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Frostmuster. Durch ständiges Auftauen und Frieren entstehen im Boden senkrechte, wabenförmige Risse. Sie füllen sich mit grobem Kies und Wasser. Je häufiger es Frost gibt, desto stärker werden die Ränder durch die Ausdehnung des Eises nach oben gewölbt. Das Innere der metergroßen Strukturen sinkt ab und lässt im Sommer zahlreiche Tümpel entstehen.
© A. Piel/AWI

Erderwärmung: Der Eiskeller taut

In Sibirien erkunden Forscher, wie Permafrostböden auf die Erderwärmung reagieren. Tauen sie auf, wird verstärkt Methan freigesetzt.

Wenn ein mächtiger, von einem US-Diplomaten als „Alpha-Tier“ bezeichneter Ministerpräsident eine lediglich aus zwei Holzhütten bestehende, abgelegene Forschungsstation besucht, muss es damit eine besondere Bewandtnis haben. Mit dem Hubschrauber reiste Wladimir Putin unlängst zu der von aller Infrastruktur abgeschnittenen Insel Samoilow im Mündungsgebiet des Flusses Lena. Dort erforschen Wissenschaftler den Dauerfrostboden Sibiriens. Putin zeigte sich von den Arbeiten in dem deutsch-russischen Camp so beeindruckt, dass er einen für die russische Bürokratie ungewöhnlichen Countdown auslöste: Die Duma bewilligte kurz darauf einen Millionenbetrag für den Bau eines modernen Stationsgebäudes. Einer der Gründe für die Aufwertung sind die Forschungsergebnisse, die die kleine Station seit 1997 hervorgebracht hat.

Über den Permafrost wusste man bis in die 1990er-Jahre nicht viel mehr, als dass es ihn gibt. Dass er ein Viertel des Festlandes bis in Tiefen von maximal 1400 Meter in Eisesstarre hält, und dass er in den kurzen Sommern nur oberflächlich 30 bis 50 Zentimeter auftaut. Was geschieht, wenn sich die riesigen Flächen erwärmen und verstärkt Methan freisetzen? Methan ist ein Treibhausgas und heizt dem Klima rund 25-mal stärker ein als die gleiche Menge Kohlendioxid. Ökologische Apokalyptiker sprachen gleich von einer „Methan-Bombe“. Die eher rationalen Feldforscher gingen auf Distanz. Es gab zu diesem Zeitpunkt nur wenige Messungen, die für die Gesamtarktis hochgerechnet wurden; aus Sibirien lag gar nichts vor.

Deshalb begannen Wissenschaftler von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) mit einer Bilanz. Messungen über mehrere Jahre auf unterschiedlichen Böden brachten erstmals Daten zum Methanausstoß einer großen Permafrostregion. Er beträgt für das 28 000 Quadratkilometer große Lena-Delta um die 800 Tonnen Methan im Jahr. Das ist viel weniger als zum Beispiel aus dem Delta des Mackenzie-Flusses in Kanada entweicht und lässt sich mit Werten aus Feuchtgebieten der gemäßigten Klimazone vergleichen. Die an der Samoilow-Station gewonnenen Daten verhelfen somit zu präziseren Klimamodellen.

Eine viel wichtigere Frage für die Wissenschaftler ist, warum, wann und wie Methan im Dauerfrostboden gebildet wird – und was sich dabei infolge steigender Temperaturen ändern könnte. Und wie verhält es sich mit Kohlendioxid? Bisher zählen die Permafrostgebiete zu den Kohlenstoffsenken. Das heißt, unterm Strich wird dort mehr Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen als abgegeben.

Das Methan wird von Einzellern, den Archaeen, gebildet. Daneben gibt es auch Organismen, die Methan „fressen“ und Kohlendioxid ausscheiden. Was sich da im gefrorenen Boden abspielt, war vor zehn Jahren nur ansatzweise bekannt. Lange Zeit galt der Permafrost als steriles Habitat. „Heute wissen wir, dass in den sibirischen Frostböden genauso viele Mikroorganismen leben und auch so viele verschiedene wie in anderen Böden“, sagt der AWI-Forscher Dirk Wagner. Sie sind an extreme Kälte angepasst.

Auf steigende Temperaturen reagieren die Einzeller unterschiedlich. Laborversuche ergaben, dass die Methanbildner damit besser zurechtkommen, auch weil sie artenreicher sind als jene Organismen, die Methan verwerten. „Wir schätzen, dass bei einer Klimaerwärmung ungefähr so viel Methan produziert wird wie derzeit, aber es wird weniger davon in Kohlendioxid umgewandelt“, sagt Wagner. Das würde bedeuten, dass sich in der Atmosphäre Methan anreichert. „Die Vorstellung vom Aufschaukeln des Treibhauseffektes ist also kein bloßes Gedankenexperiment mehr.“

Lange Zeit nahmen die Forscher an, dass es im zentralen sibirischen Permafrost noch keine bedeutende Klimaerwärmung gibt. Dem widersprechen aktuelle Messungen: Die mittlere Lufttemperatur erhöhte sich in den vergangenen 50 Jahren um 1,7 Grad Celsius, hauptsächlich wegen der wärmeren Winter. Die Wirkung ist auch im Dauerfrostboden erkennbar. Selbst 27 Meter unter der Oberfläche, wo der tiefste Messfühler der Potsdamer Klimaforscher sitzt, stieg die Durchschnittstemperatur in den letzten vier Jahren um 0,2 Grad. Die oberflächennahe Bodenschicht taut jetzt tiefer auf. Dennoch schließt die Kryologin Julia Boike aus den Daten, dass im Beobachtungsgebiet die Wasserbilanz annähernd gleich geblieben ist. „Niederschläge und Verdunstung halten sich etwa die Waage.“

In den Sommermonaten kann es an einzelnen Tagen bis zu 30 Grad warm werden. Dann plätschert es überall. Als die Mikrobiologen am Rande eines 40 Meter hohen Eiskliffs eine Sedimentprobe aus einem Bohrloch nach oben ziehen wollten, verloren sie in der Tiefe den Bohrkern – ein fataler Verlust. Nach drei Wochen war das Kliff so weit abgetaut, dass sie die Bohrkrone aus dem Matsch bergen konnten. „In solchen Situationen wird einem besonders deutlich, dass der Temperaturanstieg kein Zukunftsszenario ist, sondern ganz aktuell“, sagt Dirk Wagner.

Gert Lange

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