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Plastikmüll in den Meeren. schadet Tier und Umwelt.
© dpa/ Nic Bothma

Plastikmüll in Meer: Das große Reinemachen

Informatiker der Freien Universität wollen mit ihren Berechnungen helfen, die Weltmeere von Plastikmüll zu befreien. Wie sie das schaffen möchten, hier die Lösung.

Jeder weiß es, doch niemand unternimmt etwas dagegen. Gigantische Mengen an Plastikmüll sammeln sich durch Meeresströmungen an bestimmten Punkten der Ozeane. Fünf solcher „Müllinseln“ gibt es auf den Weltmeeren. Von mehreren zehntausend Tonnen Plastikabfall ist die Rede: „Das ist nur eine grobe Schätzung der Menge“, sagt Informatiker Tim Landgraf von der Freien Universität Berlin. „Das Beeindruckende sind jedoch die Flächen.“

Die größte „Müllinsel“ liege im Pazifik zwischen Nordamerika und Asien und habe geschätzt womöglich die Ausmaße Zentraleuropas, sagt Landgraf. Damit ist klar: Mit Schiffen hindurchzufahren und den Müll mit Schleppnetzen einzufangen, wäre Sisyphusarbeit. Außerdem würden Fische und Meeressäuger mitgefangen. Ein internationales Projekt verfolgt deshalb einen anderen Plan: Den Aufbau stationärer Barrieren an der Wasseroberfläche, an denen sich der Müll fängt. Diese sollen dort positioniert werden, wo besonders viel Plastik vorbeischwimmt.

Tim Landgraf leitet am Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität das Biorobotics Lab und konstruiert eigentlich Bienen- oder Fischroboter. Künstliche Artgenossen quasi, mit denen Forscher detaillierte Informationen über den Bienentanz oder das Schwarmverhalten von Fischen erhalten. Zum Projekt „The Ocean Cleanup“ kam er zufällig, als er auf der Internetplattform TEDx einen Vortrag des niederländischen Studenten Boyan Slat hörte. Der heute 20-Jährige hat beschlossen, die Ozeane aufzuräumen. Dafür will er die Meeresströmungen nutzen, um den Müll an geeigneten Punkten einzusammeln. „Slat suchte für seine Machbarkeitsstudie Menschen, die so etwas mathematisch simulieren können.“ Rund 100 Freiwillige, darunter viele Wissenschaftler, haben sich bisher gefunden. Auch Landgraf meldete sich und begeisterte schnell zwei seiner Mitarbeiter für das Projekt.

Für ihre Simulation nutzte das Team die Modellrechnungen des australischen Ozeanologen Eric van Sebille, das auf dem sogenannten globalen Drifter-Programm basiert: Daten von 15 000 kleinen Sensorbojen, die mit den Meeresströmungen um den Globus treiben und fortlaufend ihre GPS-Koordinaten senden. „Wir haben das Drifter-Modell für unsere Frage angepasst“, erklärt Landgraf. „Wo in den Ozeanen kommt so viel Plastik zusammen, dass sich das Einfangen dort lohnt?"

Um diese Frage zu beantworten, haben sich die Forscher mit dem Entstehen der Müllinseln beschäftigt: Ursache dafür sind letztlich fünf große Ozeanstrudel. Diese bewirken auch, dass sich die Müllinseln um die eigene Achse drehen – sehr langsam allerdings. Die Umdrehungszeit der nordpazifischen Müllinsel etwa, auf die sich das Team konzentrierte, beträgt fünf Jahre. Partikel an den Rändern lösen sich durch die Drehung wieder aus der Ansammlung heraus und wandern mit der Strömung weiter. Ausgehend von diesen Abläufen konnte Landgrafs Team optimale Positionen für einen Plastik-Fangabscheider berechnen, der am Meeresgrund verankert werden soll.

Wiederverwerten lässt sich der Müll nach Meinung vieler Experten nicht. Das Gemisch aus diversen Kunststoffsorten, dem Sonne und Salzwasser über die Zeit stark zusetzen, sei von schlechter Qualität und könne nur noch zur Energiegewinnung verbrannt werden. Trotzdem müsse es aus dem Wasser entfernt werden, nicht nur aus ästhetischen Gründen, argumentieren Naturschützer und Wissenschaftler. Denn viele Meerestiere halten die bunten, meist nur wenige Zentimeter großen Teile für Nahrung und nehmen sie auf. Das schadet nicht nur der Gesundheit der Meerestiere, sondern vermutlich auch denjenigen, die am Ende der Nahrungskette stehen – also uns Menschen. Denn viele Plastikgegenstände enthalten Chemikalien, die eine hormonähnliche Wirkung entfalten. „Bei Fischen wurde diese Wirkung bereits nachgewiesen. Sie bringt das Geschlechterverhältnis zugunsten weiblicher Tiere aus der Balance“, erzählt Landgraf. „Viele Tiere verenden nicht gleich daran, obwohl sie Plastik nicht verdauen können. Aber über kommende Generationen hinweg besteht die Gefahr, dass sie langsam aussterben, weil sie nicht mehr genügend Nachwuchs bekommen.“

Restlos entmüllen lassen sich die Meere wohl nie. „Dazu müsste man die Fangzäune im Wasser unendlich lang machen“, sagt Landgraf. Mit einer leicht V-förmigen Sammelkonstruktion von 100 Kilometern Länge ließen sich im Nordpazifik aber schon 15 Prozent des globalen Mülls herausfischen, schätzt der Informatiker. Etwa 20 Jahre würde das dauern und mindestens zehn Millionen Euro kosten – die Entwicklungskosten nicht eingerechnet.

Wirklich sinnvoll wird „The Oecan Cleanup“ jedoch erst, wenn vorher ein anderes Problem gelöst ist: Der ständige „Nachschub“ für die Müllinseln reißt bislang nicht ab. Aus den großen Küstenstädten etwa, deren Deponien meist in Meeresnähe liegen, treibt jeder Windstoß weitere Plastikfetzen ins Wasser. Dazu kommt der Abfall aus illegaler Entsorgung auf hoher See. Tim Landgrafs Konsequenz ist persönlicher Verzicht. „Ich kaufe fast nichts mehr, was in Plastik verpackt ist.“ Projektinitiator Bojan Slat sammelt derweil über Crowdfunding Geld für weitere Studien.

Im Internet:

www.theoceancleanup.com

Catarina Pietschmann

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