Glaukom-Früherkennung: Den Grünen Star stoppen
Ein Glaukom kann den Sehnerv dauerhaft schädigen - bis zur Erblindung. Wird der Grüne Star früh erkannt, können Ärzte den Prozess aufhalten. Trotzdem bleibt umstritten, wie sinnvoll vorsorgliche Reihenuntersuchungen sind.
Kein Zweifel, das Alter setzt den Augen zu. Weitsichtigkeit und eine Eintrübung der Linse, der „Graue Star“, sind da noch die harmloseren Probleme. Denn sie machen sich bemerkbar. Eine Brille oder eine Routineoperation schaffen Abhilfe. Auch wer sich erst spät dafür entscheidet, muss nicht um sein Augenlicht fürchten. Der „Grüne“ Star, das Glaukom, ist heimtückischer: Dabei gehen Nervenzellen zugrunde, das zentrale Gesichtsfeld wird immer kleiner. Zunächst geschieht das unmerklich. Es kann aber so weit führen, dass der Mensch blind wird. Denn der Sehnerv ist es, der die Lichtimpulse ins Gehirn zur Verarbeitung weiterleitet. Etwa 2000 Menschen erblinden jedes Jahr in Deutschland infolge eines Glaukoms, deutlich mehr leiden unter Einschränkungen des Gesichtsfeldes.
Die Medizin ist dagegen nicht machtlos. Augentropfen können zum Beispiel einen zu hohen Innendruck senken, den wichtigsten Risikofaktor für das weitverbreitete primäre Offenwinkel-Glaukom. Ein gewisser Innendruck ist nötig, damit die Kammern des Auges ausreichend mit Kammerwasser gefüllt bleiben. Diese glasklare Flüssigkeit, die hinter der Iris gebildet und durch ein feines Kanalsystem abtransportiert wird, ernährt Linse und Hornhaut. Kann es nicht abfließen, steigt der Druck. Wird er zu hoch, sind auf die Dauer die Zellen des Sehnervs in Gefahr. Den Augeninnendruck kann man mit zwei Verfahren messen, auch Augenoptiker bieten die Tests an.
Allerdings schwankt dieser Druck beträchtlich. Zudem gibt es Glaukome, die sich trotz normalen Augeninnendrucks bilden. In manchen Augen entsteht es nicht, obwohl der Druck erhöht ist. „Wir haben es mit einer Krankheit mit vielen Unbekannten zu tun“, sagt der Glaukom- Spezialist Carl Erb von der Augenklinik am Wittenbergplatz und einer der drei Sprecher der Sektion Glaukom der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Druckmessungen allein reichen deshalb nicht. Eine Augenspiegelung gibt Aufschluss darüber, ob der Sehnerv bereits geschädigt ist. Diese Schäden können die Ärzte zwar nicht rückgängig machen. Doch sie können den Prozess mitunter stoppen, meist mit Augentropfen.
Die Krankenkassen zahlen die Tests nicht
Wer über 40 Jahre alt ist und zum Augenarzt geht, bekommt heute meist bereits bei der Anmeldung ein Formular in die Hand gedrückt, auf dem eine „individuelle Gesundheitsleistung“ (IGeL) angeboten wird: ein Glaukom-Screening, bestehend aus einer Messung des Drucks und einem Check des Sehnervs, das der Patient selbst bezahlen muss. Mit 20 bis 40 Euro kosten die Untersuchungen nicht die Welt. Doch es geht ums Prinzip: Die DOG fordert seit Jahren, dass Messung des Augeninnendrucks und Sehnerv-Check ab 40 Kassenleistung werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stemmt sich dagegen, ein solches Glaukom-Screening einzuführen – außer für Menschen mit erkennbaren Risiken und im Fall eines konkreten Verdachts.
