Folge der Erderwärmung: Der Westantarktische Eisschild schmilzt immer schneller
Die Gletscher in der Westantarktis schmelzen unaufhaltsam, berichten zwei Forscherteams. Dadurch könnte der Meeresspiegel stärker steigen als erwartet.
Die Eismassen der Westantarktis schmelzen. Noch spielt sich der Zerfall in moderatem Tempo ab; in Zukunft dürfte er jedoch an Fahrt aufnehmen, wodurch die Gletscher massiv zurückgehen werden. Die Folge: Der Meeresspiegel steigt, vermutlich stärker als es der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngsten Sachstandsbericht angenommen hat, sagt Eric Rignot vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa. Er und seine Kollegen haben sechs Gletscher in der Region untersucht, und sie kommen zu einem beunruhigenden Schluss: Der Westantarktische Eisschild ist instabil, der Kollaps nur eine Frage der Zeit, schreiben sie jetzt in den „Geophysical Research Letters“.
"Der Kollaps ist wohl unausweichlich"
Zum gleichen Ergebnis kommt eine weitere Forschergruppe um Ian Joughin von der Universität Washington im Fachblatt „Science“, die ihre Ergebnisse zeitgleich vorstellt. Die Glaziologen haben sich einen der sechs Gletscher – den Thwaites-Gletscher – näher angeschaut und im Computer simuliert, wie sich der Eisklotz in Zukunft entwickeln wird. Sie sind sich sicher, dass er schwinden wird. „Die gute Nachricht ist, dass es nicht sofort zum Kollaps kommt“, sagt Joughin. Es dürfte 200 bis 1000 Jahre dauern, je nachdem, wie rasch die Schmelze voranschreitet. „Die schlechte Nachricht ist, dass der Kollaps wohl unausweichlich ist.“ Mehr noch, der Thwaites-Gletscher wirkt wie eine Art Stöpsel, der umliegende Eisströme bremst. Schmilzt er, werden auch die benachbarten Gebiete folgen. Ihre Masse ist so groß, dass der Meeresspiegel langfristig um drei bis vier Meter steigen werde, schreibt Joughin.
„Der Befund der beiden Teams ist für mich nicht überraschend, sondern eine zusätzliche Bestätigung der Beobachtungen“, sagt Hartmut Hellmer vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, der an keiner der beiden Studien beteiligt ist. Er selbst habe bei Expeditionen in die Westantarktis einige Anzeichen dafür gefunden, dass die Eismassen schwinden. So habe sich die Fließgeschwindigkeit bestimmter Gletscher während der vergangenen Jahrzehnte verdoppelt. Auch Hellmer ist sich ziemlich sicher, dass der Zusammenbruch des Westantarktisches Eisschildes nicht mehr aufzuhalten ist.
Berge unter dem Eis bremsen die Gletscher
Zwei Dinge spielen dabei eine Rolle, die Wassertemperatur und der Untergrund. Das Eis liegt in mächtigen Trögen, deren Sohle weit unter dem Meeresspiegel liegt. Gibt es kleine Bergrücken, wirken sie wie eine Bremse für die Gletscher. Um solche Stopper aufzuspüren, nutzen Forscher Radarsensoren. Damit können sie mehrere hundert Meter durchs Eis schauen und den Untergrund kartieren. Beim Thwaites-Gletscher ist das Ergebnis ungünstig. Er ruht mit seiner Vorderkante auf einem Bergrücken, der 600 Meter unter dem Wasserspiegel liegt. Doch dort unten „nagt“ ständig rund ein Grad Celsius warmes Meerwasser an dem Eis, so dass es schrittweise seine Bodenhaftung verliert.
Die Kontaktlinie zwischen Gletscher und Untergrund verschiebt sich landeinwärts. Allerdings befindet sich im hinteren Teil des Trogs eine 1200 Meter tiefe Kuhle – zu tief, als dass der Gletscher Halt finden könnte. Dadurch fehlt das Widerlager in der Tiefe, das Eis gleitet umso schneller ins Meer, zeigen die Simulationen.
Ein Grad Celsius hat das Wasser - genug, um massenhaft Eis zu tauen
Auch für die übrigen fünf Gletscher an der Amundsen-See, die Rignot und Kollegen mithilfe von Radardaten „durchleuchtet“ haben, ist die Prognose ungünstig. Im Untergrund finden sich kaum Hügel, die das Eis bremsen könnten, berichtet das Team. Hinzu kommt, dass die Kontaktfläche zwischen Gletschern und Meerwasser ständig größer wird, was die Schmelze weiter antreibt. Eine Änderung sei nicht in Sicht, sagt der AWI-Forscher Hellmer. „Selbst wenn das Wasser kälter wäre, sagen wir nur ein halbes Grad, hätte es immer noch genug Wärme, um Eis zu schmelzen.“
Die meisten Klimamodelle unterschätzen den Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg, betont Rignot. Der Weltklimarat erwartet bis 2100 einen Pegel, der zwischen 30 und 100 Zentimetern höher liege als heute. „Unsere Studie lässt vermuten, dass wir wohl eher die obere Grenze erreichen werden.“