Brustkrebs: Diagnose mit ein paar Tropfen Blut
Statt einer Gewebeprobe aus der Brust wollen Heidelberger Forscher Brustkrebs anhand einer Blutprobe diagnostizieren - trotz Zweifeln an der Verlässlichkeit.
Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen in Deutschland, Zehntausende erkranken jedes Jahr daran. Um die Krankheit frühzeitig aufzuspüren, folgt auf einen positiven Befund einer Mammografie- oder Ultraschall-Untersuchung in der Regel ein operativer Eingriff, um den Krebs anhand einer Gewebeprobe zu diagnostizieren.
Weniger invasiv und schonender für die Patientin wären Bluttests, die etwa anhand von krebstypischen Proteinen, Botenstoffen oder Erbmaterial eine Krebserkrankung erkennen. Solche "Liquid Biopsy" wird schon seit längerem für den Nachweis unterschiedlicher Krebsarten entwickelt, jetzt hat eine Forschergruppe um den Ärztlichen Direktor der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, Christof Sohn, ein Verfahren zum Nachweis von Brustkrebs vorgestellt: Bei 500 untersuchten Brustkrebspatientinnen habe der Test in 75 Prozent der Fälle die Erkrankung korrekt angezeigt.
Orakeln mit Blut
Die Ergebnisse sind allerdings nur schwer einzuschätzen. Eine 75prozentige Test-Sensitivität, also das korrekte Erkennen Erkrankter als krank, gilt in der Diagnostik als wenig beeindruckend, da von 500 Kranken immerhin 125 nicht erkannt werden. Eine Einschätzung des Tests durch unabhängige Experten steht noch aus, da nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) bislang keine begutachtete Studie in einem Fachmagazin erschienen ist.
Der DKFZ-Fachmann zu diesem Thema wollte sich der Nachrichtenagentur dpa gegenüber nicht zu dem neuen Test äußern, da er nur spekulieren könne. Allerdings kommentierte der Genomforscher Holger Sültmann, Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung am DKFZ und Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg Anfang des Jahres eine "Liquid Biopsy"-Studie, die im Fachblatt "Science" veröffentlicht wurde.
Darin wurde mit dem Test "CancerSEEK" das Blut von 1005 krebserkrankten Patienten und 850 Gesunden auf acht verschiedene Krebsarten, darunter auch Brustkrebs, untersucht. Die Sensitivität des Verfahrens betrug im Mittel nur 70 Prozent, bei 1000 Krebskranken wurde die Erkrankung also nur in 700 Fällen erkannt.
Die Entdeckung von Tumoren in einem frühen und daher meist erfolgreicher behandelbaren Entwicklungsstadium lag sogar nur bei 43 Prozent, "das heißt, weniger als jeder zweite Krebsfall wird gefunden", sagte Sültmann. Brustkrebspatienten wurden sogar nur in 33 Prozent der Fälle korrekt erkannt, zwei Drittel wurden übersehen. Insgesamt sei „die diagnostische Aussagekraft – global über viele Krebsarten gesehen – derzeit für die klinische Praxis zu niedrig", so Sültmann.
Noch in diesem Jahr in die Praxis
Christof Sohn, der den blutbasierten Brustkrebstest Medien am Donnerstag in Düsseldorf vorstellte, meint hingegen, dass die Brustkrebsdiagnostik mit dem neuen Test erweitert werden könne. Nach Angaben des Uniklinikums in Heidelberg sind mit dem neuen Bluttest innerhalb von zwölf Monaten gut 900 Frauen untersucht worden - mehr als 500 waren Brustkrebs-Patientinnen, rund 400 Frauen gesund.
