Klimaschutz dauert: Der lange Weg von Treibhausgas-Einsparungen zu Temperaturänderungen
Klimaschutz ist ein politisch schwieriges Terrain. Erfolg von Maßnahmen, die Kohlendioxid einsparen, würde erst in Jahrzehnten erkennbar.
Bei den Maßnahmen zum Klimaschutz treffen zwei Welten mit unterschiedlichen Zeitrechnungen aufeinander: Während wichtige Entscheidungen in demokratischen Systemen normalerweise bei der nächsten Wahl in wenigen Jahren auf dem Prüfstand stehen, können Naturwissenschaftler erst nach Jahrzehnten messen, ob Maßnahmen zum Klimaschutz die globale Erwärmung bremsen.
Selbst wenn die Menschheit ab sofort jedes Jahr fünf Prozent weniger Kohlendioxid aus Schornsteinen, Auspuffrohren und anderen Quellen in die Luft bläst, was drastischen Emissionseinsparungen entspricht, dürften wir den Erfolg dieser Maßnahmen erst nach rund einem Vierteljahrhundert im Jahr 2044 an den durchschnittlichen Temperaturen auf dem Globus messen können, berichten Bjørn Samset und seine Kollegen vom Cicero-Zentrum für Internationale Klimaforschung in Oslo in „Nature Communications“.
Auch wenn die Projektionen mit einem stark vereinfachten Klimamodell berechnet wurden, zeigt das in vielen Durchgängen bestätigte Ergebnis doch, dass Klimaschutz einen langen Atem braucht.
Werden doch die jeweiligen Maßnahmen in den Ländern der demokratischen Welt einige Male auf den Prüfstand „Wahlen“ gestellt, ohne dabei erste Erfolge in Form eines gebremsten Temperaturanstiegs vorweisen zu können.
Träges System
„Das ist also eine schlechte Nachricht“, kommentiert Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg das Ergebnis seiner Kollegen in Oslo. Unerwartet kommt sie aber nicht.
So hat Marotzke, der als Leitautor ein Kapitel über die zukünftige Entwicklung des Klimas im kommenden Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC koordiniert, erst 2019 eine ähnliche Rechnung veröffentlicht. Schafft es ambitionierter Klimaschutz, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf die vom Pariser Klima-Abkommen anvisierten 1,5 Grad Celsius im Jahr 2100 zu begrenzen, dürfte sich der messbare Erfolg im Vergleich zu einer Welt ohne Klimaschutz erst nach Jahrzehnten in der Temperaturkurve zeigen.
Diese Verzögerung beruht neben natürlichen Schwankungen des Klimas, die längerfristige Veränderungen der Temperaturen wie zum Beispiel den Anstieg in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts überdecken können, vor allem auf der trägen Reaktion des Klimasystems.
So erwärmen sich die riesigen Wassermengen der Weltmeere nur sehr langsam, schlucken dabei aber sehr viel Energie und verzögern so den Anstieg der Temperaturen in der Luft. Allerdings geben die Ozeane die gespeicherte Wärme auch sehr langsam wieder ab und erwärmen damit die Luft über einen langen Zeitraum. Und es gibt noch weitere Mechanismen, die Änderungen des Klimas verzögern und Temperaturen auf einen steigenden oder sinkenden Gehalt von Treibhausgasen reagieren lassen.
Diese träge Reaktion des Klimas beobachten Samset und seine Kollegen auch, wenn sie ihre Computermodelle mit einem sofortigen Stopp aller Kohlendioxid-Emissionen füttern, also schlagartig alle Kohle- und Gaskraftwerke abschalten und keine Erdöl-, Erdgas- und Kohleprodukte mehr für den Antrieb von Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen, für das Heizen von Wohnungen oder für Industrieprozesse verwenden. Außerdem wird Zement oder Beton nicht mehr hergestellt.
Selbst bei einem solchen äußerst unrealistischen, dauerhaften und nahezu totalen Lockdown für Kohlendioxidemissionen dürfte es bis zum Jahr 2033 und damit weit über ein Jahrzehnt mit mehreren Wahlperioden dauern, bis der Erfolg dieser Maßnahmen sich in den Welt-Temperaturen messbar niederschlägt.
Kommunikationsproblem Klimawandel
Auch als die norwegischen Forscher den Ausstoß einer Reihe weiterer klimawirksamer Substanzen wie Methan, Stickoxide, Lachgas und Ruß stoppten, die von der modernen Zivilisation in die Atmosphäre abgegeben werden, reagierten die Temperaturen erst nach Jahrzehnten. Ein schneller Erfolg ist also nicht in Sicht, stattdessen ist erhebliches Durchhaltevermögen notwendig, um den Klimawandel zu bremsen und später umzukehren.
„Die Tatsache, dass sich der Klimawandel über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelt, aber die Aufmerksamkeitsspanne medialer Öffentlichkeiten zum Teil nicht über ein paar Tage hinausreicht, ist der Kern des Kommunikationsproblems Klimawandel“, sagte Michael Brüggemann von der Universität Hamburg dem Science Media Center Germany.
Daher sollten auch kurzfristige positive Nebeneffekte von Klimaschutz mitkommuniziert werden, etwa wenn eine Verkehrswende die Lärmbelastung in Großstädten unmittelbar senke und die Luft- und Lebensqualität steige. „Es sollte nicht nur darum gehen, ob Emissionseinsparungen in 20 oder erst in 50 Jahren zu einem milderen Temperaturanstieg führen, sondern ob sie nicht auch schon viel früher sozial erwünschte Nebeneffekte bringen können“, so der Kommunikationswissenschaftler.
Plateau 2050
„Da das Kohlendioxid das Hauptproblem ist, sollten vor allem diese Emissionen möglichst rasch sinken“, erklärt Marotzke. Bis zur Coronakrise aber passierte das Gegenteil: Kraftwerke, Verkehr, Heizungen und Industrie-Prozesse verfeuerten jedes Jahr mehr fossile Brennstoffe und bliesen so jährlich ungefähr 1,3 Prozent mehr Kohlendioxid in die Luft.
Erst 2020 aber könnten die Emissionen von Kohlendioxid durch die drastischen Auswirkungen von Covid-19 auf die Wirtschaft und den Alltag sehr vieler Menschen im Vergleich mit 2019 um etwa fünf Prozent sinken. Auch wenn die Weltgemeinschaft es schafft, einen solchen Rückgang des Kohlendioxid-Ausstoßes auf Dauer beizubehalten, steigt die Konzentration dieses Treibhausgases in der Luft erst weiter an. Im Jahr 2050 erreicht die Kurve ein Plateau und beginnt danach laut IPCC-Bericht langsam abzufallen.
Die Temperaturen werden dann aufgrund des trägen Klimas noch einige Jahre weitersteigen „Im Jahr 2100 haben wir bei einer solchen Entwicklung daher noch immer nicht die Klima-Verhältnisse wieder erreicht, die wir 2005 hatten“, erklärt Marotzke. Erst wenn die Enkel der heutigen Fridays-for-Future-Demonstranten ins Rentenalter kommen, können sie auf ein Klima hoffen, wie es herrschte, als ihre Großeltern noch in der Wiege lagen.
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