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Klimatreiber. Die Erderwärmung wird maßgeblich durch den Ausstoß von Kohlendioxid angetrieben. Auch wenn sich für 2015 eine Stagnation abzeichnet - die Emissionen sind nach wie vor zu hoch, um das 2-Grad-Ziel sicher zu erreichen.
© dpa

Klimawandel: Das Zwei-Grad-Ziel ist unrealistisch

Selbst wenn Paris ein Erfolg wird, werden die Temperaturen deutlich über die 2-Grad-Marke steigen. Wer das Ziel weiterhin beschwört, macht sich unglaubwürdig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Wenn der Klimagipfel in Paris bisher etwas gebracht hat, dann sind es große Worte. Frankreichs Staatspräsident François Hollande zufolge geht es um nicht weniger als die „Zukunft des Planeten, die Zukunft des Lebens“. UN-Chef Ban Ki Moon schob am Montag nach: „Uns droht die Klimakatastrophe.“ Was am Ende im Vertragstext stehen wird und was davon wirklich in die Tat umgesetzt wird – schließlich ist der Klimawandel nicht das einzige Problem der Menschheit –, muss sich zeigen.

Kernforderung vieler Verhandler ist das 2-Grad-Ziel. Es besagt, dass die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts im Mittel nicht größer als zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit sein soll. Letzteres ist ein schwammiger Begriff, die Industrialisierung begann Ende des 18. Jahrhunderts, solide Wetteraufzeichnungen gibt es erst ab den 1880er Jahren. Demnach ist bereits ein Grad „geschafft“.

2015 wird das wärmste Jahr seit Beginn der weltweiten Aufzeichnungen werden

Nichts deutet darauf hin, dass sich an diesem Temperaturtrend mittelfristig etwas ändert. 12 der 13 wärmsten Jahre weltweit seit Beginn der Wetteraufzeichnungen liegen im 21. Jahrhundert. 2015 wird sehr wahrscheinlich einen neuen Rekord aufstellen, wobei daran auch das natürliche Klimaphänomen El Niño seinen Anteil hat. Und der massenhafte Ausstoß von Kohlendioxid hält weiter an.

Die 2-Grad-Forderung ist in erster Linie eine politische, auch wenn sie oft mit der Formulierung „die Wissenschaft sagt uns“ anmoderiert wird. So klar ist die Sache nämlich nicht, wie Reto Knutti von der ETH Zürich und Kollegen jetzt in „Nature Geoscience“ erneut darlegen. Die verbreitete Annahme, die 2-Grad-Linie trenne eine einigermaßen sichere von einer nicht mehr beherrschbaren Zukunft, sei wissenschaftlich nicht belegt. Tropische Korallenriffe werden bereits bei einem Plus von weniger als zwei Grad große Schäden erleiden. Andere gravierende Änderungen wie massiver Eisverlust in Grönland werden bei höheren Temperaturen erwartet – mit all den typischen Unsicherheiten solcher Modellrechnungen.

Kaum Szenario kommt ohne negative Emissionen aus

Hinzu kommt, dass die zwei Grad sich auf die weltweite Durchschnittstemperatur beziehen. Je nach Region können die Änderungen viel größer sein und damit die Folgen für Mensch und Umwelt. Das zeigen etwa die pazifischen Inselstaaten, die wesentlich früher von Überflutungen bedroht sind.

Doch mit Wahrscheinlichkeiten kommt man in der Politik nicht weit, dort sind griffige Ziele gefragt. So machte das 2-Grad-Ziel Karriere, trotz aller Unsicherheiten. Seit Jahren ist klar, dass die CO2-Emissionen zu hoch sind, um das Ziel ohne große Umbrüche zu erreichen. Trotzdem wird es mit einer Fünf-vor-zwölf-Rhetorik weiter ausgegeben. „Es ist verdammt knapp, aber wenn wir uns richtig anstrengen, schaffen wir es“, hieß es auch vor der aktuellen Klimakonferenz wieder. Was oft verschwiegen wird: Anstrengen heißt eine radikale Energiewende weltweit und in den meisten Szenarien auch „negative Emissionen“. Damit ist etwa der großflächige Anbau von Biomasse gemeint, die man zur Energiegewinnung verbrennt und dabei das anfallende CO2 auffängt, um es unterirdisch endzulagern. Jene Methode, die in Deutschland nach Protesten von Umweltschützern frühzeitig aufgegeben wurde, soll nun die Welt retten.

Biomasse und CCS erfordert große Flächen und viel Wasser

Problematisch ist nicht allein die Technik, die in diesem Maßstab noch gar nicht vorhanden ist. Fachleute warnen zudem vor dem immensen Flächen- und Wasserbedarf sowie hohen Kosten.

Immer mehr Experten bezweifeln, dass das 2-Grad-Ziel zu schaffen ist. Zumindest hinter vorgehaltener Hand. Dennoch halten viele offiziell daran fest. So verständlich es ist, die Menschheit mit einem Ziel motivieren zu wollen: Wenn die Chance verpasst ist, sollte man das zugeben. Um glaubwürdig zu bleiben.

Nicht zwei, sondern rund 2,7 Grad wird das Plus am Ende des Jahrhunderts laut „Climate Action Tracker“ betragen – sofern die freiwilligen Zusagen der Teilnehmerstaaten in Paris umgesetzt und optimistische Extrapolationen der Emissionen nach 2030 vorgenommen werden. Scheitern die Klimaverhandlungen, werden unsere Enkel bei rund 3,6 Grad landen.

Damit ist klar, was zu tun ist: Den Vertrag abschließen, den Kohlendioxidausstoß so rasch wie möglich reduzieren. Und Anpassungsstrategien entwickeln, anstatt von unrealistischen Zielen zu träumen.

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