Bei den Erkrankten sei bei drei von vier Frauen der Krebs erkannt worden. Mit dieser Trefferquote sei die Liquid Biopsy in den Heidelberger Tests somit in etwa vergleichbar mit der Mammografie, sagt Sohn. Eine Konkurrenz zur Bildgebung, etwa das Mammografie-Screening oder Ultraschall-Untersuchungen zur Frühdiagnostik von Brustkrebs, sei das Verfahren aber nicht. Es handele sich um ganz unterschiedliche Methoden.
Auf die Frage, ob es auch bei den gesunden 400 Frauen Fehlalarme gab - in diesen Fällen also einen falscher Befund - antwortet Sohn: "Selbstverständlich." Und: "Wir werden immer eine Unschärfe haben." Eine konkrete Zahl, mit der sich die Spezifität des Tests einschätzen ließe (die Genauigkeit des Tests, Gesunde als gesund zu erkennen), nennt er auf Nachfrage nicht. Fehlalarme ("falsch positive") gibt es auch bei Mammografien, was zu unnötigen Eingriffen ("Übertherapien") führt und ein wichtiger Kritikpunkt an der Mammografie ist.
Den Angaben zufolge soll das Verfahren, auf das die Uni-Klinik ein Patent angemeldet und eigens die Firma HeiScreen gegründet hat, soll noch in diesem Jahr in der Praxis angewendet werden.
Kritik an schnellem Einsatz in der Praxis
Tanja Fehm, die Direktorin der Universitätsfrauenklinik Düsseldorf, spricht zwar von "spannenden wissenschaftlichen Daten", steht einem routinemäßigem Einsatz allerdings kritisch gegenüber. "Das ist noch nicht in großem Stil einsetzbar", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Zuvor seien Tests an viel mehr Frauen nötig. Es sei schade, wenn in Frauen Hoffnungen geweckt werden, die möglicherweise nicht zu halten seien.
Viele Fragen seien noch ungeklärt: Wie wirken sich beispielsweise Effekte wie Rauchen oder die Einnahme der Antibabypille auf die Ergebnisse aus? Wie lange nach einem negativen Testergebnis können sich Frauen sicher fühlen? Was bedeutet es, wenn ein Bluttest positiv, das Mammografie-Screening aber negativ ist? Eine wichtige Frage ist auch, wie oft ein solcher Test einen Krebsherd detektiert, der nie zu einer Bedrohung für den Menschen geworden wäre und womöglich unnötige, belastende Behandlungen nach sich zieht.
Fehm warnt davor, den neuen Bluttest schon jetzt mit Mammografie-Screenings zu vergleichen. Das gebe die Datenlage zum neuen Verfahren derzeit noch nicht her.
Vor einer Einführung von Liquid Biopsy-Tests plädiert Klaus Pantel, Direktor des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, für eine Verifizierung der Technologie, etwa eine bioinformatische Auswertung in einem unabhängigen Labor oder in Ringversuchen, mit denen die Qualität von Messverfahren abgeschätzt werden kann. Außerdem sei "eine sehr umfangreiche, prospektive Kohortenstudie zur Validierung des Bluttests an einer großen Zahl von Versuchspersonen, wahrscheinlich mehreren zehntausend, notwendig".
Früher Krebsnachweis erhöht die Heilungschancen
Brustkrebs ist laut Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts mit rund 69.000 Neuerkrankungen jährlich die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Dem Heidelberger Uni-Klinikum zufolge liegen die Heilungschancen bei früher Erkennung mit 95 Prozent aber sehr hoch. Nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts starben im Jahr 2016 18 570 Frauen an Brustkrebs.
Bislang basiert die Früherkennung von Brustkrebs in der Hauptsache auf regelmäßigem Abtasten und dem Mammografie-Screening, einer Röntgenuntersuchung der Brust. Frauen zwischen 50 und 69 Jahren können alle zwei Jahre auf Kosten ihrer Krankenkasse zur Mammografie in einem spezialisiertem Screening-Zentrum gehen. Laut Expertin Fehm ist bislang kein Bluttest auf Brustkrebs in Deutschland auf dem Markt. (mit dpa)