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Auf der Suche nach Orientierung. In der Vergangenheit haben meist Männer den Koran interpretiert. Im neuen universitätsübergreifenden Graduiertenkolleg zur islamischen Theologie arbeiten auch Nachwuchswissenschaftlerinnen zu Auslegungsfragen.
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Junge Theologen: Den Islam mit der Moderne versöhnen

Neue Lesart: Deutschland bildet islamische Nachwuchs-Theologen an den Universitäten aus. Kann so ein "Euro-Islam" entstehen, der in der europäischen, historisch-kritischen Wissenschaftstradition verankert ist?

Koransure 4, Vers 34 ist eine Zumutung: „Die Männer stehen über den Frauen“ heißt es da. Es ist eine Schlüsselstelle, wenn es um die Frage geht, ob der Islam mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Nimet Seker, 31, kennt die Sure gut. Sie ist Islamwissenschaftlerin und eine fromme Muslimin und stößt sich an dem Koranvers. Aber vielleicht handelt es sich gar nicht um eine normative Aussage? Vielleicht beschreibt der Vers lediglich den Zustand der arabischen Gesellschaft im 7./8. Jahrhundert, als der Koran aufgeschrieben wurde?

Dieser Frage will Nimet Seker in ihrer Doktorarbeit auf den Grund gehen. Sie ist überzeugt, dass der Koran das patriarchalische Rechtssystem nicht zementieren, sondern überwinden will. Aber in der Vergangenheit hätten meistens Männer die Heilige Schrift ausgelegt und so, wie es ihnen am besten passte.

Nimet Seker aus Köln ist eine von 15 Nachwuchswissenschaftlern, die sich in den kommenden Jahren im Rahmen von Dissertationen zu islamischen Theologen weiterbilden wollen. Die ersten sieben Doktoranden wurden jetzt aus 65 Bewerbern ausgewählt, weitere acht sollen im Juni 2012 dazu kommen. Wenn es gut geht, werden sich zumindest einige später habilitieren und Professoren werden, von denen viel in Deutschland abhängen wird. Denn sie sollen eine neue Lesart des Islam entwickeln, die mit dem Alltagsleben der europäischen Muslime vereinbar ist. Sie sollen der islamischen Theologie eine neue Facette hinzufügen, eine Facette, die in der europäischen, historisch-kritischen Wissenschaftstradition verankert ist.

Der 23-jährige Serdar Kurnaz aus Remscheid hat in Frankfurt am Main islamische und jüdisch-christliche Religionswissenschaften studiert, er ist ausgebildeter Imam und gibt die „Zeitschrift für islamische Studien“ heraus. Im Rahmen seiner Promotion will er untersuchen, wie aus Koran und Hadithen (den Aussprüchen Mohammeds) konkrete Handlungsanweisungen abgeleitet werden können und ob nicht manches, was bisher als „Befehl“ ausgelegt wurde, nur als „Empfehlung“ an die Gläubigen gemeint ist und umgekehrt. Ein anderer Doktorand will der modernen Koranhermeneutik neue Perspektiven eröffnen mit Hilfe des einflussreichen, aber weitgehend vergessenen frühen islamischen Theologen Abu Mansur al-Maturidis. Maturidis plädierte unter anderem für die klare Unterscheidung von Religion und Politik.

Bislang gibt es keine islamische Theologie an deutschen Universitäten. Damit sich die 15 Doktoranden trotzdem zusammenschließen können, wurde jetzt ein „Graduiertenkolleg für Islamische Theologie“ gegründet. Dafür stellt die private Mercator-Stiftung 3,6 Millionen Euro bis zum Jahr bis 2016 zur Verfügung.

Dieses standortübergreifende Graduiertenkolleg ist die Vorstufe für die vier islamischen Zentren, die gegenwärtig mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums in Münster/Osnabrück, Nürnberg/Erlangen, Frankfurt am Main und Tübingen aufgebaut werden. Angedockt ist das Graduiertenkolleg an die Universität Münster, wo Mouhanad Khorchide unterrichtet, einer von momentan zwei islamischen Theologen in Deutschland. „Ziel des Graduiertenkollegs und der geplanten islamischen Zentren ist es, eine neue Sicht auf den Islam zu entwickeln und den Islam im Kontext der deutschen Forschung zu etablieren“, sagt Khorchide. Als erwünschter „Nebeneffekt“ könne eine zeitgemäße islamische Theologie auch die Integration der hier lebenden Muslime in die Gesellschaft fördern. „Eine Theologie, die Zukunft hat, ist eine, die mit dem Alltag der Menschen zu tun hat und ihnen Orientierung gibt.“ Khorchide und die Doktoranden betonen, dass ein zeitgemäßer Islam aber nicht die islamische Tradition verwerfen dürfe. „Wir wollen die Ansätze aus der Tradition heraus fortführen und mit der Moderne versöhnen“, sagt Khorchide, man versuche einen „dritten Weg“ zwischen Tradition und Moderne.

Da aufgrund der Trennung von Staat und Religion der Staat nicht die Inhalte der Theologien bestimmen darf, arbeiten die Universitäten mit den islamischen Verbänden zusammen. In den meist konservativen Verbänden haben Funktionäre und keine Theologen das Sagen. „Indem sie mit uns Professoren zusammenarbeiten, müssen sich nun auch diese Funktionäre mit theologischen Fragen beschäftigen“, sagt Mouhanad Khorchide. „Da kommt viel in Bewegung, das wird die Verbände verändern.“

Der größte islamische Dachverband in Deutschland ist die Ditib, ein Ableger der Religionsbehörde in Ankara. Zur Ditib gehören die meisten deutschen Moscheen, die Imame kommen aus der Türkei. Dass jetzt auch hierzulande islamische Theologen ausgebildet werden, findet Ditib-Sprecher Ender Cetin „großartig“. Dass diese Theologen künftig an Ditib-Moscheen lehren werden, glaubt er allerdings nicht. Die Import-Imame aus der Türkei werden von der Religionsbehörde in Ankara bezahlt. Für die hier ausgebildeten Islamgelehrten müssten die Gemeinden selbst aufkommen. Dafür aber sei kein Geld da.

Claudia Keller

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