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Holzkopf. Viele Menschen hängen Mythen an, für die es keine Beweise gibt. Entscheidend dafür seien nicht die Fakten, sagen Psychologen, sondern wie wahr sich etwas anfühlt.
© pholidito - Fotolia

Psychologie: Das kann doch nicht wahr sein

Impfgegner, Aidsleugner, Homöopathen: Viele Menschen glauben an Mythen – und lassen sich von Beweisen kaum überzeugen. Psychologen erforschen, weshalb das so ist. Eine Anleitung zur Diskussion mit Sturköpfen.

Manche Irrtümer enden tödlich. Die Geschichte von Christine Maggiore zum Beispiel. Die Kalifornierin bereiste die Welt, lebte eine Weile in Florenz, gründete ein erfolgreiches Unternehmen. Dann stellte ein Besuch beim Arzt ihr Leben auf den Kopf. Bei einer Routineuntersuchung wurde auch ein HIV-Test gemacht. Das Ergebnis fiel positiv aus, Maggiore war mit dem Aids-Erreger infiziert. Ein Schicksalsschlag, den die junge Frau in zahlreichen Schritten verschlimmerte. Maggiore geriet in Kontakt mit Aids-Leugnern. Anhänger dieser Ideologie weigern sich anzuerkennen, dass das Virus Aids auslöst. Stattdessen verschanzen sie sich hinter der Behauptung, dass die Medikamente für HIV-Infizierte das eigentliche Übel seien. Sie verteufeln wirksame Hilfe und leugnen Fakten, die auf dem Fundament unzähliger wissenschaftlicher Erkenntnisse beruhen.

Die meisten Unbeteiligten identifizieren dieses Gedankengut als blanken Wahnwitz – Maggiore glaubte daran, und nichts konnte ihr Vertrauen in die Thesen der Aids-Leugner erschüttern. Sie verteufelte Gegenargumente als Propaganda der Pharmaindustrie und tat ihr positives HIV-Testresultat als harmlose Allerweltsinfektion ab. Sie warb dafür, dass andere Infizierte ihre Medikamente absetzten. Sie gebar zwei Kinder und verzichtete während der Schwangerschaft auf Arzneien, die ihren Sohn und ihre Tochter vor einer Infektion geschützt hätten.

Auch als ihr Mädchen Eliza Jane im Alter von nur drei Jahren an Aids starb, kam Maggiore nicht zu Sinnen: Sie beschuldigte Ärzte, Behörden und witterte Verschwörungen. Bis sie dreieinhalb Jahre nach ihrer kleinen Tochter schließlich selbst an den Folgen von Aids starb, bestritt Christine Maggiore, dass diese Krankheit überhaupt existiert.

Eine extreme Geschichte, doch sie hat mit dem Alltag gewöhnlicher Menschen mehr gemein, als es scheint. Wir alle schenken Mythen Glauben, für die Beweise fehlen. Wir alle halten an Standpunkten fest, für die wir keine Belege haben. Zuckerkügelchen verwechseln viele mit wirksamer Medizin, Impfungen halten sie für gefährliches Gift. Wir streiten uns über Gentechnik, ohne exakt zu verstehen, worum es da geht. Wir halten uns für fleißiger als den eigenen Partner und für intelligenter als die Kollegen, ohne das auf mehr als ein diffuses Gefühl zu gründen. Kürzlich demonstrierten Psychologen, dass Menschen selbst dann Informationen Glauben schenken, wenn ihnen zuvor klipp und klar mitgeteilt wird, dass es sich um Lügen handelt.

Trotzdem besteht Hoffnung, selbst Starrköpfe zu überzeugen. Die Studien und Experimente zahlreicher Psychologen zeigen, dass der Fokus in Diskussionen auf der Verpackung von Fakten liegen muss. Es geht darum, dass sich etwas wahr anfühlt, dass sich das diffuse Gefühl einstellt, eine Geschichte, eine Aussage oder eine Nachricht entspreche der Wahrheit. Die (natürlich!) korrekten Sachinformationen müssen also so präsentiert werden, dass sie sich wahr anfühlen.

