum Start des Wintersemesters 2017/2018 erschienen.

Lars Klaaßen

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