Ohne Abstand, mit normalen Klassengrößen: Das steckt hinter Sachsens Sonderweg bei Grundschulen
Sachsen geht einen Sonderweg bei Kitas und Grundschulen. Obwohl inzwischen der Schulbesuch freiwillig ist, kamen etwa 90 Prozent der Schüler.
Kleine Kinder zum „Social Distancing“ zu bewegen ist schwierig: Darauf wird seit Öffnung der Schulen immer wieder hingewiesen. Sachsen hat daraus eigene Schlüsse gezogen. Als einziges Bundesland verzichtet es in Kitas und Grundschulen auf den Mindestabstand von 1,5 Metern. Seit diesem Montag sind Kitakinder und Grundschüler zu einem „eingeschränkten Regelbetrieb“ in ihren normalen Klassen und Gruppen zurückgekehrt.
Daran hält das Land auch fest, nachdem die Eltern eines Siebenjährigen erfolgreich gegen die Öffnung ohne Abstandsregeln geklagt hatten. Der Besuch der Grundschule ist aufgrund der Klage nun aber zunächst bis zum 5. Juni freiwillig – für alle Grundschüler in Sachsen.
Auf Unterricht verzichten oder Abstandsregeln
Nach Auskunft des Schulministeriums lag die Unterrichtsbeteiligung am Montag bei 90 Prozent, wobei nicht erhoben wurde, warum Kinder fehlen. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hatte das Konzept auf dem Blog des Tagesspiegel-Kolumnisten Jan-Martin Wiarda damit begründet, dass sich Abstandsregeln bei jüngeren Kindern „de facto“ nicht realisieren lassen würden. Man stehe also vor zwei Möglichkeiten: Weitgehend auf Unterricht zu verzichten – oder auf die Abstandsregeln. Für ihn ausschlaggebend sei in der Sache das Recht der Kinder auf Teilhabe und Bildung.
Eine Lehrkraft ausschließlich für eine Klasse
Die Klassen beziehungsweise Kitagruppen müssen nun nicht mehr geteilt werden, es gibt weder Mindestabstand noch Maskenpflicht. Die Klassen sollen immer in derselben Zusammensetzung bleiben und in den Pausen streng voneinander getrennt sein (was auch in anderen Bundesländern vorgesehen ist). Eine Lehrkraft ist zudem ausschließlich für eine Klasse zuständig. Mit dieser konstanten Zusammensetzung will man verhindern, dass die Zahl der Kontaktpersonen allzu groß wird, sollte es doch zu Neuinfektionen kommen. Eltern müssen täglich schriftlich versichern, dass ihr Kind keine Krankheitssymptome zeigt.
Das Kultusministerium beruft sich auf Reinhard Bremer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums Dresden. Dieser erklärt auf der Webseite des Ministeriums, das Risiko einer Coronavirusinfektion „wird nicht von Kindern ausgehen“ – sondern von Erwachsenen im familiären Umfeld.
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Fachgesellschaften fordern sofortige Öffnung von Grundschulen
Ähnlich äußerten sich am Dienstag vier medizinische Fachgesellschaften in einer Stellungnahme, die die zeitnahe und uneingeschränkte Öffnung von Kitas und Grundschulen fordert. Dort heißt es: „Insbesondere bei Kindern unter 10 Jahren sprechen die aktuellen Daten sowohl für eine geringere Infektions- als auch für eine deutlich geringere Ansteckungsrate.“ Im Gegensatz dazu seien die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Schließung gravierend.
Bei den Fachgesellschaften handelt es sich um die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, die Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
Der Einschätzung in Bezug auf das Infektionsrisiko bei Kindern dürften nicht alle medizinischen Experten folgen: Die Datenlage ist nämlich noch dünn. Erst jetzt startet etwa das Uniklinikum Hamburg eine Studie bei 6000 Kindern zu der Frage, welche Rolle sie als Überträger spielen. Charité-Virologe Christian Drosten warnte kürzlich vor vorschnellen Interpretationen von vorliegenden Daten (mehr zu unterschiedlichen Studien bei dem Thema lesen Sie auch hier).
Unter Eltern und Lehrkräften gibt es denn auch Proteste gegen Sachsens Konzept. Von einem „großen Misstrauen“ spricht Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW Sachsen. „Die medizinische Hypothese, dass Kinder nicht ansteckend sind, ist nicht sehr überzeugend.“
"Große Unsicherheit und persönliche Besorgnis"
Dass das Kultusministerium zunächst außerdem Risikogruppen unter den Lehrkräften zurück in die Schulen holen wollte, weil das Personal gar nicht für das Konzept ausreicht, habe zusätzlich „große Unsicherheit und große persönliche Besorgnis“ bei vielen Lehrkräften ausgelöst. Zwar würden nach Protesten aus der Lehrerschaft Kolleginnen und Kollegen mit einem personalisierten Attest doch nicht einbezogen. Es bleibe aber das Problem, dass die räumlichen und personellen Kapazitäten fehlten: „Man stößt an seine organisatorischen Grenzen.“
So brauche man mehr Personal, weil das Schulessen in den Klassenräumen ausgeteilt werden soll. Ungeklärt sei, was im Hort geschehe, wo die Gruppen komplett neu organisiert werden müssten. Kruse wäre es lieber gewesen, das Ministerium würde die Grundschulen langsam wieder öffnen – „und dafür verlässlich“. Wenn mit diesem Konzept etwas schief gehe, müsse man unvorbereitet zurück zum Fernunterricht. Sollten durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts nun auch noch größere Gruppen von Schülerinnen und Schüler zu Hause unterrichtet werden müssen, „entstehen noch mehr Probleme“.
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