Nutze klare Botschaften

Der Schlüssel in die Trutzburg der Starrköpfe ist die kognitive Leichtigkeit. Je weniger ein Mensch geistig herausgefordert wird, desto eher schluckt er das, was ihm gesagt wird. Skepsis und Zweifel sind die Domäne des analytischen Denkens, wie der Psychologe Daniele Kahneman ausführt. Doch das kostet Energie, es strengt an und fühlt sich nicht gut an. Wer also auf komplizierte Vokabeln und komplexe Sätze verzichtet, weckt das Misstrauen seines Gegenübers nicht aus dem Schlummer. Kognitive Beanspruchung versetzt hingegen das analytische Denken eines Menschen in Alarmzustand und verrammelt den Zugang zum Geist des Starrkopfes.

Es kostet zum Beispiel mehr Mühe, einen Text in einer Fremdsprache zu lesen. Versuche haben gezeigt, dass der gleiche Inhalt dann kritischer geprüft wird als in der Muttersprache. Auch ein schlechtes Schriftbild reduziert die kognitive Leichtigkeit und lässt Leser den Inhalt besonders misstrauisch begutachten. Gute Lesbarkeit und leichte Verständlichkeit erhöhen hingegen die Illusion von Wahrheit. Die gleiche Aussage, so haben Psychologen in einem Experiment gezeigt, wird eher als wahr akzeptiert, wenn sie in einer dunkel- statt hellblauen Schrift gesetzt war. Der stärkere Kontrast erhöhte die Lesbarkeit. Wer überzeugen will, hat klare Botschaften und nimmt seinem Gegenüber das Denken weitgehend ab.

Konzentriere dich auf wenige Argumente

Wer hält sich für durchsetzungsfähiger? Menschen, die drei Situationen aufschreiben sollen, in denen sie einen Widerstand überwunden haben, oder jene, die zwölf solche Begebenheiten schildern sollen? Eigentlich müssten es doch die sein, die mehr Situationen beschrieben, in denen sie sich durchsetzten. Doch in diesem Versuch von Psychologen verhielt es sich genau andersherum: Es kostete eben mehr Mühe, zwölf statt drei solche Situationen zu erinnern. Diese kognitive Mühe werteten die Probanden als Indiz, dass sie wohl nicht sonderlich durchsetzungsfähig sein könnten. Der gleiche Effekt tritt auf, wenn in einer Diskussion zu viele Gegenargumente bedacht werden sollen. Mit jeder zusätzlichen Information nimmt die kognitive Mühe zu und damit das Gefühl, dass es sich vielleicht doch nur um Geschwafel handelt.

Der Psychologe Nobert Schwarz von der Universität Michigan, der diese Versuche unternommen hat, beobachtete zudem: Dieser Mechanismus ist unabhängig von der Qualität der Argumente. Selbst wenn zwölf wasserdichte Punkte angeführt werden, lässt die Überzeugungskraft mit dem Umfang der Informationen nach. Viele Argumente zu bedenken, kostet Kraft und erzeugt ein unbehagliches Gefühl, das Menschen automatisch scheuen. Wer Starrköpfe überzeugen will, sollte also wenige sehr gute statt viele sehr gute Argumente in den Ring werfen.

