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Wucht des Vulkans. 2011 brach auf Island der Vulkan Grimsvötn aus und schoss seine Eruptionswolken bis in die Stratosphäre. Läge der Vulkan in den Tropen, hätte er damit das weltweite Klima beeinflussen können.
© picture alliance / dpa

Wissen: Das Klimapuzzle

Vulkane und Weltmeere tragen ebenso zum Klima der Zukunft bei wie der Mensch. Um Vorhersagen über Jahrzehnte zu machen, versuchen Forscher das Zusammenspiel zu verstehen.

Würden Sie gerne wissen, ob der Sommer 2016 genauso heiß wird wie dieses Jahr? Ob 2017 ein gutes Jahr für Spargel wird? Ob Sie Ihre Südamerikareise besser in vier oder in fünf Jahren einplanen sollten? Tatsächlich arbeiten Klimaforscher auf der ganzen Welt daran, das Klima für einzelne Regionen Jahre im Voraus zu bestimmen. So könnten sie etwa vor Dürren warnen oder den Aufenthaltsort von Fischschwärmen vorhersagen.

Der Einfluss des Menschen würde in solche Prognosen einfließen: Durch den Ausstoß von Treibhausgasen, da sind sich die Forscher praktisch einig, wärmt er die Erdatmosphäre auf. Aber auch Meeresströmungen, Vulkanausbrüche und Sonnenaktivität beeinflussen das Klima. Diese natürlichen Klimaschwankungen sind noch nicht gut verstanden, können aber enormen Einfluss haben. So könnten Forscher damit erklären, warum die Erderwärmung seit zwölf Jahren pausiert. Denn seit 2001 ist die weltweit gemittelte Lufttemperatur nicht angestiegen. Das könnte daran liegen, dass die Ozeane in dieser Zeit mehr Wärme aufgenommen haben. Wegen Ungenauigkeiten bei den Messungen der Meerestemperatur gilt diese Erklärung noch nicht als gesichert.

Die Weltmeere sind der Schlüsselfaktor für natürliche Klimaschwankungen im Bereich von Jahrzehnten. Denn Meerwasser kann riesige Mengen Wärme speichern. „Die Ozeane sind für das Klima wie ein Gedächtnis“, sagt Noel Keenlyside von der Universität Bergen in Norwegen. Wird die gespeicherte Wärme nach Jahren oder Jahrzehnten wieder an die Atmosphäre zurückgegeben, ruft das Variationen im Klima hervor. Im Pazifik zum Beispiel tritt alle zwei bis sieben Jahre El Niño mit hohen tropischen Wassertemperaturen auf – dabei gibt das Meer Wärme an die Atmosphäre ab, während es in den dazwischen auftretenden La-Niña-Phasen Wärme aufnimmt. Kurzzeitige Schwankungen wie El Niño verstehe man schon ziemlich gut, sagt Keenlyside.

Es gibt aber auch längere Oszillationen, die jahrzehntelang andauern können - sowohl im Pazifik als auch im Atlantik. Diese langfristige Variabilität bereitet den Forschern noch große Schwierigkeiten. Es mangelt vor allem an Messdaten. Satellitenaufzeichnungen reichen zwar schon Jahrzehnte zurück, aber erst seit wenigen Jahren werden die Ozeane regelmäßig und erdumspannend bis in eine Tiefe von 2000 Metern vermessen, und zwar mit automatischen Tauchbojen des internationalen Programms „Argo“. Mithilfe dieser Daten könnten erste kurzfristige Klimavorhersagen – für einige Jahre bis Jahrzehnte – bald Wirklichkeit werden. Das größte Potenzial für brauchbare Vorhersagen gibt es laut Keenlyside vermutlich im Nordatlantik. Europa würde also als eine der ersten Regionen von dem Fortschritt profitieren.

Doch einige wichtige Fragen harren noch der Klärung. Das trifft etwa auf die „Atlantische Multidekadische Oszillation“ zu, die dem Nordatlantik alle paar Jahrzehnte wärmeres oder kälteres Wasser bringt. Einige Forscher glauben, die Ursache sei die zeitweilige Abschattung der Sonne durch Staubpartikel, etwa in den 1960er und 1970er Jahren durch die Luftverschmutzung in Nordamerika und Europa. Doch die Hypothese kann manche Messwerte im Ozean nicht erklären. Die meisten Forscher nehmen deshalb an, dass Veränderungen von Strömungen im Atlantik für die Oszillation verantwortlich sind. Die Oszillation wiederum hat offenbar einen starken Einfluss auf das weltweite Klima. So hat der Anstieg der Wassertemperaturen nach 1975 vermutlich den globalen Temperaturanstieg zwischen 1975 und 2000 verstärkt (siehe Grafik). Auch die tropischen Gewässer des Pazifik hätten einen enormen Einfluss auf das Wetter, meint Keenlyside. Aber die Schwankungen in diesem Meer, immerhin der größte Ozean der Erde, seien noch rätselhafter, sagt er.

Ein anderer wichtiger Faktor für Klimaschwankungen neben den Ozeanen sind Vulkanausbrüche. „Für eine globale Klimaauswirkung müssen sich die Vulkane in den Tropen befinden und eine große Menge Schwefel bis in die Stratosphäre befördern“, sagt Kirstin Krüger, also mehr als 16 Kilometer hoch schleudern. Krüger arbeitet am „Geomar“, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, und leitet dort eine Arbeitsgruppe zu Wechselwirkungen zwischen Ozeanen und der Mittleren Atmosphäre.

