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Zahn der Zeit. Als Steinzeitmenschen vor 3,3 Millionen Jahren begannen, Steinwerkzeuge zu benutzen, hatte das Folgen fürs Gebiss. Menschen mit großen Gehirnen und kleinen Zähnen konnten überleben, weil sie ihre Nahrung zerkleinern konnten.
© REUTERS

Homo erectus: Der Frühmensch war kein Vegetarier

Homo erectus hatte ein großes Gehirn – aber ein zu kleines Gebiss, um es nur mit pflanzlicher Nahrung zu versorgen. Steinwerkzeuge halfen ihm, das Fleisch weich zu bekommen.

Homo erectus ist bekannt als einer der ersten Frühmenschen mit beachtlicher Hirngröße – zu groß, um die Masse nährstoffgieriger Nervenzellen allein mit pflanzlicher Nahrung zu versorgen. Jedenfalls hätte es dafür eines ausgeprägten Gebisses bedurft. Homo erectus, der vor etwa zwei Millionen Jahren lebte, hatte aber ein deutlich zarteres Gebiss mit deutlich kleineren Zähnen als seine evolutiven Vorgänger. Auch die Kaumuskulatur war schwächer ausgeprägt, er konnte weniger kräftig zubeißen und der Darm war wesentlich kürzer. Bislang hatten Anthropologen drei Erklärungsmöglichkeiten für den Widerspruch zwischen leistungsschwachem Gebiss und größerem Nahrungsbedarf zur Auswahl. Entweder, die Frühmenschen aßen Fleisch, kochten ihre Nahrung oder bearbeiteten sie vor dem Verzehr mit ihren Steinwerkzeugen.

Nach einer Theorie des Anthropologen Richard Wrangham von der Harvard Universität in Cambridge soll das Kochen den Frühmenschen ermöglicht haben, mehr Energie aus der gleichen Menge Nahrung zu gewinnen. Dadurch hätten mehr Menschen mit großen Gehirnen, reduzierter Gebissleistung und Darmlänge überleben und sich fortpflanzen können. Allerdings fehlt der Beweis, dass Menschen schon vor zwei Millionen Jahren oder früher Grillmeister waren. Die ältesten menschlichen Feuerstellen, die bislang gefunden wurden, sind nur 500 000 Jahre alt. Frühere Spuren prähistorischer Küchen sind nicht eindeutig menschlichen Ursprungs.

Probanden mussten zähes Ziegenfleisch kauen

Wranghams Kollege an der Harvard Universität, Daniel Lieberman vom Fachbereich für Evolutionsbiologie des Menschen, stichelt bekanntermaßen gern gegen die Küchentheorie der menschlichen Evolution. Nun hat er, gemeinsam mit Katherine Zink, einige Experimente durchgeführt, um festzustellen, ob Homo erectus auch ohne Kochen satt genug werden konnte. Die Forscher maßen die Kauleistung von insgesamt 34 Testpersonen, denen sie einerseits Ziegenfleisch und andererseits nahrhafte Wurzelknollen wie Yams oder Karotten zu Essen gaben, die höchstwahrscheinlich ein wichtiger Bestandteil der Nahrung von Frühmenschen waren. „Ziege ist relativ zäh und daher dem Fleisch von Wildtieren ähnlicher als das von Nutztieren“, schreiben Zink und Lieberman im Fachblatt „Nature“.

Sie fanden heraus, dass Menschen im Jahr etwa zwei Millionen Mal (13 Prozent) weniger kauen und 15 Prozent weniger Kaukräfte aufbringen müssen, wenn ein Drittel der Nahrung aus Fleisch besteht. „Im Vergleich zu unbearbeiteten Wurzeln muss für eine Kilokalorie Fleisch etwa 39 Prozent weniger gekaut und 46 Prozent weniger Kauleistung aufgebracht werden“, schreiben die Forscher. Allerdings sei es für die Testpersonen fast unmöglich gewesen, das rohe Fleisch zu zerkauen. Selbst nach 40-maligem Zubeißen, sei es immer noch nur ein einziger Klumpen im Mund gewesen.

Später durften steinzeitliche Fleischklopfer benutzt werden

Mit Steinwerkzeugen hätten die Frühmenschen das Fleisch zumindest weichklopfen oder zerschneiden können. Nachgewiesen ist, dass sie schon vor 3,3 Millionen Jahren benutzt wurden. Wenn die Testpersonen in dem Harvard-Experiment das Fleisch also mit nachgebildeten Steinwerkzeugen in Streifen schnitten, dann mussten sie um weitere fünf Prozent weniger kauen und noch einmal 12 Prozent weniger Kauleistung aufbringen. Lieberman und Zink ließen ihre Steinzeitschauspieler auch 50 Mal mit den steinzeitlichen Fleischklopfern auf das Ziegenfleisch einschlagen. Dadurch sei es allerdings nicht messbar besser zu kauen gewesen, blieb also als kaum schluckbarer Klumpen vor dem Halse stecken.

Bei den Wurzeln hingegen habe das Zerstampfen mit den Steinzeitklöppeln die nötige Kauleistung immerhin um 4,5 Prozent reduziert, nicht jedoch das Kleinschneiden.

In einer weiteren Testreihe durften die leidgeprüften Probanden immerhin auch steinzeitlich gegrilltes Fleisch und Wurzeln essen, um zu prüfen, inwieweit das Kochen die Nahrungsaufnahme erleichtert haben könnte. Gebratenes Wurzelgemüse musste demnach 14 Prozent weniger oft gekaut werden als rohes. Da Knollengemüse eher harte Nahrung sei, würde das Kochen den Kauaufwand deutlich reduzieren, so dass auch nicht so große Zähne nötig seien, schreiben die Forscher. Sie schätzen, dass damit etwa 14 Prozent weniger Kaufläche nötig ist – was ziemlich genau dem Größenunterschied der Gebisse von Homo erectus und Homo sapiens entspricht. Gegrilltes Fleisch erfordert zwar zunächst mehr Kaukraft. Allerdings zergeht der Fleischklumpen im Mund, und Magen und Darm kommen besser an die Nährstoffe heran.

Steinzeitliche Ernährungspyramide: ein Drittel Fleisch

Homo erectus jedoch brauchte kein Feuer, um über die Runden zu kommen, argumentieren Lieberman und Zink. Sein großes Gehirn habe er trotz kleiner Zähne auch ohne Kochen versorgen können, indem er Knollen zerstampfte und ein Drittel seiner Nahrung durch kleingeschnittene Fleischstücken anreicherte. Das ersparte ihm 2,5 Millionen Mal Kauen pro Jahr und ein Viertel weniger Kraft.

Letztlich habe es also der Gebrauch von Steinwerkzeugen zum Zerkleinern von Fleisch und Zerstampfen von Wurzeln möglich gemacht, dass sich der Körper des Frühmenschen veränderte.

Sascha Karberg

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