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Die Professoren Savoy und Schwarz über die Zukunft von Hochschulen, Lehre, Forschung und den zu bewältigenden Verwaltungsapparat.
© David Ausserhofer

Professoren im Interview: Der ideale Forschungsantrag

Zwei Leibniz-Preisträger, Bénédicte Savoy und Helmut Schwarz, diskutieren die Situation der Universität gestern, heute und morgen.

Der Leibniz-Preis, ein Millionenbetrag, eine enorme Anerkennung. Was empfanden Sie, als Sie den Preis bekamen?

Helmut Schwarz: Natürlich war ich überglücklich über die große Anerkennung meiner Leistung, denn schließlich gehörte ich nie zum Establishment meines Faches. Außerdem ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Ich war plötzlich auch auf dem Wochenmarkt ein „berühmter“ Mann. Mein Metzger hielt mir stolz die „Bild“-Zeitung mit meinem Konterfei entgegen und dachte, ich sei nun sehr reich (lacht). Reich war ich ja nun auch – reich an Möglichkeiten für die Forschung.

Bénédicte Savoy: Ich war vor allem unglaublich erleichtert. Mir war sofort klar, ich könnte nun meinem wunderbaren, kreativen Team Perspektiven bieten, Planungssicherheit und die mögliche Umsetzung ihrer Forschungsideen. Nur drei von 19 Leuten im Team haben eine feste Stelle, meine eingeschlossen. Für alle anderen muss immer wieder Geld für befristete Projekte besorgt werden. Das bindet bei allen enorm viel Energie, die nun der Forschung zugute kommen wird.

Sie beide engagieren sich für den Nachwuchs. Wer hat Sie selbst gefördert?
Schwarz: In der Schule hatte ich, außer in Deutsch, leider fast nur miserable Lehrer. Doch meinem Doktorvater Ferdinand Bohlmann habe ich viel zu verdanken. Er schenkte mir Vertrauen, ließ mich bereits als Doktorand Mitarbeiter betreuen und anleiten, nach dem Motto: „Zeig’, was du kannst!“ Das hat mich geprägt, auch für die Arbeit mit meinen Doktoranden, die ich beispielsweise früh unter eigenem Namen publizieren ließ.

Savoy: Für mich waren besonders die Jahre am Centre Marc Bloch in Berlin prägend, damals unter der Leitung des französischen Historikers Étienne François. Dort habe ich an der Schnittstelle zwischen vielen Disziplinen das wissenschaftliche Denken gelernt. Und dass auch geisteswissenschaftliche Forschung eine gesellschaftliche Relevanz haben kann und soll. Ein Glücksfall war für mich die Erfindung der Juniorprofessur. Ich gehörte zu den ersten, die von diesem Experiment der deutschen Wissenschaftslandschaft profitieren konnten.

Schwarz: Ja, diese Idee war ein Glücksfall. Aber die Realität einer Juniorprofessur lässt kaum mehr jemanden „fliegen“: acht Stunden Lehre – viel zu viel! Maximal zwei Stunden wären richtig! Mitarbeit in der Verwaltung – meine Güte, die jungen Leute sollen forschen, müssen publizieren. Diese hoffnungsvollen jungen Menschen mit Aufgaben einzudecken, die wenig zu ihrer wissenschaftlichen Qualifikation beitragen, halte ich für vollkommen verkehrt!

Savoy: Das liegt aber auch in der Verantwortung der Kollegen. Es darf nicht sein, dass die Arbeitskapazitäten in andere Kanäle, in Verwaltung oder Zuarbeit für andere Projekte umgeleitet werden. An meinem Institut haben die Kollegen erkannt, dass nur Freiraum gute, innovative Ideen und deren Umsetzung provoziert. Ich musste zunächst vier, später sechs Stunden lehren – und ich hatte Gelegenheit, auch im Ausland zu forschen und zu lehren.