Der letzte Vulkanausbruch, der das Klima weltweit spürbar beeinflusste, war die Eruption des Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991. „Damals hat sich die globale Mitteltemperatur um bis zu 0,4 Grad abgekühlt“, sagt Krüger. Der Grund war der Schwefelausstoß des Vulkans: Er führte in der Stratosphäre zur Bildung von Tröpfchen aus Schwefelsäure, die das Sonnenlicht abschirmten. Die Wirkung solcher Eruptionen auf das Klima hält laut Krüger zwei bis drei Jahre an.

Ob einzelne Vulkanausbrüche auch eine Langzeitwirkung auf das Klima haben können, ist nicht ganz klar. Manche Forscher vermuten zum Beispiel, eine Reihe kräftiger Vulkaneruptionen habe zur Entstehung der Kleinen Eiszeit zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert beigetragen – damals war es auf der Nordhalbkugel rund ein Grad Celsius kälter als heute. Laut Jürg Luterbacher von der Justus-Liebig-Universität Gießen spielten für Europa aber auch die Sonne und vor allem die Ozeane eine wichtige Rolle als Auslöser der Kälte.

Um solche Fragen zu klären, müssen Forscher wissen, wann welche Vulkane ausgebrochen sind und wie heftig die Eruptionen waren. „Die wichtigsten Eruptionen der letzten 1000 Jahre kennt man schon ganz gut“, meint Krüger. Darunter ist aber eine interessante Ausnahme: Der stärkste Ausbruch des vergangenen Millenniums ereignete sich im Jahr 1258. Funde in Eisbohrkernen von Grönland und Antarktis belegen eindeutig, dass sich damals ein gewaltiger Ausbruch in den Tropen ereignet haben muss. Die Eruption muss noch stärker gewesen sein als die von Tambora oder Krakatau im 19. Jahrhundert. Sie konnte aber noch keinem Vulkan zugeordnet werden. Jüngste Spekulationen, wonach er in Indonesien liegt, müssen erst noch belegt werden.

Krügers Team hat sich mit noch viel älteren Vulkaneruptionen befasst, nämlich solchen in Mittelamerika in den letzten 200 000 Jahren, von denen man durch Ablagerungen des Eruptionsmaterials weiß. Die stärkste jener Eruptionen – „Los Chocoyos“ heißt der Vulkan im heutigen Guatemala – hat nach ihren Modellrechnungen die Luft weltweit kurzfristig um zwei bis drei Grad abgekühlt. Krüger und ihre Kollegen sind der Auffassung, dass die Welt verglichen mit der Vergangenheit in den letzten zwei Jahrzehnten relativ wenige starke Vulkanausbrüche erlebt hat. „Eigentlich ist der nächste große Ausbruch überfällig“, mutmaßt sie – ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor für alle Prognoseversuche.

Am umstrittensten ist die Rolle der Sonne für das Klima. „Der Einfluss der Sonne ist schwer dingfest zu machen, aber sicher klein“, meint Geert Jan van Oldenborgh, der für den Wetterdienst der Niederlande Klimamodelle testet und Verbesserungen vorschlägt. Oft würden Korrelationen zwischen der Sonnenaktivität und dem Klimageschehen präsentiert, die sich bei genauerer Prüfung als Irrtum herausstellten.

Im Prinzip kann die Sonne das Klima auf der Erde gleich auf mehreren Wegen beeinflussen. Zum einen bilden sich auf der Oberfläche des Sterns im 11-Jahres-Takt immer mehr Sonnenflecken und verschwinden dann wieder. Erreichen die Flecken ihr Maximum, ist auch die Gesamtstrahlung der Sonne am stärksten. Der Einfluss auf die Erde ist allerdings gering: Die Lufttemperatur ändert sich hier um allenfalls 0,1 Grad Celsius.

Ein Teil der Sonnenstrahlung variiert aber stärker, nämlich der ultraviolette Bereich. Diese Strahlen transportieren nur wenig Energie, doch die Schwankungen wirken sich auf die Ozonschicht der Erde aus. Dort wird die UV-Strahlung geschluckt. Erwärmt sich die Luft in dieser Schicht oder kühlt sich ab (je nach Sonnenstrahlung), dann kann sich das bis zur Erdoberfläche fortpflanzen. Der Effekt ändert das Wetter und vielleicht auch das Klima – allerdings nur schwach, in einzelnen Regionen – und wahrscheinlich nicht global. Über die Rolle der UV-Strahlung wird neuerdings sehr intensiv diskutiert, da aktuelle Satellitenmessungen sogar noch heftigere Schwankungen zeigen als frühere Messungen.

Darüber hinaus beeinflusst die Sonne die kosmische Strahlung. Je nach Sonnenaktivität werden diese Strahlen aus den Fernen des Alls unterschiedlich stark abgeschirmt. Das ist wichtig, weil es Spekulationen gibt, wonach die kosmische Strahlung die Entstehung von Wolken beeinflusst. Eindeutig nachgewiesen ist diese Wirkung bisher nicht. Weitere Laborexperimente sind notwendig, wie sie zurzeit etwa an den Teilchenbeschleunigern des Cern bei Genf stattfinden. Beobachtungen außerhalb von Labors liefern widersprüchliche Indizien. Gut möglich also, dass die Variationen der kosmischen Strahlung eine nur verschwindend geringe Wirkung auf das Klima haben.

Klar ist aber: Nicht nur der Mensch und sein Ausstoß von Treibhausgasen, auch Sonne, Meere und Vulkane beeinflussen das Klima ganz entscheidend. Den nächsten Schritt, um das Erdsystem noch besser zu verstehen, bereiten Forscher zurzeit vor. Auch die Temperatur tiefer Wasserschichten soll künftig regelmäßig erfasst werden – bis in eine Tiefe von 4000 Metern. Diese Information wäre gerade für langfristige Prognosen Gold wert.

Sven Titz

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