Verschweige den Mythos

Es ist ein Dilemma: Wer einen Mythos entkräften will, wiederholt diesen fast zwangsläufig. Warum das ein Problem ist? Weil jede Wiederholung dazu führt, dass eine Information geläufiger wird. Werbung funktioniert auf diese Weise. Niemand glaubt sofort, dass ein Waschmittel weißer wäscht als alle anderen. Doch die stete Wiederholung einfacher Botschaften reduziert den Grad an geistiger Anstrengung, die es braucht, um diese zu verarbeiten – und was mit Leichtigkeit verarbeitet wird, fühlt sich irgendwann vertraut und gut an. Aus einem diffusen Gefühl heraus greift man dann eben zu dem Produkt, das sich irgendwie vertrauter anfühlt. Nun sind Verschwörungstheorien oder starke Meinungen natürlich etwas anderes als Waschmittelwerbung. Der Effekt ähnelt sich aber, wie Schwarz demonstriert hat. Er testete, wie Informationen zu Impfungen aufgenommen werden. Er legte einen Flyer der US-Seuchenschutzbehörde vor, der unbegründete Ängste widerlegte, diese Mythen dabei aber notgedrungen erwähnen musste. Wer die Unterlagen gelesen hatte, wusste anschließend Fakt von Fiktion zu unterschieden – jedoch nur kurzfristig. Nach einigen Stunden fragte der Psychologe die Leser des Flyers nochmals ab. Nun waren sie gründlich verwirrt und hielten sich an die Faustregel „Was sich vertraut anfühlt, wird schon stimmen.“ Weil der Flyer aber auch widerlegte Mythen erwähnt hatte, fühlten sich auch diese vertraut und wahr an, sobald die konkrete Erinnerung an die Inhalte verblasste. Wer also überzeugen will, konzentriert sich auf seine eigenen Argumente und verschweigt die seines Gegners.

Geschichten, Lücken und Erklärungen

Erzähle Geschichten

Wenn Statistik gegen Geschichten antritt, dann liegen die Zahlen meistens nach wenigen Runden k.o. im Staub. Persönliche Anekdoten übertrumpfen die beste Studie an Überzeugungskraft – das ist tragisch, aber nicht zu leugnen. In der unendlichen Debatte über Sinn und Unsinn von Homöopathie offenbart sich das immer wieder. Die Gegner der Zuckerkügelchen werfen Studien in den Ring, reden von Meta-Analysen und von der Aussagekraft randomisierter, doppelt verblindeter, Placebo kontrollierter klinischer Studien.

Diese stellen in der Tat den Goldstandard medizinischer Studien dar, aber das Konzept ist schwer zu erklären, die Begriffe sind sperrig und abstrakt. Und wenn dann der folgende Satz fällt, hat die Diskussion sofort starke Schlagseite: „Das mit den Studien ist ja schön, aber als ich mir letzten Herbst diese heftige Infektion eingefangen hatte, haben mir die Kügelchen geholfen.“ Diese Aussage ist für jeden nachvollziehbar, leicht zu verstehen und konkret vorzustellen, egal ob sie wahr ist oder nicht. Was war das mit diesem randomisiert-verblindeten Gedöns? Wer überzeugen will, erzählt also persönliche Geschichten und Anekdoten, die zu den Fakten passen. Überwinden Sie ihre Scheu vor konkreten Schilderungen (falls Sie ein Wissenschaftler sind). Geschichten sind der Katalysator, über den Menschen und sogar vernagelte Starrköpfe Dinge begreifen.

Fülle die Lücke

Wenn eine Behauptung einmal in die freie Wildbahn entlassen ist, dann ist sie nur schwer wieder einzufangen. Zum Beispiel ist in zig Studien nie ein Hinweis gefunden worden, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung Autismus auslösen kann. Doch es reicht, dass diese Fehlinformation einmal in der Welt ist, um viele Eltern zu verunsichern. Immer wieder kommt ihnen der vermeintliche Zusammenhang in den Sinn. Selbst wenn einem klar ist, dass Informationen nicht korrekt sind, beeinflussen sie weiterhin das Denken und Handeln. Menschen basteln sich mentale Modelle von Ereignissen und Zusammenhängen. Und diese bleiben auch bei Widerlegungen präsent - es sei denn, sie werden durch eine neue Erklärung ersetzt. Im übertragenen Sinne ließe sich das auf die Formel bringen: Es reicht nicht, eine Tat nur abzustreiten. Um andere von der eigenen Unschuld zu überzeugen, muss der wahre Täter benannt werden.

