Internationale Bildungsstudie: Deutsche Grundschüler können vergleichsweise gut lesen und rechnen
Licht und Schatten in den deutschen Grundschulen: Zwar haben die Schüler die Leistungen gehalten - bei einem deutlich höheren Anteil aus Migrantenfamilien. Doch gibt es auch deutliche Schwächen.
Deutsche Grundschüler schneiden im internationalen Vergleich gut ab. Im Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften landen die getesteten Viertklässler mit ihren Schulleistungen jeweils im oberen Drittel der Rangfolge von weltweit insgesamt 45 Staaten für die Lesestudie Iglu und 50 Staaten sowie sieben Regionen für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungsvergleich Timss. Das gab die OECD am Dienstag in Berlin bekannt. Beide Studien bestätigten die guten Leistungen, die deutschen Grundschülern bereits vor fünf Jahren bescheinigt wurden.
Deutsche Bildungspolitiker werteten die Ergebnisse als erfreulich. „Erneut zeigt sich, dass Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen in Deutschland gute Arbeit leisten“, erklärten der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, und die Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium (BMBF) Cornelia Quennet-Thielen. Dazu hätten auch bildungspolitische Initiativen der vergangenen Jahre wie der „erhebliche Ausbau der Sprachförderung“ und der Ausbau der Ganztagsschulen beigetragen.
Im Lesen erreichen die im Schnitt zehnjährigen Schülerinnen und Schüler aus Deutschland einen Leistungsmittelwert von 541 Punkten und liegen damit deutlich über dem internationalen Mittelwert von 512 Punkten sowie über dem EU-Schnitt von 534 Punkten. Damit liegt Deutschland vor Ländern wie Österreich, Frankreich und Norwegen. Weitaus besser lesen allerdings Grundschüler in der Spitzengruppe mit Hongkong, der Russischen Föderation, Finnland und Singapur, die Werte zwischen 571 und 567 Punkten erreichen. Deutlich vor Deutschland platzierten sich auch die USA, Dänemark und England.
Als besonders erfreulich merken die Bildungsforscher um den wissenschaftlichen Leiter der deutschen Studien, Winfried Bos (Institut für Schulentwicklungsforschung; TU Dortmund), an, dass ein Großteil der deutschen Grundschulkinder dem Lesen, der Mathematik und dem Sachunterricht gegenüber positiv eingestellt ist. Gerade im Lesen habe sich die Motivation im Vergleich zu Iglu 2001 und 2006 „kontinuierlich verbessert“. In Mathematik dagegen könne lediglich eine geringfügige Veränderung der Einstellung im Vergleich zu 2007 festgestellt werden. Gleichzeitig sind die Gruppen der Kinder, die nur über eine geringe Motivation in den drei Bereichen mitbringen, noch immer zu groß, heißt es: Am Lesen und an den Naturwissenschaften ist jedem zehnten Kind die Lust vergangen, zu Mathematik hat sogar jedes sechste Kind keine positive Einstellung.
Trotz der vermehrten Lust aufs Lesen haben sich die deutschen Grundschüler gegenüber früheren Iglu-Studien nicht weiter verbessert. Hatte sich 2006 gegenüber 2001 eine signifikante Verbesserung gezeigt, entsprächen die Leistungen von 2011 „in etwa dem Leistungsniveau von 2001“, heißt es. 15,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die nicht die Kompetenzstufe III und damit kein ausreichendes Leistungsniveau im Lesen erlangt haben, würden in der Sekundarstufe I „mit erheblichen Schwierigkeiten beim Lernen in allen Fächern konfrontiert sein“. Und in Deutschland erklären 11,3 Prozent der Zehnjährigen, „nie oder fast nie außerhalb der Schule zu ihrem Vergnügen zu lesen. Das ist jedes sechste Kind; 2001 war es allerdings noch jedes neunte.
Neue Statistik entkräftet Vorurteile zur Erziehung in Familien mit Migrationshintergrund
Die höchste Kompetenzstufe V, auf der sie Aussagen von Texten eigenständig interpretieren und dies „kombinierend begründen“ können, erreichen gerade einmal 9,5 Prozent der Schüler. In Ländern wie der Russischen Föderation, England oder auch Ungarn lesen dagegen 19,3 bis 12,2 Prozent der Schüler auf einem so hohen Niveau.
Konstante Leistungen, aber keine Verbesserungen: Das gilt auch für Mathematik und Naturwissenschaften, für die die Bildungsforscher Timss-Ergebnisse von 2007 und 2011 verglichen haben. In Mathematik aber verzeichnet die neue Studie immerhin bessere Leistungen in den Bereichen Geometrie/Messen und Umgang mit Daten. Doch nur 5,2 Prozent der deutschen Grundschüler haben „mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung verhältnismäßig komplexer Probleme und können ihr Vorgehen erläutern“. Mit 19,3 Prozent ist jedoch die Gruppe der Kinder, die in Mathematik „allenfalls über elementares mathematisches Wissen sowie über elementare mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten“ verfügt, sehr viel größer. In den naturwissenschaftlichen Fächern erreichen sogar 22 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler nicht die Kompetenzstufe III und verfügen damit lediglich über „naturwissenschaftliches Anfangswissen“. Die höchste Kompetenzstufe V, auf der Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, „naturwissenschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und zu begründen sowie einfache Versuchsanordnungen zu interpretieren und Schlussfolgerungen zu ziehen“, erreichen lediglich 7,1 Prozent. Unter anderem in den USA, Japan, England und Schweden ist diese Spitzengruppe mit 14,7 bis gut 10 Prozent wesentlich größer.
Die neue Statistik entkräftet auch Vorurteile zur Erziehung in Familien mit Migrationshintergrund. Insgesamt nur 0,8 Prozent der Kinder sprächen zuhause nie deutsch. „Man kann schwerlich von Parallelgesellschaft sprechen“, sagte Bos. „Es sind gerade 4 Prozent unserer Migranten, wo zuhause nie Deutsch gesprochen wird.“ Insgesamt seien die Migranten die Bildungsgewinner im Grundschul-Test. Allerdings seien Kinder mit Migrationshintergrund weiter benachteiligt. „Wir kriegen es schlechter hin als der Durchschnitt der OECD.“ Bulgarien und Ungarn schnitten hier noch schlechter ab. Die Leistungen seien oft an die Schichtzugehörigkeit gekoppelt. „Ein Kind von einem Professor oder einem Chefarzt hat eine 4,7-fache Chance zur Gymnasialempfehlung im Vergleich zu einem Facharbeiter“, erläuterte Bos.
Als eine Konsequenz aus den teilweise stagnierenden Leistungen der Grundschüler kündigten KMK-Chef Rabe und Staatssekretärin Quennet-Thielen an, dass der naturwissenschaftlich-technische Unterricht „systematisch gestärkt“ werden sollte. Auch eine „systematische und durchgängige Sprach- und Leseförderung“ bleibe „Voraussetzung für jeglichen Bildungserfolg“ und sei „in allen Fächern von zentraler Bedeutung“. Insbesondere die individuelle Förderung leistungsstarker und leistungsschwacher Kinder solle weiter ausgebaut werden – vor allem an den Ganztagsschulen. (mit dpa)
Amory Burchard