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Achtern Diek wird's gefährlicher.. Europa wird sich besser schützen müssen.
© Carsten Rehder/dpa

Reaktion auf Klimawandel in Küstengebieten: Deiche, die sich lohnen

Steigt der Meeresspiegel, müssen eigentlich auch die Schutzanlagen wachsen. Wo das nötig und am sinnvollsten sein wird, haben Forscher nun berechnet.

In Europa werden Flutkatastrophen aufgrund des Klimawandels möglicherweise Schäden in nie dagewesener Höhe anrichten.

Mit der globalen Erwärmung könnten extreme Pegelstände am Ende dieses Jahrhunderts mehr als einen Meter höher liegen und bislang nicht gefährdete Regionen überflutet werden. Wenn man das nicht hinnehmen will, wird man das Deichsystem ausbauen müssen. Eine Forschergruppe um Michalis Vousdoukas vom „Joint Research Centre“ der Europäischen Kommission im italienischen Ispra hat nun dafür Kosten und Nutzen modelliert.

Entlang knapp eines Drittels der europäischen Küsten könnten Deicherhöhungen demnach mindestens 83 Prozent der wirtschaftlichen Schäden verhindern, berichten sie im Fachmagazin „Nature Communications“.

Lohnende Deiche... und zu teure

„Unsere Studie zeigt, dass wir dicht besiedelte Bereiche von Europas Küsten relativ kostengünstig schützen können“, sagte Jochen Hinkel vom Berliner Global Climate Forum, Co-Autor der Studie, dem Tagesspiegel. Deiche auszubauen lohne besonders dort, wo Ballungsräume in Küstennähe liegen.

Im Durchschnitt könnten Investitionen in den künstlichen Küstenschutz in Europa Schäden verhindern, die acht- bis fünfzehnmal kostspieliger wären, berechnen die Wissenschaftler. Vor allem für Belgien, Frankreich und Italien lohne es sich, Deiche zu warten und zu erhöhen.

Doch auf mehr als drei Viertel der europäischen Küstenlänge überstiegen die Kosten den Nutzen. Hierzu gehören Steilküsten und dünn besiedelte Regionen etwa in Griechenland und auf Malta. Auch komplexe Küstenverläufe wie in Skandinavien machen den Deichbau unrentabel.

Worst Case: Fast zwei Meter, fast fünf Grad

Hier seien andere Formen der Anpassung die bessere Strategie. Das Team um Vousdoukas hat zwei Szenarien wirtschaftlicher Entwicklung und der erwärmenden Wirkung von ausgestoßenen Treibhausgasen verglichen: In einem gelingt es bis zum Ende des Jahrhunderts, den Treibhauseffekt zu begrenzen. Im zweiten Szenario steigen die Treibhausgasemissionen entsprechend der bisherigen Entwicklung kontinuierlich an und lassen die globale Durchschnittstemperatur um bis zu 4,8 Grad – verglichen mit Anfang des 21. Jahrhunderts – ansteigen.

Die extremen Pegelstände stiegen nach diesen zwei Szenarien im Durchschnitt um 34 bis 76 Zentimeter oder 58 bis 172 Zentimeter, verglichen mit dem vergangenen Jahrhundert. Den größten Anstieg gäbe es an den Nordseeküsten, wo das Wetter verstärkend wirkt. Dagegen könnten schwächere Stürme die Auswirkungen für Portugal und Spanien sogar begrenzen. „Es geht darum, eine Bandbreite möglicher Zukünfte anzunehmen und die Küsten in allen bestmöglich zu schützen“, sagt Hinkel.

Derzeit sind jährlich rund 100 000 Menschen von Überflutungen betroffen. Die Schäden liegen bei ungefähr 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es mehr als 200 Milliarden Euro jährlich sein. Die Forscher berechneten für verschiedene Deichhöhen, welche Flächen bei Extremereignissen überflutet und wie hoch die wirtschaftlichen Schäden ausfallen würden.

Doch neben dem Deichausbau wurden weitere Möglichkeiten betrachtet, darunter die Option, gar nichts zu tun. Sie wird aufgrund der Höhe erwarteter Schäden jedoch als unwahrscheinlich erachtet.

Nah am Wasser gebaut

In Europa leben, wohnen und arbeiten rund 200 Millionen Menschen in weniger als 50 Kilometer Entfernung von einer Meeresküste. Umsiedlungen ins Landesinnere halten die Forscher aber für nicht realistisch. Mithilfe von verbesserten Frühwarn- und Rettungssystemen und zusätzlichem Küstenschutz auch durch naturnahe Maßnahmen könne man sich auf einen gewissen Anstieg einstellen. In Europa sei meist eine Kombination aus Anpassung und Deichbau etabliert. Allerdings fielen die Schäden, wenn dies etwa bei einem Flutereignis nicht ausreiche, besonders hoch aus und hätten negative Auswirkungen auf Landschaft und Natur.

Bevor konkrete Entscheidungen getroffen werden, empfehlen die Wissenschaftler weitere Studien anhand lokaler Daten, um die jeweils beste Strategie zu finden. Deichausbau sei keineswegs die einzige und auch nicht immer die beste Option, schreiben sie. Und der Verlust wertvoller Ökosysteme durch Küstenschutzmaßnahmen sei bei der Kosten-Nutzen-Berechnung noch gar nicht berücksichtigt.

Patrick Eickemeier

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