Bildung: Den Nationalen Bildungsrat öffnen
Alle Bildungsakteure der Zukunft müssen mitwirken – ohne Konkurrenzangst. Ein Gastkommentar von Ernst Dieter Rossmann, SPD.
Die Bildung der Zukunft ist gewiss eine sehr wichtige Staatsaufgabe, aber nicht ausschließlich, wie gerade Bildungspolitiker nur zu gerne glauben. Gegen den eingeengten Fokus auf Bund und Länder hilft da schon ein schneller Blick in die Finanzierung der Bildung in Deutschland. Der Nationale Bildungsbericht von 2018 weist hierzu aus, dass Bund und Länder rund 63 Prozent, die Kommunen 16 Prozent und die Wirtschaft sowie die Privathaushalte über 20 Prozent aller Bildungsausgaben finanzieren. Ganz offensichtlich ist die Bildungswirklichkeit damit zu komplex, um ihre Gestaltung nur als staatliche Aufgabe zu begreifen.
Für den neu zu schaffenden Nationalen Bildungsrat muss deshalb gelten: Mit einer reinen Staatsbank von Regierungsvertretern, beraten von der Wissenschaft, wird es nicht getan sein.
Die Sozialpartner spielen überall im Bildungswesen mit
Das Subsidiaritätsprinzip und das besondere Elternrecht führen bei der frühkindlichen Bildung zu immer mehr freien Trägern. In der beruflichen Bildung haben die Sozialpartner von der Arbeitgeberseite wie von der Gewerkschaftsseite gesetzlich verbriefte Steuerungsaufgaben, wie auch das nicht staatliche Kammersystem berufliche Bildung in hoher Eigenverantwortung wahrnimmt. Über die Tarifverträge organisieren die Sozialpartner Qualifizierungsrechte und Strukturen in den Unternehmen. Die Unternehmen selbst oder die Organisationen der Sozialpartner treten als Träger nicht nur der betrieblichen, sondern auch der beruflichen Weiterbildung auf. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt mit den Sozialpartnern über das größte geschlossene Einzelbudget für berufliche Erwachsenenbildung. Der Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung ist kommunal, beispielsweise über die Volkshochschulen, und gleichzeitig über Bildungsunternehmen privatwirtschaftlich organisiert – also sehr plural, sehr differenziert, sehr regional und zunehmend digital.
Es gehört keine Prophetie dazu: Der quartäre Bildungssektor der Weiterbildung wird ökonomisch durch die Wertschöpfung 4.0 und demografisch durch die deutlich verlängerte Bildungsbiografie bis ins Alter massiv wachsen. Dieser Trend wird folglich nachhaltig zum Ausbau des nichtstaatlichen Bildungssegments führen.
Zu Recht erwarten Wirtschaft und Gewerkschaften, im Nationalen Bildungsrat vertreten zu sein
Die Erwartung der Wirtschaft sowie der Gewerkschaften, im geplanten Nationalen Bildungsrat zusammen mit der öffentlichen Hand von Bund, Ländern, den Kommunen und der Wissenschaft als gleichwertig mit gesetzt zu sein, ist angesichts dieser Perspektiven leicht nachvollziehbar. Sie ist vernünftig. Schließlich soll der geplante Nationale Bildungsrat ausdrücklich kein Nationaler Schulrat werden, sondern eben ein Bildungsrat. Er soll die gesamte Bildungsbiografie der Menschen reflektieren und den Blick auf längerfristige Inhalte und strukturelle Entwicklungen richten – in allen Bildungsbereichen und in allen Bildungsinstitutionen. Und er soll zu Empfehlungen kommen, die sich an alle relevanten Akteure im Bildungswesen richten.
Aktuell ist die Wirtschaft schnell dabei, die Garantie von guter Bildung vorrangig vom Staat einzufordern. Der neue Nationale Bildungsrat wird, wenn er seine Aufgaben ernst nimmt, in alle Richtungen Forderungen stellen. Das wird der Wirtschaft, die jetzt mit Macht in den neuen Nationalen Bildungsrat drängt, nicht nur gefallen können. Und darf es auch nicht.
Die Kultusminister sollten den Rat nicht als Konkurrenz sehen
Wer Rat bekommen und möglichst auch aufnehmen soll, muss sich aber auch mit einem Nationalen Bildungsrat identifizieren können. Dazu gehören Repräsentanz und Beteiligung. Deshalb ist es gut, dass die Bundesbildungsministerin erstmals die Kommunen am großen „Bildungsthing“ beteiligen will. Die Kultusministerkonferenz (KMK) sollte dies nicht als Konkurrenz, sondern als hilfreiche Ergänzung und Unterstützung betrachten. Und es wäre auch klug, den Sozialpartnern als unverzichtbaren Akteuren von größter Relevanz feste Plätze zu geben. Schließlich muss nicht zuletzt auch die Zivilgesellschaft als Spiegel, als Widerpart und als Stachel mit einbezogen werden.
Der mögliche Mehrwert einer solchen neuen sachorientierten Institution zur Reflektion der Bildungswirklichkeit und als Impulsgeber für die Zukunftsaufgaben im Bildungswesen darf jetzt nicht verspielt werden. Bedenkenträgerei und institutionelle Angstkonkurrenz können wir hierbei nicht gebrauchen. Die Chancen eines Nationalen Bildungsrates könnten sonst so schnell nicht wiederkommen. - Ernst Dieter Rossmann ist Mitglied der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestags und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.