Alexander von Humboldt: Der bewegte Forscher
Wandernde Völker, verschwisterte Sprachen: Alexander von Humboldt als Vordenker der Globalisierung
Er liebte Karten, Karten von fernen Ländern, die kräuseligen Linien der Ufer und Flussläufe, den kühnen Schwung der Längen- und Breitengrade. Seine erste Karte zeichnete er mit 14, da war er noch „eingezwängt in dürftiger Sandnatur“, bei Berlin nämlich, wo er zusammen mit seinem Bruder Wilhelm im Schloss Tegel aufwuchs. Alexander von Humboldt hatte ein beinahe erotisches Verhältnis zu Karten, sagt der Humboldt-Forscher Ottmar Ette: Erst fuhr er sie nur mit den Fingern nach – und dann, später im Leben, mit dem ganzen Körper, mit den wachen Ohren und Augen eines leidenschaftlichen Beobachters und dem hungrigen Geist eines Wissenschaftlers.
Amerika hat er bereist, Russland, große Teile von Europa, hat in Paris, dann wieder in Berlin gelebt, mit zahlreichen Briefpartnern in Übersee korrespondiert: ein Weltbürger, der sich souverän zwischen den Sprachen, den Kulturen, den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen bewegte. Mehr noch: Alexander von Humboldt war ein Vordenker der Globalisierung, sagte Ottmar Ette, Romanist an der Universität Potsdam, in einem Vortrag in den Museen Dahlem. Humboldts Lebenszeit (1769 bis 1859) fiel in eine Phase „beschleunigter Globalisierung“, und sein Hauptinteresse galt den wissenschaftlichen Fortschritten, die durch die Entdeckung Amerikas möglich geworden waren. In seinem Spätwerk „Die Entdeckung der Neuen Welt“, das er von 1834 bis 1838 auf Französisch schrieb, befasst er sich eingehend mit dem 15. und 16. Jahrhundert, einer Zeit, in der er eine besondere „Lebendigkeit der geistigen Bewegung“, einen „Höhepunkt in der Skala des Zeitenfortschrittes der menschlichen Vernunft“ erkennt: Niemals zuvor, schreibt Alexander von Humboldt in seiner Vorrede, „war der Ideenkreis in Bezug auf die Außenwelt auf eine so wunderbare Weise erweitert worden; nie hatte der Mensch das Bedürfnis lebendiger gefühlt, die Natur zu beobachten und die Mittel zu vervielfältigen, durch welche sie mit Erfolg zu befragen ist“.
Damals endlich sei „der Schleier gehoben worden, hinter welchem Jahrtausende hindurch die andere Hälfte der Erdkugel verborgen geblieben war“. Und das Lüften des Schleiers führte zu neuen Erkenntnissen in fast jeder Disziplin, angefangen mit der Astronomie und Kartografie über die Pflanzen- und Tierkunde bis hin zur Philosophie: „Beim Anblick eines neuen Festlandes bot sich der tätigen Neugierde der größte Teil jener wichtigen Fragen dar, welche uns noch heutigen Tages beschäftigen: über die Einheit des Menschengeschlechts und dessen Abweichungen von einer gemeinsamen Urgestaltung; über die Wanderungen der Völker, die Verschwisterung der Sprachen, über die Wanderungen der Pflanzen- und Tierarten; über die Ursache der Passatwinde und Meeresströmungen; über die gegenseitige Einwirkung der Vulkane aufeinander und den Einfluss, welchen sie auf die Erdbeben ausüben.“
Schon die Wortwahl – Wanderungen, gegenseitige Einwirkung, Verschwisterung – zeigt, wie sehr Bewegung und Leben im Mittelpunkt seines Denkens standen. Ottmar Ette hat soeben ein Buch mit dem Titel „Alexander von Humboldt und die Globalisierung – Das Mobile des Wissens“ veröffentlicht, in dem er die grundlegende Verbindung von Reisen und Wissen, von Mobilität und Wissenschaft beleuchtet. Festgefügte philosophische Systeme mit scheinbar ewig gültigen Antworten habe Humboldt gehasst, erklärt Ottmar Ette. Für ihn gab es auch nicht ein geografisches oder geistiges Zentrum des Wissens, sondern Wissen war für ihn multipolar, weltumspannend, es sollte zirkulieren. Dazu trug er selbst bei, indem er insgesamt 30 000 Briefe schrieb, viele davon an Partner in Übersee. Die Beschäftigung mit der Historie, mit dem Zeitalter des Christopher Kolumbus, war für Alexander von Humboldt auch immer ein Weg, die eigene Zeit besser zu verstehen: „Genauso können wir unsere heutige Zeit nur verstehen, wenn wir uns mit den früheren Phasen beschleunigter Globalisierung beschäftigen“, betont Ottmar Ette. Die zentrale Frage damals wie heute: Wie können wir in einer Welt unterschiedlichster Kulturen zusammenleben? Zur globalen Verteilung des Wohlstands hatte Alexander von Humboldt jedenfalls eine klare Meinung: Es sei ein „gotteslästerliches Vorurteil zu glauben, dass der Wohlstand außerhalb von Europa ein Nachteil für Europa wäre“.
„Die Entdeckung der Neuen Welt“ gilt – neben dem „Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ – als Hauptwerk Alexander von Humboldts, es war jedoch seit seiner Erstveröffentlichung vor 170 Jahren nicht mehr auf Deutsch herausgegeben worden. Ottmar Ette hat ebendies gerade geleistet. Im Insel-Verlag ist die „Entdeckung der Neuen Welt“, von ihm ediert und mit einem Nachwort versehen, gerade in zwei großen Bänden erschienen: der eine Band gefüllt mit Humboldts Text, der andere mit über 100 Farbreproduktionen von Landkarten, die Humboldt selbst gezeichnet hat oder die er kannte und auf die er sich im Text bezieht.
Ettes Vortrag zum selben Thema fand im Rahmen der Reihe „Auf dem Weg zum Humboldt-Forum“ statt, die der Verein der Freunde des Ethnologischen Museums veranstaltet. Aus immer neuen Perspektiven fragt die Reihe danach, wie das geistige Erbe der Brüder Humboldt für das künftige Stadtschloss genutzt werden kann, in dem ja vor allem die Sammlungen des – bisher in Dahlem ansässigen – Ethnologischen Museums präsentiert werden sollen.
Ottmar Ettes Wunsch an das Humboldt-Forum ergab sich logisch aus seiner Interpretation des Humboldt’schen Werks: Es möge ein Ort ohne feste Strukturen und territoriale Grenzziehungen werden, ein Ort der Bewegung, der Lebendigkeit, der die „Mobilität des Denkens“ in Ausstellungsform übersetzt und mit der gegenüberliegenden Museumsinsel in Dialog tritt. Ein Lob des Werdenden, des Aufbruchs, der Unabgeschlossenheit: Schließlich hat auch Alexander von Humboldt seine Werke nie vollendet – „weil es an uns ist, sein Werk weiterzuführen“.
Ottmar Ette: Alexander von Humboldt und die Globalisierung. Insel, Frankfurt am Main 2009. 476 Seiten, 24,80 Euro.
Alexander von Humboldt: Die Entdeckung der Neuen Welt, herausgegeben von Ottmar Ette. Insel, Frankfurt am Main 2009. 781 Seiten (zwei Bände), 98 Euro.
Kontakt zum Verein der Freunde des Ethnologischen Museums: 030/8301-231.
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