Prof. Dr. Bénédicte Savoy lehrt das Fach Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin.
Prof. Dr. Bénédicte Savoy lehrt das Fach Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin.
© David Ausserhofer

Was kann man besser machen?
Schwarz: Der kürzlich erschienene Imboden-Bericht über die Exzellenzinitiative lobt einerseits, was die Universitäten in Deutschland unter den gegebenen Umständen leisten, benennt aber auch die Baustellen. Beispielsweise kommt in Deutschland ein Professor auf 60 bis 80 Studierende bei einer enorm hohen Lehrbelastung. Bei guten internationalen Universitäten, mit denen wir uns vergleichen lassen sollen, liegt das Betreuungsverhältnis bei etwa eins zu zehn. Derzeit kommen trotz der prekären Lage aber immer noch mehr als zwei Drittel der höchstzitierten Forschungsarbeiten aus den Universitäten, bewundernswert! Die Bundesländer müssen begreifen, dass die Universitäten vorrangig gestärkt werden müssen – oder konzedieren, dass wir diesen Anschluss nie finden werden.

Savoy: Trotz all der Herausforderungen und Belastungen möchte ich aber auch einen Stab für die Lehre brechen. Sie bietet die Chance, im Dialog mit jungen Leuten Gedanken zu gestalten. Ihre Unverbrauchtheit und ihre Neugier sind überlebenswichtig. Für mich als Einzelforscherin waren die Lehrverpflichtungen daher eine einzigartige Möglichkeit, Forschung und Lehre sinnvoll zu verbinden – und zur Teamplayerin zu werden.

"Anstatt zu fahren, muss man oft selber die Räder anschrauben und Öl wechseln."

Forschungsanträge, Begutachtungen, Evaluationen und ein wachsendes Kontrollsystem: Wie stark sind Wissenschaftler heute von Management- und Verwaltung absorbiert?
Savoy: Es ist ein täglicher Kampf. Vor dem Leibniz-Preis hat die Beschäftigung mit der Zukunft der anderen im Team bestimmt ein Drittel meiner Zeit in Anspruch genommen, die für die kreative Arbeit fehlte. Man ist mit den Händen zu viel im eigenen Motor. Anstatt zu fahren, muss man oft selber die Räder anschrauben und Öl wechseln. Das hat zwar auch Charme, aber nicht immer.

Schwarz: Natürlich, hier sind professionelle Problemlöser gefragt. Sie könnten die Verwaltungsaufgaben viel effizienter erledigen als wir Forscher, die auf diesem Gebiet ja Laien sind. Kontrolle ist zwar notwendig, aber man sollte über den Umfang nachdenken. Den „idealen“ Forschungsantrag stellte 1921 der spätere Nobelpreisträger Otto Warburg: „Antrag: Ich benötige 10 000 (zehntausend) Mark. Unterschrift: Dr. Otto Warburg“. Damals waren die infrage kommenden Forscher untereinander bekannt, heute ist das natürlich nicht mehr möglich. Allein die Alexander von Humboldt-Stiftung benötigt 5000 Gutachten pro Jahr, die 27 000 DFG-Anträge müssen je von mehreren Experten begutachtet werden. Es klingt nach „Begutachtungswahn“, ist aber wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen, da ja Grundlagenforschung aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.

Savoy: Man könnte aber bei der Verwaltung noch gewaltig optimieren. Alle Mittelgeber haben unterschiedliche Maßgaben etwa zur Antrags- und Abrechnungsform. Sich dieses für Forschung und Lehre völlig überflüssige Wissen anzueignen, kostet enorm viel Zeit und Energie. Das schafft auch Schieflagen. Ein Fachgebiet, das viele Drittmittel einwirbt, hat trotzdem nur ein Sekretariat. Es wäre viel effektiver, die Grundausstattung anzuheben.

Schwarz: Fördergeld oder Preise sollten auch häufiger für bereits Geleistetes vergeben werden, im Vertrauen darauf, dass die Personen weiterhin Großes leisten. Heute bekommt man das Geld für eine Idee oder einen Vorschlag – so werden oft Anträge zu jenen Themen gestellt, wo man die größten Chancen hat, vom Geldtopf zu profitieren.

Savoy: Genau. Jeder Forscher weiß, welche Stichworte im Antrag die Chancen explosionsartig erhöhen.

Was erscheint sinnvoller: eine institutionelle Förderung wie die Exzellenzinitiative oder eine personelle wie der Leibniz-Preis oder die Humboldt-Professur?

