Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Der Einstein-Verein
Vor 100 Jahren wurde die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Ort der Spitzenforschung gegründet. Die Institute sollten beste Bedingungen für die Forscher garantieren.
„Sind Forschungsinstitute nöthig, so hat der Staat sie zu gründen. Kann ers nicht, so mag ihn der Teufel holen.“ Mit diesen Worten kommentierte vor 100 Jahren der Berliner Publizist Maximilian Harden die gerade erfolgte Gründung einer Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. Die bissige Anmerkung Hardens weist auf die einschneidende Zäsur hin, die die Gründung einer privat finanzierten Institution für das deutsche Wissenschaftssystem bedeutete. Schließlich gehören Wissenschaft und Bildung in Deutschland seit jeher zu den vornehmsten Aufgaben des Staates.
Dennoch kann man in diesem Fall nicht nur von einem Tabubruch, sondern auch von einer Innovation sprechen. Es war die dritte, die nach Gründung der Berliner Universität (1810) und der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (1887) von Berlin ihren Ausgang nahm und die Wissenschaftslandschaft nicht nur in Deutschland bis heute nachhaltig geprägt hat.
Nachdem sich im 19. Jahrhundert die Berliner Universität mit ihrer programmatischen Leitidee der Einheit von Forschung und Lehre zum Modell der modernen Universität profiliert und damit nicht zuletzt der deutschen Wissenschaft den Weg zur Weltgeltung geebnet hatte, stieß zur Jahrhundertwende das Potenzial dieser Institution an ihre Grenzen. Namentlich die rasant wachsenden Studentenzahlen, aber auch der enorm gestiegene Aufwand für naturwissenschaftliche Spitzenforschung zeigten die Grenzen des Berliner Universitätsmodells auf und führte in Professorenschaft und Wissenschaftsverwaltung zu einer Krisenstimmung. Hinzu kam, dass Länder wie die USA die internationale Spitzenstellung der deutschen Wissenschaft infrage zu stellen begannen.
In seiner Festrede auf der prunkvollen Zentenarfeier der Berliner Universität im Oktober 1910 griff Wilhelm II. die viel diskutierte Frage auf und machte sie zu seiner eigenen. Er proklamierte, „unter Meinem Protektorat und Namen eine Gesellschaft zu begründen, die sich die Errichtung und Erhaltung von Forschungsstätten zur Aufgabe stellt ... Wir bedürfen Anstalten, die über den Rahmen der Hochschule hinausgehen und, unbeeinträchtigt durch Unterrichtszwecke, aber in enger Fühlung mit Akademie und Universität, lediglich der Forschung dienen.“
Trotz seines ausgeprägten Interesses für Wissenschaft und Technik sprengte eine solche forschungspolitische Idee den intellektuellen Horizont seiner Majestät. Als sein Ghostwriter war Adolf von Harnack tätig geworden. Der Theologe und Direktor der Königlichen Bibliothek hatte unmittelbar vor dem Universitätsjubiläum eine Denkschrift vorgelegt, die jene Idee selbstständiger und potenter außeruniversitärer Forschungsinstitute skizzierte. Allerdings waren solche Institute eine kostspielige Angelegenheit und dem ohnehin in einer Finanzkrise steckenden Staat kaum aufzubürden. Deshalb verfiel man auf die Idee, die nötigen Mittel durch Spenden aufzubringen.
Schon in seiner programmatischen Rede konnte der Kaiser verkünden, dass ihm bereits ansehnliche Mittel – zehn Millionen Reichsmark – übergeben worden seien. Als Mäzene der neuen Gesellschaft traten weniger die alten Eliten wie der Adel oder Großgrundbesitz in Erscheinung, sondern das aufstrebende technische und industrielle Großbürgertum sowie das jüdische Bankkapital, die sich durch ihr Engagement zusätzliche Wirkungsmöglichkeiten und gesellschaftliche Anerkennung im Wilhelminischen Deutschland versprachen; zumal die Spender mit den verschiedensten Ehren und Auszeichnungen bedacht wurden.
Bereits wenige Wochen nach der kaiserlichen Proklamation, am 11. Januar 1911, fand in der Akademie der Künste am Pariser Platz die konstituierende Versammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) statt, die die Satzung und Struktur der Gesellschaft beschloss sowie erwartungsgemäß Harnack zum ersten Präsidenten wählte. Harnack stand der Gesellschaft bis zu seinem Tod 1930 vor. Sein organisatorisches und politisches Geschick hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die KWG sehr schnell und über gesellschaftliche Krisen und Katastrophen hinweg als führende außeruniversitäre Forschungsinstitution Deutschlands etablieren konnte.
