Kolonialismus-Propaganda: Deutsch-Südwestafrika als Heimatidylle
Ein Berliner Verlag schickte ab 1907 drei Fotografen auf Reisen, um die Identität als Kolonialmacht zu stärken. Jetzt wird das Propagandawerk analysiert.
Eine kleine Bahnstation mit klassizistischem Fassadenschmuck, zwei Herren plaudernd am Gleis und im Hintergrund ein Berggipfel. Eine Idylle wie aus der deutsch-alpinen Provinz – wären da nicht die eigentümliche Form der Bäume und der Wüstensand im Vordergrund. Das Farbfoto zeigt die Bahnstation Ababis in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Was so harmlos vertraut wirkt, ist in Wirklichkeit Teil eines großen Propagandawerkes, das den Besitz deutscher Kolonien rechtfertigen soll.
Jens Jäger, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Köln, forscht mit Unterstützung der Gerda-Henkel-Stiftung zum Thema „Koloniale Propaganda in Farbe“. Bisher hat man in der Forschung vornehmlich Textquellen und kaum Bildquellen untersucht, dabei spielten diese bei der Verbreitung der Kolonialidee eine große Rolle.
Unterwegs für das Werk "Die Deutschen Kolonien"
Die deutschen Kolonien waren trotz höherer Gehaltszahlungen als Siedlungsgebiet äußerst unbeliebt. Dazu trugen gewiss auch die Tropenkrankheiten bei. Hinzu kam, dass die Aufstände der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (heute Nambia) von 1904 bis 1907 sowie der Maji-Maji-Aufstand von 1905-1908 in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) gegen die brutale Willkürherrschaft der Deutschen dem Ansehen der Kolonien nicht gerade förderlich waren. Die ausländische Presse berichtete über diese Ereignisse in den deutschen Kolonien.
Um das Bewusstsein dafür zu stärken, dass diese Kolonien zum Deutschen Reich und damit zur „deutschen Heimat“ gehörten, musste etwas getan werden. Hilfreich war dabei eine geniale Erfindung, die es erlaubte, Farbfotos in exzellenter Qualität mit Hilfe von je drei Negativen direkt zu drucken. Dieses „Miethesche Dreifarbenverfahren“ hat Adolf Miethe, Professor für Fotochemie an der Königlich Technischen Hochschule Charlottenburg (heute TU Berlin) 1902 veröffentlicht.
Mit seiner Erfindung konnte Miethe auch Diashows veranstalten, die das Publikum faszinierten. „Miethe war ein genialer PR-Mann, er führte dem Kaiser seine Erfindung vor und so wurden aus diesem Umfeld drei Fotografen ausgewählt, die für das Werk ,Die Deutschen Kolonien’ alle Gebiete bereisen und fotografieren sollten“, erzählt Jäger.
Auf der Suche nach Originalen stieß Jäger im Bundesarchiv auf eine Akte, die ihm Auskunft über den Fotografen Robert Lohmeyer (1879-1959) gab, einen der drei Fotografen des Propagandawerkes. Dessen Sohn Wolfgang war ein Kinderstar zu Stummfilmzeiten und hatte seine Memoiren geschrieben. So ist Jäger letztendlich auf den Enkel gestoßen, der noch viele handschriftliche Notizen seines Großvaters aufbewahrt hat, die Einblick in die Arbeitsweise Lohmeyers geben. Lohmeyer hatte von 1902 bis 1907 an der Königlich Technischen Hochschule Charlottenburg Chemie studiert und kannte daher Miethe. Der wiederum hatte bei dem Berliner Tischler Bernpohl eine Spezialkamera in Auftrag gegeben, die nach Miethes Vorstellungen und Bedürfnissen gebaut wurde.
Mit Spezialkameras und Tickets Erster Klasse
Mit dieser Bernpohl-Kamera wurden Lohmeyer sowie Bruno Marquardt (1878-1916), der in Berlin, Dresden und Königsberg Malerei studiert hatte, und Eduard Kiewning (1843-1912/13 oder 1915), der auch als Fotochemiker in Rixdorf wirkte, vom Internationalen Weltverlag (Berlin) auf Reisen geschickt. Ausgestattet mit den Spezialkameras, Spezialplatten und Tickets Erster Klasse sowie üppigen Tagegeldern und Begleitschreiben machten die drei sich auf in die deutschen Kolonien. Nach Recherchen von Jäger haben ihre Reisen rund 10 000 Reichsmark gekostet, eine erhebliche Summe.