Doch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) urteilt nach Sichtung der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, „dass Studien fehlen, aus denen sich zuverlässig ableiten lässt, für welche Gruppe von Menschen welche Glaukom-Vorsorge mehr Vorteile als Nachteile aufweist“. Der IGeL-Monitor, den der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen in Auftrag gegeben hat, belegte Anfang dieses Jahres das Screening sogar mit der Gesamtnote „tendenziell negativ“. Er stützte sich dabei vor allem auf den Report der „Agency for Healthcare Research and Quality“ von 2012, die 83 hochwertige Studien und zwei Übersichtsarbeiten zum Thema ausgewertet hat. Bisher sei nicht belegt, ob die Früherkennungsuntersuchungen Sehverluste und Blindheit verhindern, schreiben die Autoren. Es sei nicht einmal klar, dass Glaukome mittels Screening früh erkannt werden können. Dafür würden immer wieder Gesunde durch einen Fehlalarm („falsch-positive“ Ergebnisse) erschreckt, eigentlich Betroffene könnten sich in trügerischer Sicherheit wiegen, weil Schädigungen unentdeckt blieben („falsch-negative“ Ergebnisse). Fazit des IGeL-Monitors: „Wir können nicht sagen, dass die beiden Untersuchungen wirklich nützlich sind, wir können es aber auch nicht ausschließen.“ Die Datenlage sei zu schwach, um daraus Schlüsse zu ziehen. Für besseren Durchblick brauche man dringend gute Studien.
"Die meisten wollen wissen, ob sie ein Glaukom haben"
Praktizierende Ärzte sehen die Sachlage zumeist durch eine andere Brille. Der in Berlin niedergelassene Augenarzt Hans-Jürgen Neeße setzt der von IQWiG und IGeL-Monitor als unzureichend eingeschätzten Datenlage seine persönliche Erfahrung entgegen: „Ich behandle Hunderte von Glaukom-Patienten. Leider musste ich in der Vergangenheit vereinzelt erleben, dass trotz Tropfen und Operationen Patienten erblindeten, weil das Glaukom zu spät entdeckt wurde.“ Mit seinem Angebot zur Glaukom-Früherkennung möchte er das verhindern. Nur eine verschwindende Minderheit seiner Patienten entscheide sich gegen die IGeL, berichtet Neeße. „Die allermeisten wollen wissen, ob sie ein Glaukom haben.“
Über jeden Zweifel erhabene Studien zum Nutzen der Glaukomvorsorge, wie sie der IGeL-Monitor und die Krankenkassen fordern, werde es niemals geben, sagt Lutz Pillunat, Direktor der Universitätsaugenklinik in Dresden und ebenfalls Sprecher der Sektion Glaukom in der DOG. „Angesichts der Prozentzahl der Erkrankungen in der Bevölkerung müsste man dazu zwei Gruppen von je 100 000 Menschen über 25 Jahre lang verfolgen – eine mit und eine ohne Vorsorgeuntersuchung.“ Das sei teuer und ethisch problematisch, denn einer Gruppe werde die Glaukom-Früherkennung vorenthalten. Pillunat verweist darauf, dass das Screening in Ländern wie Österreich, der Schweiz und den Niederlanden von den Kassen bezahlt werde.
Strenge Normen zur Begutachtung des Sehnervs
Die Diskussion darüber, dass sich nach den Untersuchungen vielleicht einzelne Patienten in falscher Sicherheit wiegen und sogar Warnzeichen nicht ernst nehmen, weil der Augenarzt im Screening bei ihnen beginnende Veränderungen nicht erkannt hat, und dass andere sich unnötig Sorgen machen, weil der Verdacht auf ein Glaukom unberechtigt war, findet Erb berechtigt. Für die Untersuchung des Gesichtsfelds, die sich bei Verdacht auf ein Glaukom anschließt, wünscht er sich zudem verfeinerte Methoden. Heute ist für die Untersuchung die konzentrierte und aktive Mitarbeit der Untersuchten gefragt. Frühe Schäden zu erkennen, ist schwierig. Dass es aufgrund des Screenings zu überflüssigen Therapien eigentlich Gesunder kommt, fürchtet Erb dagegen nicht: „Die Europäische Glaukom-Gesellschaft hat schließlich strenge Normen zur Begutachtung des Sehnervs aufgestellt, nach denen wir uns richten.“ Er stellt die Grundsatzfrage: „Welche Alternativen haben wir zu den verfügbaren Untersuchungen, wenn wir Betroffene herausfiltern wollen?“
Die Frage hat es in sich. Denn die Augenärzte sehen schlimme Patientenschicksale und wollen ihre – plausiblen und im Lauf der Jahre verfeinerten – Untersuchungen nutzen, um anderen Ähnliches zu ersparen. Den Gesundheitswissenschaftlern fehlen jedoch hieb- und stichfeste Belege dafür, dass diese Strategien im großen Maßstab Sehverschlechterungen und Erblindungen verhindern. Die Blickwinkel sind verschieden.