Besonders hartnäckig nisten sich Fehlinformationen in unserem Kopf ein, wenn sie Bausteine einer Geschichte sind, die aus einer Kette von Kausalitäten besteht. Und Menschen akzeptieren lieber schlechte oder unsinnige Erklärungen, als gar keine zu bekommen. Etwas als falsch zu entlarven, hinterlässt eine Lücke in einem Erklärungsmuster, und das kostet kognitive Mühe. Diese mentalen Lücken lassen sich nur durch alternative Erklärungen der Wirklichkeit schließen. Erst dann stellt sich ein Gefühl kognitiver Leichtigkeit und letztlich Wahrheit ein.

Verlange genaue Erklärungen

Es ist eine einfache Faustregel, und sie hält jedem Stammtisch stand: Je vehementer eine Meinung vertreten wird, desto brüchiger ist das Fundament aus Fakten, auf dem diese errichtet ist. Die meisten Menschen leben in einer Illusion des vermeintlichen Durchblicks und vertreten extreme Standpunkte selbst zu Themen wie der Finanzkrise, zu Gesundheitspolitik oder anderen hoch komplexen Gebieten. Je weniger man weiß, desto weniger steht einer kräftigen Aussage im Weg. Gegen diese Art der menschlichen Selbstüberschätzung haben Psychologen jedoch ein Mittel identifiziert: Um Zweifel im Starrkopf zu sähen, sollte ihm die kognitive Leichtigkeit genommen werden. Nur in diesem Fall ist es hilfreich, seinen Gegner zu geistiger Anstrengung zu zwingen.

Ereifert sich ein Sturschädel zum Beispiel über das ungerechte Steuersystem seines Landes, könnte man ihn auffordern, dessen Prinzipien und dessen Funktionsweise im Detail darzulegen. Damit begibt sich der Starrkopf in ein Dickicht, dass selbst ein Finanzbeamter kaum durchdringt. Seine Erklärungsnot erhöht die kognitive Mühe und mildert dadurch seine extreme Meinung. Wer Meinungen erschüttern will, fordert also detaillierte Erklärungen des Faktenfundamentes, denn oft sind diese nämlich nicht präsent. Wer zum Beispiel Impfungen ablehnt, macht dies stattdessen meist aus einem generellen Unbehagen gegenüber der Pharmaindustrie heraus, nicht, weil er seine Meinung aus der Exegese komplexer Studien errichtet hat. Wer Starrköpfe verunsichern will, der verlangt genaue Erklärungen und raubt ihnen die geistige Leichtigkeit.

Hätte die Geschichte von Christine Maggiore ein versöhnliches Ende finden können, wenn die Bastion ihrer Ideologie nur mit den richtigen Mittel angegangen worden wäre? Nein, vermutlich hätte niemand die Frau aus Kalifornien aus dem Lager der Aids-Leugner befreien können. Sie hatte zu viel zu verlieren: Sie hätte einsehen müssen, dass sie die Gesundheit und sogar das Leben ihrer Kinder wegen eines Irrglaubens geopfert hatte. Vor diesem Schmerz verschanzte sie sich wohl bis zum Schluss in ihrer Ideologie. Auch andere Betonköpfe sind wohl selbst mit perfekt präsentierten Fakten nicht zu bewegen. Doch wo ein Funken Zweifel vorhanden ist, ein winziger Riss den Panzer des Starrkopfs schwächt, dort könnten Argumente eindringen. Im Idealfall schlüpfen diese dort geschmeidig und mit Leichtigkeit hinein. Denn wer Starrköpfe überzeugen will, der sollte nicht mit dem Säbel rasseln, sondern ein gutes Gefühl vermitteln. Ein Gefühl von Wahrheit.

Sebastian Herrmann ist Wissenschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Der Text basiert auf seinem Buch „Starrköpfe überzeugen“ (Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 8,99 Euro. 224 Seiten.)

Sebastian Herrmann

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