Schwarz: Man braucht beides. Die umfangreichen Cluster sind heute teils zu einer „Universität in der Universität“ geworden. Sie müssten flexibler und nachhaltiger angelegt werden, auch, um nach dem Auslaufen der Förderung weiterarbeiten zu können. Die Idee der Humboldt-Professur hat überzeugend belegt, wie über eine kluge Personenförderung Exzellenz und Strukturen um Individuen herum aufgebaut werden können. Es muss für langen Atem gesorgt werden. Schließlich soll an Universitäten über das nachgedacht werden, was erst in zehn oder gar 50 Jahren gesellschaftlich relevant wird. Die Kurzatmigkeit führt zu Aktionismus.

Savoy: Die Kurzatmigkeit der Förderung schafft auch den Geisteswissenschaften Probleme. Ein Forschungsprojekt, auch ein grenzüberschreitendes, wird immer häufiger nur für zwei Jahre bewilligt – die Dissertation dazu soll aber weiterhin um die 350 Seiten haben. Das ist eine kaum tragbare Belastung für jemanden, der an einem Projekt beteiligt ist. Es ist unverantwortlich, den Nachwuchs glauben zu lassen, dass dieses Modell aus dem vorigen Jahrhundert heute noch funktioniert.

Können Universitäten so mit außeruniversitären Einrichtungen mithalten?
Schwarz: Von den Universitäten wird seit Jahren erwartet, mit einem Trabi an einem Formel-I-Rennen erfolgreich teilzunehmen. Ich bin sehr von der Wichtigkeit der außeruniversitären Einrichtungen überzeugt. Doch von den Unis wird bei deutlich schlechterer Ausstattung sehr viel mehr verlangt. Diese permanente Diskriminierung durch Unterfinanzierung der Universitäten geht auf Dauer nicht gut. Schließlich bilden Universitäten auch den Nachwuchs für die außeruniversitären Einrichtungen aus. Und ferner: ohne gute Universitätsforschung degeneriert auch die Lehre, denn diese benötigt ständig neues exklusives Wissen, das sich aus der Forschung speist. Auch deshalb muss die universitäre Spitzenforschung erhalten bleiben, wenn nicht gar ausgebaut werden.

Savoy: Es ist für ein vergleichsweise reiches Land wie Deutschland auch ein Gebot der Fairness der eigenen Jugend gegenüber. Es ist ein Skandal, wenn 30-jährige Post Docs wegen fehlender Planungssicherheit keine Familie gründen können. Es ist beschämend, die Orte, die die intelligentesten jungen Leute beherbergen, so zu vernachlässigen und in einen regelrechten Überlebenskampf zu verwickeln.

Wie effektiv ist die Massenuniversität für die Ausbildung des Forschernachwuchses?
Schwarz: Universitäten sind nach ihrer Idee darauf ausgerichtet, Studierende auszubilden, die vor allem ihre Intellektualität erweitern wollen. Doch die Studierendenpopulation hat sich geändert. Heute will ein Großteil möglichst schnell akademisches Handwerkszeug für eine Berufsbefähigung erlernen. Die Zeit ist daher reif für einen Umbruch zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Diese müssen massiv ausgebaut werden, damit die Universitäten jenen dienen können, die neben einer Berufsausbildung vor allem ein wissenschaftsgeleitetes Denken erlernen möchten. Die Anreize sind dafür aber politisch falsch gesetzt. Eine Finanzierung, die sich weitgehend an Studierendenzahlen orientiert, konterkariert den Sinn und Zweck einer Universität. Sie ist dadurch gezwungen, möglichst viele Personen aufzunehmen, alle Qualitätsaspekte beiseite lassend.

Savoy: Positiv wirkt sich wiederum die enorm gewachsene Förderung der Mobilität von Studierenden, Post Docs und Doktoranden aus. Allerdings: sobald man als Forscher an einer Universität fester verankert ist, wird diese Mobilität, unter anderem durch das deutsche Beamtenrecht, sehr erschwert. Wenn wir europa- und weltweit zusammenwachsen wollen, brauchen wir hier mehr Grenzüberschreitungen. Seit dem Mittelalter war Wissenschaft immer international. Es scheint mir nicht zeitgemäß, dass „national“ vergebene Forschungsgelder nur „national“ ausgegeben werden dürfen. Was wäre zum Beispiel Humboldt gewesen, wenn er nicht zwischen den Ländern gependelt wäre?

Das Gespräch führte Patricia Pätzold.

Patricia Pätzold

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