In der rekordverdächtigen Zeitspanne von weniger als zwei Jahren wurden im Herbst 1912 die ersten beiden Kaiser-Wilhelm-Institute für Chemie sowie für physikalische Chemie und Elektrochemie in Dahlem bezogen. Den Berliner Vorort hatte die Wissenschaftsverwaltung als Kerngebiet für die Institute der Gesellschaft bestimmt, womit an eine Vision des einflussreichen, aber früh verstorbenen Ministerialdirektors Friedrich Althoff angeknüpft wurde. Althoff wollte die aufgelassene königliche Domäne zu einem deutschen Oxford entwickeln.
Der Staat war also nach wie vor bereit, sein Scherflein zur Wissenschaftsförderung beizutragen – zumal er es in der Regel war, der für die Gehälter der Wissenschaftler und den laufenden Institutsetat aufkam. Die KWG kann man so, den Worten ihres Gründungspräsidenten folgend, als „private Gesellschaft, die den Staat in ihrer Mitte hat“, charakterisieren.
Auch wenn Dahlem bis zum Zweiten Weltkrieg das Zentrum der KWG blieb, fanden schnell andere Regionen Gefallen an der Einrichtung von Kaiser-Wilhelm-Instituten. So wurde in Mühlheim a. d. Ruhr 1912 ein Institut für Kohlenforschung und in Düsseldorf 1917 eines für Eisenforschung gegründet. Diese Institute weisen darauf hin, dass der vom Gründungspräsidenten beschworene Grundsatz, dass hier „reine Wissenschaft und nichts anderes gepflegt werde; praktische Gesichtspunkte als solche fernbleiben sollen“ ein absichtsvoll gepflegter Mythos der Gesellschaft ist.
Zu den verklärten und bis heute handlungsleitenden Gründungsprinzipien der Gesellschaft gehört ebenfalls das Harnack-Prinzip, wonach „die Gesellschaft einen (herausragenden) Wissenschaftler wählt und um ihn herum ein Institut baut“. Damit wollte man nicht nur dem vermeintlich aristokratischen Charakter der Forschung Rechnung tragen, sondern auch langfristige Forschungsperspektiven und Flexibilität sichern.
Die Ambivalenz dieser Prinzipien wurde gerade in Zeiten politischer Verwerfungen deutlich. So ist das Harnack-Prinzip dem nationalsozialistischen Führerprinzip zumindest strukturell verwandt und damit missbrauchsgefährdet. Und die Maxime reiner Grundlagenforschung war schon drei Jahre nach Gründung der Gesellschaft vergessen, als im Ersten Weltkrieg vaterländische Pflichterfüllung gefordert war und beispielsweise das Habersche Institut für Physikalische Chemie ganz in den Dienst der Giftgasforschung und -erprobung gestellt wurde; ganz zu schweigen von der späteren Indienstnahme bedeutender Teile des Forschungspotenzials der KWG für die Aufrüstungs- und Autarkiepolitik des „Dritten Reichs“ oder gar der Entgrenzung wissenschaftlicher Forschung im Rahmen der NS-Rassenpolitik. Die Selbstgleichschaltung der KWG führte auch dazu, dass 1933 zahlreiche Gelehrte umgehend aus ihren Stellungen vertrieben und zur Emigration gezwungen wurden.
Es war daher nur konsequent, dass nach 1945 die KWG per alliierten Kontrollratsbeschluss aufgelöst werden sollte. Dagegen begehrten nicht nur die Wissenschaftler der Gesellschaft auf, auch Vertreter der britischen Besatzung wollten die traditionsreiche Forschungsinstitution erhalten. Allerdings war es letztlich der Kalte Krieg, der den Fortbestand der KWG in Gestalt der Max-Planck-Gesellschaft sicherte. Diese war zunächst 1946 für die britische Besatzungszone gegründet worden. Im Februar 1948 fand dann die offizielle Neugründung als Max-Planck-Gesellschaft für das Gebiet der späteren Bundesrepublik statt. Sie war der Initiative der Wissenschaftler selbst geschuldet, so dass es zwischen Kaiser-Wilhelm- und Max-Planck-Gesellschaft weitgehende Kontinuitäten gab.
In den folgenden Jahrzehnten konnte sich die Max-Planck-Gesellschaft einen anerkannten Platz im Wissenschaftssystem der Bundesrepublik sichern – nach 1990 zudem mit fast 20 neuen Instituten im wiedervereinigten Deutschland. Als wichtigste und größte Institution außeruniversitärer Grundlagenforschung profilierte sie sich auch wieder als eine der herausragenden und angesehenen Forschungsorganisationen der Welt. In über 80 Instituten sind heute mehr als 15000 Mitarbeiter tätig, davon etwa 5000 Wissenschaftler.
Der Autor forscht am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Wer sich über die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft informieren will, dem sei die reich bebilderte Darstellung „Denkorte“ empfohlen (Sandstein-Verlag, 383 Seiten, 39 Euro).