Lohmeyer reiste 1907 bis 1908 nach Togo und Kamerun und 1909 im Auftrag des Verlags Weller & Hüttich nach Deutsch Südwestafrika und Deutsch Ostafrika. Marquardt bereiste 1908 die pazifischen Kolonien Neuguinea und Bismarckarchipel, Samoa, weitere Inseln im Pazifik und schließlich Kiautschou in China. Kiewning wurde 1907 ebenfalls für ein halbes Jahr nach Deutsch-Südwestafrika entsandt.
Früher wurden die Passagiere der Ozeandampfer noch in den Zeitungen angekündigt. Das erleichterte dem Kölner Historiker die Dokumentation der Reiserouten der drei Fotografen, die sich auf ihren Reisen als äußerst trinkfest erwiesen hätten und das nicht nur, weil alkoholische Getränke sauberer waren als örtliches Trinkwasser.
Auftrag der Fotografen war es, die Kolonialgebäude und die Infrastruktur zu fotografieren. Die Landschaften sollten mit europäischem Blick eingefangen werden, Palmen und Wüsten durften vorkommen, aber zu exotisch sollte es auch nicht werden, die Exotik musste wieder eingehegt werden. „Die Dinge mussten irgendwie dem heimischen Publikum vertraut wirken“, sagt Jäger. So habe Lohmeyer bei der Beschreibung des Gouverneurspalastes von Lomé vermerkt, dass das Gebäude eine Kugel wie beim Warenhaus Tietz in Berlin kröne.
Die Fotos waren anonym, obwohl die Namen der Fotografen bekannt waren. „Die Fotos sollten für sich sprechen und nicht als Ausdruck eines Künstlers gesehen werden“, sagt Jäger. Er könne die Bilder anhand der Reiserouten zuordnen.
Eine Bowle aus Urwaldfrüchten und Moselwein
Der bekannteste der drei Fotografen ist Robert Lohmeyer. Jäger skizziert ihn als Patrioten mit Berliner Schnauze, der die Kolonialpolitik gut und richtig fand, zwar durchaus „tolerant“, allerdings nicht gut auf Katholiken zu sprechen gewesen sei und im Übrigen der Ansicht war, dass die Weißen allen anderen überlegen seien. „Lohmeyer war ein typischer Vertreter des protestantischen nationalen Bildungsbürgertums“, sagt Jäger. Er kann kuriose Anekdoten erzählen. So habe man im Kameruner Urwald mit mitgeführtem Moselwein und Sekt eine Bowle mit einheimischen Früchten angesetzt. Marquardt hatte 1898 nach dem Tod seines Vaters angefangen, Malerei zu studieren, was man seinen Fotos, vor allem seinen Porträtaufnahmen von indigenen Bewohnern, ansieht.
Die drei Fotografen waren produktiv, ihre besten Fotos wurden in dem zweibändigen Werk „Die Deutschen Kolonien“ veröffentlicht, das damals die astronomische Summe von 220 Reichsmark kostete. Herausgeber war Kurd Schwabe, ein Ex-Kolonialoffizier und ein Kolonialpropagandist. Eine einbändige schmale Ausgabe ging für 3,50 Reichsmark in viele Schulbibliotheken, auch Mappenwerke mit 48 Fotos wurden an die Schulen verkauft.
„…da war es schon: das Bild von Togo, bunt und groß, flach wie ein alter Stich, ein prachtvoller Druck, und vorne, vor den Kolonialhäusern, vor den Negern und dem Soldaten, der da sinnlos mit seinem Gewehr herumstand, vor allem war das große, ganz naturgetreu abgebildete Bündel Bananen …“, erinnert sich der Ich-Erzähler in Heinrich Bölls Erzählung „Wanderer, kommst du nach Spa“ (1950), die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs spielt. Noch in der Nazizeit war diese Sicht des kolonialen Erbes Teil der schulischen Erziehung.
Die Kolonialfotos wurden auch an Schifffahrtsgesellschaften verkauft, die sie für Werbezwecke nutzten – ebenfalls bis in die NS-Zeit. „Die Fotos dienten einer sogenannten zivilisatorischen Mission, sie funktionierten über die Ästhetik und sollten angenehme Gefühle hervorrufen“, sagt Jäger. Ziel seines Projektes ist es, die vorhandenen Fotos zu analysieren und sie am Ende auf einer interaktiven Online-Publikation der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, wo man nach eigenen Interessen recherchieren kann.