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In Ruinen. Große Teile des Campus der Uni Mossul sind zerstört.
© Marko Djurica/Reuters

Nach dem IS: Der schwierige Wiederaufbau der Uni Mossul

Die Uni in Mossul wurde wie die Stadt durch den IS zerstört. Jetzt gibt es erste Ideen für den Wiederaufbau. Doch das Klima der Angst löst sich nur langsam.

Der einst so stolze Campus der Universität Mossul mit seinen Monumentalbauten der 1960er und 70er Jahre liegt in Schutt und Asche. Die Bilder, die Wissenschaftlerinnen aus dem Irak im Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zeigen, sind erschütternd: das zerbombte Hauptgebäude, die bis auf die Grundmauern abgebrannte Bibliothek, verkohlte Bücher und Manuskripte, verwüstete Laborräume. „Hier ist mein Büro“, sagt Hadia Ibrahim und zeigt auf ein leeres Fensterloch in einer Teilruine.

Ibrahim ist Dozentin am College of Arts, Mitarbeiterin am Institut für Übersetzungswissenschaft und im Uni-Präsidium für internationale Beziehungen zuständig. Sie gehört zu einem kleinen Stab, der versucht, die Ruinen der Universität wieder zum Leben zu erwecken. Unterstützt werden Ibrahim und ihre Kolleginnen und Kollegen von Lehrenden der TU Dortmund, im vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanzierten Projekt RESI zu „Perspektiven für die Zukunft der Bildung und Wissenschaft in Mosul nach der IS-Besetzung“.

Die Angst vor Repressionen bleibt

Bei einem Workshop in Dortmund haben die Gäste aus Mossul mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU erste Ideen für den Wiederaufbau entwickelt. „Wollen wir nachhaltig Frieden und Versöhnung schaffen, müssen wir diese Fragen dringend auch in unsere Lehrpläne aufnehmen“, sagt die junge Kulturwissenschaftlerin. Es sei noch ein weiter Weg, bis die gesellschaftlichen Traumata, die auch den Unialltag bestimmen, überwunden werden könnten. Deshalb wollen Ibrahim und ihre Kolleginnen auch nicht mit ihren richtigen Namen auftreten – aus Angst vor Repressionen, wenn sie sich kritisch äußern.

Der Islamische Staat (IS) eroberte Mossul im Juni 2014, erst im Juli dieses Jahres wurde die Stadt im Nordirak von den Koalitionsstreitkräften vollständig zurückerobert. Ihr Hauptquartier richteten die islamischen Paramilitärs auf dem Campus ein. Bei ihrem Rückzug hinterließen sie massenweise Sprengfallen.

Schleichend begann der Terror gegen Frauen

Das Klima der Angst, das vom Terrorregime in Mossul, durch Verhaftungswellen, Morde und Vergewaltigungen stetig verstärkt wurde, löst sich nur zögerlich auf. „Die Situation insbesondere für die Frauen hatte sich schon lange vor 2014 verschlechtert“, sagt Layla Ali, Professorin für Erziehungswissenschaften. In den 70er Jahren hätten sich Frauen ihre Rolle in der Gesellschaft erkämpft, wurden Lehrerinnen, Polizistinnen. „Bis in die 80er Jahre war die Entwicklung positiv, die Menschen waren insgesamt gut gebildet“, sagt Ali. Der erste und zweite Golfkrieg und die ökonomische Isolation der 90er Jahre durch die UN-Sanktionen hätten die irakische Gesellschaft zurückgeworfen, zahllose Männer starben.

Zu Ernährerinnen ihrer Familien geworden, „begannen wir gleichzeitig, uns unabhängiger zu fühlen“, erklärt Ali. Wie sie selbst hätten viele ihr Studium fortgesetzt und promoviert. Doch nach dem Sturz Saddam Husseins begann – parallel zur US-amerikanischen Besetzung – „im Namen des Islam“ schleichend der Terror gegen die Frauen. Auch auf dem Campus folgten auf verbale Warnungen Plakate, die Frauen aufforderten, die islamischen Bekleidungsvorschriften einzuhalten. Sicherheitskräfte drängten sie ab 15 Uhr nach Hause, fragten nach ihrem männlichen Begleiter. Einzelne Wissenschaftlerinnen, die allein mit dem Auto zur Arbeit kamen, fanden sogar Morddrohungen an der Windschutzscheibe.

