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Urhund. Steinzeit-Hunde waren noch nicht an menschliches Essen angepasst.
© Amelie Scheu, Uni Mainz

Hundeevolution: Der Wolf wurde nur einmal gezähmt

Mainzer Forscher haben tausende Jahre altes Erbgut von Hunden analysiert.

„Prähistorische DNS zu analysieren, die durch jahrhundertelange Lagerung im Boden beschädigt wurde, ist wirklich sehr schwierig und dauert Wochen und Monate“, seufzt Amelie Scheu von der Universität Mainz. Trotzdem ist es der Paläogenetikerin gelungen, etwa 7000 und 5000 Jahre altem Hunde-Erbgut Informationen über die Evolution des Vierbeiners zu entlocken. Ihre Ergebnisse sprechen nun gegen die bisherige Annahme, dass Menschen den Wolf mehrmals zähmten.

Die älteste Hundeknochen kommen aus Deutschland

In Deutschland finden sich die bislang ältesten, eindeutig identifizierten Überreste eines prähistorischen Hundes: 14700 Jahre als ist der Kieferknochen eines Canis lupus familiaris, des Haushunds, der bei Bonn-Oberkassel ausgegraben wurde. Scheu untersuchte einen Hundeschädel, der aus der Kirschbaumhöhle in der Fränkischen Alb stammt. „Er gehörte wohl einem Torfhund, einer prähistorischen Rasse, die dem heutigen Spitz ähnelt“, sagt Scheu. Wie der Hund aussah, zu dem der Knochenrest aus einer Grabungsstätte bei Herxheim stammt, ist unbekannt: „Wir haben nur ein winziges Stück und dachten erst, es sei ein Schaf oder eine Ziege.“ Erst die DNS-Analyse habe ergeben, dass der Splitter zu einem Hund gehörte. Ein Glücksfall, denn so konnten die Forscher mit dem 7000 Jahre alten, frühsteinzeitlichen Herxheimer Hund und dem spätsteinzeitlichen, 4700 Jahre alten Schädel aus der Kirschbaumhöhle eine wichtige Epoche in der Entwicklung des Haustiers Hund beleuchten.

Bislang nahmen Forscher an, dass es zwischen Jungsteinzeit und heute einen Austausch der Hundepopulation in Europa gab. Vor diesem Ereignis habe es vor allem Hunde mit einem Erbgut vom Typ C in den Mitochondrien gegeben, den energieliefernden Zellorganellen. Diese Tiere seien aber von Hunden mit Typ A verdrängt worden, sodass es heute nur noch zehn Prozent Hunde mit Typ C gibt. Das sprach für eine mindestens zweimalige Domestizierung des Hundes – irgendwoher mussten die A-Hunde ja gekommen sein.

Wilde Tiere lassen sich nur selten zähmen

„Wir finden keinen Hinweis auf einen großen Populationsaustausch“, widersprechen die Mainzer Forscher, die unter anderem mit Kollegen der Stony Brook University in New York zusammenarbeiteten, nun im Fachblatt „Nature Communications“. „Vielmehr sind unsere Ergebnisse in Einklang mit einem Szenario, in dem die modernen europäischen Hunde aus einer jungsteinzeitlichen Population hervorgegangen sind.“ So gehörten sowohl der frühsteinzeitliche Herxheimer Hund als auch der spätsteinzeitliche aus der Kirschbaumhöhle zum Erbguttyp C. Keine Spur von einem Populationsaustausch. „Aber unsere Studie ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss“, gibt Scheu zu. Neuere Funde könnten das Bild von der Evolution des Hundes verändern, wenn etwa Überreste von alten, bislang unbekannten Hunderassen gefunden werden. „Domestizierung ist ein komplexer Prozess, der nicht einfach so und ständig passiert.“ Ein wildes Tier an den Menschen zu gewöhnen, sei eher selten. Die sparsamste Erklärung sei, dass es nur ein Domestizierungsereignis gab. „Unsere Daten sprechen dafür.“

