Theologie: Der Islam kommt an die Universitäten
Die ersten Lehrstühle in Deutschland sind etabliert. Die Nachwuchstheologen sollen einen kritischen Geist in Gemeinden bringen.
Viele Moscheegemeinden in Deutschland wünschen sich hier ausgebildete Imame, immer mehr Bundesländer öffnen die Türen ihrer Schulen für den Islamunterricht. Aber es fehlen qualifizierte Lehrer. Um den Mangel zu beheben, ist erstaunlich viel Bewegung in die deutsche Universitätslandschaft gekommen. Der Stuttgarter Islamexperte Hansjörg Schmid spricht von einem „totalen Quantensprung“. Er meint die sechs Professorenstellen für islamische Theologie, die mittlerweile in Frankfurt am Main, Münster, Osnabrück und Nürnberg-Erlangen eingerichtet wurden.
Ein Quantensprung im Vergleich zu vor sechs Jahren. Damals gab es noch keine einzige dieser Stellen. Gegenüber bundesweit 39 evangelischen oder katholischen Fakultäten sind die sechs Stellen immer noch wenig. Aber in diesem Jahr hat sich eine Menge getan, drei Universitäten haben angekündigt, weitere Islamprofessuren einzurichten. Auch das Land Berlin denkt über einen Lehrstuhl für islamische Theologie nach. Im Januar will zudem der Wissenschaftsrat eine Empfehlung abgeben, wie man die islamische Theologie an deutschen Universitäten weiterentwickeln könnte, „um der multireligiösen Gesellschaft besser Rechnung zu tragen“. Die Islamkonferenz, die der frühere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Leben gerufen hat, bestärkte Länder und Hochschulen darin, den Islam zu integrieren.
Lehrstühle und Fakultäten für islamische Theologie einzurichten, ist nicht einfach, weil im säkularen Staat die staatliche Universität die theologischen Lehrinhalte nicht alleine bestimmen darf. Schon gar nicht, wenn in diesem Studiengang Lehrer ausgebildet werden, die bekenntnisorientierten, also konfessionellen Religionsunterricht geben sollen. Doch wie soll man mit einer Konfession zusammenarbeiten, wenn es die eine Konfession im Islam gar nicht gibt? Sondern viele verschiedene Richtungen, Sunniten und Schiiten, Aleviten und Ahmadiyya, um nur einige zu nennen. Jahrelang argumentierten Politiker, man müsse eben abwarten, bis sich diese verschiedenen Richtungen zu einer Konfession zusammengefunden haben, bis der Islam sozusagen Kirche geworden ist. Wie Insider vermuten, will der Wissenschaftsrat im Januar zur Gründung eines Trägerverbundes raten, in dem sich ähnlich wie in Schäubles Islamkonferenz Wissenschaftler, Vertreter muslimischer Verbände und muslimische Einzelpersönlichkeiten zusammenschließen und als Kooperationspartner für die Universitäten fungieren könnten.
Immer mehr Universitäten wollen nicht mehr auf eine endgültige Lösung warten und suchen eigene, gleichwohl provisorische Wege, um mit islamischen Gruppierungen zusammenzuarbeiten. In Münster ist diese Zusammenarbeit allerdings vor einem Jahr vorübergehend gescheitert. Der Koordinierungsrat der Muslime entzog Muhammad Kalisch, der den bundesweit ersten „Lehrstuhl für die Religion des Islam“ innehat, das Vertrauen, weil Kalisch an der historischen Existenz des Propheten Mohammed zweifelt. Ohne das Vertrauen der Verbände kann Kalisch keine Religionslehrer mehr ausbilden. Für diese Aufgabe will die Universität nächstes Jahr einen zweiten Lehrstuhl einrichten – in Absprache mit dem Koordinierungsrat. Nach außen will die Universität vermeiden, dass der Eindruck entsteht, sie würde sich durch die islamische Verbände in ihrer Autonomie einschränken lassen. Der Wissenschaftsminister höre sich die Meinung der Verbände an, sagt der Unisprecher, die Universität sei aber in ihren Entscheidungen autonom.