Die damaligen Unimanager sind teils immer noch im Amt

Die damaligen Hochschulmanager sind teilweise bis heute im Amt. Die Besatzungszeit haben sie in Dohuk, einer Gouvernements-Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, überstanden. Heike Wendt, Erziehungswissenschaftlerin an der TU Dortmund und Projektleiterin von RESI, hat sie dort mit dem Raumplaner Hasan Sinemillioglu vor einem Jahr besucht. Der Lehrbetrieb ruhte zunächst, doch dann protestierten die Studierenden, berichtet Wendt. „Sie sagten: Ihr seid in Sicherheit und bezieht euer Gehalt – was ist mit uns?“ Alsbald entstand die Exil-Universität Mossul, mit Standorten auch in Kirkuk und Zacho. Vorlesungen und Seminare fanden in angemieteten Räumen, Containern oder abends und am Wochenende in Schulen statt – mit über 1200 Lehrenden aus 27 Fakultäten und rund 10 000 Studierenden.

Heute hat die Rückkehr nach Mossul begonnen. Dort fehlt es an allem. An der Fakultät für Chemie existieren noch einige Labore, sagt Haifaa Abdulla, die in Chemie promoviert. Doch es mangele an Apparaturen und Chemikalien, an IT-Ausstattung und Fachliteratur. „Wir brauchen finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, aber auch Einladungen ins Ausland, um in modernen Laboren unsere Analysen durchführen zu können.“

Layla Ali wünscht sich neben materieller Hilfe „einen Austausch und Ideen, wie wir unsere Universität auch didaktisch neu aufstellen können“. Das bietet die Kooperation mit Dortmund. Auf den Workshop soll 2018 eine ebenfalls vom DAAD geförderte „Spring School“ im Irak folgen.

Noch ist die Situation in und um Mossul nicht stabil genug

Massive Investitionen in den Wiederaufbau zerstörter Gebäude, Labore und Bibliotheken dagegen kann der DAAD dem Irak derzeit nicht in Aussicht stellen. In dem seit acht Jahren laufenden Programm für Hochschulkooperationen fließen Mittel für Projektförderung, neben dem Austausch zwischen Dortmund und Mossul etwa in einen Bachelor-Studiengang „Raumplanung“ mit Dortmunder Unterstützung, in Programme zur Lehrerbildung oder in die Biomedizin.

„Perspektivisch kann es auch um Sachmittel gehen“, sagt die DAAD-Referatsleiterin für Nahost und Asien, Renate Dieterich. Noch aber sei die Situation in und um Mossul ebenso wie im gesamten Irak nicht stabil genug. 2016 hat der DAAD rund 3,3 Millionen Euro für die akademische Zusammenarbeit mit dem Irak aufgewendet, davon ein Drittel für die Hochschulkooperationen.

"Sie leben im Gefühl, der IS sei noch präsent"

Dieterich bescheinigt der irakischen Seite großes Interesse am Austausch mit deutschen Hochschulen und Offenheit bei der Reform der Didaktik. Der wünschenswerte demokratische Aufbruch an den Universitäten des Irak stehe aber noch vor vielen Hürden. Weiterhin präsente islamistische Kräfte, der Konflikt zwischen Zentralregierung und Kurden und auch auf dem Campus einflussreiche Clan-Strukturen griffen dabei ineinander. Die DAAD-Förderung versuche man davon freizuhalten – durch eine Bestenauswahl nach transparenten Kriterien und durch Geschlechtergerechtigkeit.

Dass aus der Delegation der Universität Mossul an die TU Dortmund jetzt ausdrücklich eine Gruppe von Frauen ans Berliner Max-Planck-Institut eingeladen war, sei einigen Wissenschaftlern allerdings ungerecht vorgekommen, ist zu hören. Die Forscherinnen nutzten die Reise dann zum intensiven Austausch mit ihren Berliner Kolleginnen – etwa über die Frage, wie sie selber die Frauen von Mossul unterstützen können. „Sie leben in dem Gefühl, das der IS noch präsent ist, sind traumatisiert und kaum in der Lage, ihre Kinder angemessen zu erziehen“, sagte Layla Ali. „Wir müssen ihnen helfen, in ein normales Leben zurückzukehren.“

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