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Gut geschützt. Manche Erreger werden durch Experimente gefährlicher. Foto: dpa
© picture alliance / dpa

Regeln für verantwortungsvolle Wissenschaft: Das zweischneidige Schwert der Forschung

Forschungsergebnisse lassen sich für Gutes wie für Schlechtes nutzen. Regeln, wie mit diesem "Dual-Use"-Charakter ihrer Arbeit umgegangen werden soll, haben Wissenschaftsorganisationen am Donnerstag vorgelegt.

Eigentlich sollten die Anthrax-Bakterien längst tot sein. Aus dem Hochsicherheitslabor der Stufe drei kamen sie nur heraus, weil Forscher sie zuvor chemisch behandelt hatten. Derart unschädlich gemacht sollten sie in einem weniger streng regulierten Labor dabei helfen, Anthrax bei Terroranschlägen leichter aufzuspüren. Eine Woche arbeiteten etwa 80 Menschen vergleichsweise ungeschützt mit den Bakterien. Erst als die Petrischalen entsorgt werden sollten, stellte sich heraus: Die Bakterien lebten noch.

Ausgerechnet Mitarbeitern des Bioterror-Labors der amerikanischen Seuchenbehörde CDC in Atlanta war dieser Fehler unterlaufen. Statt 48 Stunden hatten sie nur 24 Stunden gewartet, ehe sie das vermeintlich abgetötete Anthrax an ihre Kollegen weitergaben – nicht lang genug, um zu bemerken, dass ihr neues chemisches Verfahren nicht funktioniert hatte.

Von der Panne zur Pandemie

Passiert ist vermutlich nichts. Die Forscher nahmen vorsorglich Antibiotika oder wurden geimpft, bisher wurde keiner krank. Eine Verbreitung von Mensch zu Mensch ist unmöglich. Trotzdem ist die Aufregung groß – denn durch die Unachtsamkeit fühlen sich Kritiker ganz anderer Experimente bestätigt. Der Unfall beweise, wovor sie seit Jahren warnen: Wer Vogelgrippeviren wie H5N1 oder H7N9 leichter unter Säugetieren übertragbar macht, kann nicht ausschließen, dass diese Viren versehentlich entweichen und eine Pandemie verursachen. Anders als bei Anthrax gibt es dann weder Medikamente noch eine Impfung.

Erst Ende Mai hatten die Epidemiologen Marc Lipsitch (Harvard) und Alison Galvani (Yale) im Fachblatt „Plos Medicine“ betont, dass eine rigorose Schaden-Nutzen-Analyse der Vogelgrippe-Experimente zeigen würde, dass die Risiken „nicht zu rechtfertigen sind“. Die Erkenntnisse seien für die Überwachung der Grippeviren in der Natur praktisch nutzlos, unter anderem weil die Stichproben monatelang lagern, bevor das Erbgut sequenziert wird.

Gefährliche Mutationen würden viel zu spät auffallen. Für die Entwicklung von Impfstoffen seien die Ergebnisse auch nicht gut geeignet. Wenn zehn US-Labore zehn Jahre mit solchen Viren arbeiteten, bestehe jedoch eine 20-prozentige Chance, dass der Mensch versehentlich eine Pandemie lostritt. Das zeige eine Statistik von Laborunfällen. Es gebe sicherere und effektivere Methoden, die öffentliche Gesundheit vor den Auswirkungen einer neuen Grippe zu schützen.

Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka von der Universität von Wisconsin-Madison wiesen die Kritik weit von sich. Die Diskussion über Sinn und Unsinn ihrer und ähnlicher Experimente ist trotzdem wieder aufgeflammt.

„Hochsicherheitslabore sind in der Lage, mit sehr gefährlichen Viren zu arbeiten“, sagt Lars Schaade, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Wenn neue Grippeviren über die Luft von Mensch zu Mensch übertragen werden können, würde in Deutschland nur in Hochsicherheitslaboren der Stufe vier damit gearbeitet. „Dieser Standard ist deutlich höher als der des Anthrax-Labors in Atlanta. Viel kniffliger ist die Frage, ob das so generierte Wissen missbraucht werden kann.“ Bei Forschung, die zum Schaden und zum Nutzen der Menschheit genutzt werden kann (Dual Use), sei eine unabhängige Risikoanalyse vor dem Start der Experimente wichtig – „von Forschern, die kein Eigeninteresse haben“.

Neurobiologie könnte für Folter missbraucht werden

In Deutschland sollen dafür an den jeweiligen Institutionen „Kommissionen für Ethik in der Forschung“ eingerichtet werden, empfiehlt nun eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Und das nicht nur für die Biowissenschaften, sondern für alle Fächer. Neurobiologische Forschung könnte zu neuen Foltermethoden führen. Juristische Publikationen könnten Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen. „Dual Use gibt es seit der Steinzeit. Mit einem Hammer kann man nicht nur Nägel, sondern auch Köpfe einschlagen“, sagte DFG-Präsident Peter Strohschneider.

Anders als der Nationale Ethikrat setzen DFG und Leopoldina auf die Selbstregulation der Wissenschaft statt auf neue Gesetze. Sie appellieren an Forscher, „sich nicht mit der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu begnügen“. Vielmehr sollen sie selbst eine Risikoanalyse machen und das Missbrauchspotenzial bedenken, die Risiken minimieren und die Folgen einer Veröffentlichung prüfen. Dies gelte insbesondere dann, wenn das Wissen unmittelbar missbraucht werden kann. Letztes Mittel sei der Verzicht auf das jeweilige Forschungsprojekt.

Die Institutionen sollen zwei Gremien bilden: eines, das über die Einhaltung der Rechtsvorschriften wacht, und eine Kommission zur Ethik in der Forschung, die Dual-Use-Projekte begutachtet. Außerdem sollen Schulungen das Bewusstsein für ethische Grenzen schärfen. Ein Gremium von DFG und Leopoldina könnte den lokalen Kommissionen bei der Umsetzung der Empfehlungen beraten. „Jetzt müssen sich die Wissenschaftsorganisationen mit der Politik zusammensetzen“, kommentiert Schaade. Und zumindest für Deutschland eine Lösung finden. Diese Debatte beginnt erst.

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