In Osnabrück funktioniert die Kooperation mit dem Runden Tisch des Landes Niedersachsen mittlerweile sehr gut, sagt die stellvertretende Universitätspräsidentin. An dem Runden Tisch ist auch die Schura Niedersachsen vertreten, der Zusammenschluss der sechs größten islamischen Verbände im Land, inklusive der Ditib, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Zwei Professorenstellen für Religionspädagogik und Religionswissenschaft hat man auf diese Weise eingerichtet, ein Fortbildungslehrgang für Imame ist geplant, 2013 will man einen Bachelorstudiengang für islamische Theologie installieren. Am Zentrum für islamische Religionslehre der Universität Nürnberg-Erlangen arbeitet man mit den ortsansässigen Moscheegemeinden gut zusammen.
Die wohl spektakulärste Kooperation geht die Goethe-Universität in Frankfurt am Main ein. Die türkische Religionsbehörde Diyanet in Ankara hat bereits zwei religionswissenschaftliche Lehrstühle gestiftet, vor zwei Wochen wurde der Vertrag für die dritte Stiftungsprofessur unterschrieben. Ob an diesem Lehrstuhl auch Religionslehrer ausgebildet werden, habe das hessische Kultusministerium noch nicht entschieden, sagt Uni-Vizepräsident Matthias Lutz-Bachmann. So viel stehe aber jetzt schon fest: Wenn das Land Religionslehrer ausgebildet haben wolle, dann müsse es dafür auch selbst eine Professur finanzieren. „Wir werden nicht die Ausbildung von Islamlehrern für hessische Schulen an Stiftungsprofessoren vergeben, die vom Ausland bezahlt werden“, sagt Lutz-Bachmann. Man wolle nicht Gefahr laufen, dass die Türkei die Professuren streiche, weil ihnen der Unterricht nicht gefalle.
„Da die Aufbauarbeit in Deutschland nicht ganz aus eigenen Kräften geleistet werden kann, ist die Expertise aus den beiden wichtigsten Herkunftsländern deutscher Muslime, der Türkei und Bosnien-Herzegowina, hilfreich“, sagt Hansjörg Schmid, der sich an der Katholischen Akademie in Stuttgart seit Jahren mit dem Islam beschäftigt. Aber die „Gratwanderung zwischen Unterstützung und Fremdbestimmung“ sei nicht leicht. Um dem Verdacht der Einflussnahme zu entkräften, betonte Ali Bardakoglu, der Präsident der Religionsbehörde in Ankara kürzlich: „Selbstverständlich gelten die wissenschaftlichen Standards der Goethe-Universität auch für die islamische Theologie. Das theologische Denken sollte rational und kritisch sein.“
Die verschiedenen Wege der einzelnen Universitäten sind ein Anfang, um angehende muslimische Theologen und Religionslehrer mit der historisch-kritischen Herangehensweise an die Religion und ihre Quellen vertraut zu machen. In den Ministerien hegt man die Hoffnung, dass diese Islamexperten dann auch in die Verbände hineinwirken, so dass auch dort ein neuer kritischer Geist heranwächst. „Bis dahin müssen sich muslimische Verbandsvertreter daran gewöhnen, dass eine wissenschaftliche islamische Theologie entsteht, mit der sie nicht immer im Konsens sein werden“, sagt Hansjörg Schmid. Das sei nicht einfach in einer Situation, in der sie um Anerkennung werben und möglichst einheitlich auftreten wollen. Es brauche aber auch politischen Mut. Der sei bislang nur bei Schäuble und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) erkennbar.
Wulff hat den Muslimen einen Staatsvertrag in Aussicht gestellt. „Die Länderborniertheit wäre hier falsch“, sagt Historiker Lutz Raphael, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Theologie und Religionswissenschaften“ beim Wissenschaftsrat. „Die Kooperationsfähigkeit der Länder muss weiterentwickelt werden.“