Wo der Wolf zum Haustier wurde, kann Scheu nicht sagen. „Die 5000 bis 7000 Jahre alten Hunde, die wir analysiert haben, sind modernen europäischen sehr ähnlich und vermutlich ihre direkten Vorfahren“, sagt Scheu. Ob auch das ursprüngliche Domestizierungsereignis in Europa oder gar in Deutschland stattgefunden habe, sei aber ungewiss, da es viel weiter zurückliegt – zwischen 20 000 und 40 000 Jahren. „Wir nennen aus gutem Grund keinen Ort: Wir kennen ihn nicht.“

Streuner paarten sich gelegentlich mit Wölfen

Wie schwierig die Rekonstruktion der Hundeevolution ist, zeigte die Analyse von 18 Erbgutregionen, die sich zwischen Wolf und Hund besonders unterscheiden und wo offenbar die Genmutationen liegen, die den Hund zahmer machten. Allerdings sind bei dem 7000 Jahre alten Herxheimer Hund 17 dieser 18 Genregionen hundetypisch. Der „modernere“, zuletzt vor 4700 Jahren bellende Hund aus der Kirschbaumhöhle hatte aber in immerhin sechs dieser Genregionen wolfstypische Varianten. Das sei kein Widerspruch, meint Scheu. „Vielleicht hat dieser Hund mehr wolfsähnliche Genvarianten, weil kurz zuvor in seiner Ahnenreihe eine Durchmischung mit einer wilden Wolfspopulation stattgefunden hat.“ Nicht unwahrscheinlich, dass der eine oder andere Streuner auch mit Wölfen anbandelte.

Dennoch – am Ende entstanden Hunde, die sich sogar an die Ernährungsweise des Menschen anpassten. So sind im Erbgut heutiger Hunde jene Gene vervielfältigt worden, die eine bessere Verdauung von Stärke ermöglichen – eben jene kohlenhydratreiche Ernährung, auf die sich der sesshaft und landwirtschaftlich aktivere Mensch in der Jungsteinzeit verlegte. Man nahm daher an, dass die Genvervielfältigung beim Hund in dieser Zeit stattfand, da die Tiere auf die mehr und mehr stärkehaltige Nahrung des Menschen angewiesen waren. „Wir können das aber nicht bestätigen“, sagt Scheu. Zwar könne es Zufall sein, dass ausgerechnet die untersuchten Hunde genetisch noch nicht auf die neue Ernährung eingestellt waren. „Aber wahrscheinlicher ist, dass diese Gen-Vervielfältigungen erst später stattgefunden haben.“

Und dann zähmte der Hund den Menschen

Das Wissen über die Domestizierung des Hundes könnte auch für heutige Zuchtprogramme hilfreich sein, meint die Forscherin: „Wenn wir Informationen über Hunde aus dieser Zeit sammeln, dann lernen wir, welche Gene im Laufe der Zucht verloren gingen oder welche Genveränderungen nachteilig sind.“

So gibt es viele erblich bedingte Krankheiten, die Züchter im Laufe der Jahrhunderte bei der Auswahl von Tieren mit bestimmten Eigenschaften unwissentlich mitschleppten. „Wenn wir die genetische Struktur der Ursprungshunde kennen, sehen wir, welche Varianten von Vorteil sind oder welchen genetischen Urzustand wir im Interesse der Gesundheit der Hunde wiederherstellen müssen.“ Die drei untersuchten Hundegenome seien da nur der Anfang.

Lässt sich dann vielleicht auch verstehen, wie der Hund den Mensch veränderte und für seine Zwecke „zähmte“? „Ja, warum nicht“, sagt Scheu und lacht. „Dass sich der Mensch – zum Beispiel sein Immunsystem aufgrund des Zusammenlebens mit Hunden und anderen Haustieren – verändert hat, das ist durchaus möglich. Vielleicht sollten wir auch das künftig einmal erforschen.“

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