Citizen Science: Das große Forschen
Freiwillige sollen die Profi-Wissenschaft voranbringen. Doch die Zahl der Begeisterungsfähigen ist begrenzt.
Sie streifen durchs Unterholz, um seltene Vögel zu beobachten, sitzen am Computer und klassifizieren Fotos von Galaxien oder starren in den Nachthimmel, um herauszufinden, wie stark die Sterne von ihrem konkreten Standort aus durch das Licht menschlicher Siedlungen überstrahlt werden. Sie haben tausende unterschiedliche Berufe – und sind doch alle Wissenschaftler. In ihrer Freizeit.
Unter dem Stichwort „Citizen Science“ hat diese Bewegung in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt: wissenschaftliches Arbeiten, das durch die Unterstützung vieler Freiwilliger erst möglich wird. „Viele Augen, Ohren und Hände sehen, hören und tun mehr als die 500 000 hauptberuflichen Wissenschaftler, die es in Deutschland gibt“, sagt Johannes Vogel, Chef des Berliner Naturkundemuseums.
Moderne Kommunikationstechnik erleichtert das Mitmachen
Er nennt als Beispiel „Anymals“, ein Projekt, das Daten zur Biodiversität sammelt. Entscheidend ist, dass möglichst viele Angaben zu Vorkommen bestimmter Tiere und Pflanzen an möglichst vielen Orten eingehen. Ohne die zahlreichen Beobachter wäre das unmöglich. Wie viele andere Projekte profitiert auch Anymals von zwei Faktoren: ein wachsendes Interesse vieler Menschen für ihre Umwelt und neue technische Möglichkeiten wie das Internet oder Apps, die die Datenübermittlung – am besten gleich mit geografischen Angaben – vereinfachen.
Darauf weist der Wissenschaftstheoretiker Peter Finke in seinem Buch hin, das am Montag erscheint („Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien“, Oekom-Verlag, 19,95 Euro). Aus seiner Sicht wird die teils beeindruckende Sachkenntnis vieler Menschen – er sagt bewusst nicht „Amateure“ oder „Hobbyforscher“ – zu wenig genutzt. „Außerdem liegt der Fokus bisher zu sehr auf naturkundlichen Fragen, auch die Geisteswissenschaften sollten das Potenzial nutzen.“ Bei regionalgeschichtlichen Themen zum Beispiel gebe es viel Wissen, das erschlossen werden muss.
An jeder Uni ein Büro für Bürgerwissenschaften
„In den USA ist man weiter“, sagt Finke. „Dort gibt es an einigen Universitäten Forscher, die explizit für Bürgerprojekte zuständig sind. Das brauchen wir hier auch.“ Das bestätigt Johannes Vogel. In zehn Jahren soll es an jeder Uni und jeder Forschungseinrichtung ein Büro für Bürgerwissenschaften geben, fordert er.
Damit noch mehr Daten von Freiwilligen beschafft werden und so Personal gespart werden kann? „Im Gegenteil“, sagt Vogel. „Je mehr Daten wir bekommen, umso wichtiger ist es, sie auszuwerten. Zum Wohle der Gesellschaft.“ Dafür würden professionelle Wissenschaftler gebraucht, aber nicht nur. Vogel will die Arbeit der Freiwilligen nicht aufs Datenbeschaffen reduzieren. Wer interessiert ist, könne sich an der Auswertung beteiligen, sagt er.
Wie das funktionieren könnte, ist eine der Fragen, der sich die European Citizen Science Association widmen will. Gegründet im Januar sind dort Institutionen aus mehr als zehn europäischen Ländern versammelt, die Leitung hat Vogel. „Wir wollen unsere Erfahrungen austauschen und für Citizen Science in der Politik und der Wissenschaft werben.“
Die Bürgerbeteiligung ist kein Selbstläufer. Das spüren gerade die Verantwortlichen der „@home“-Projekte, wo Freiwillige Rechenzeit auf ihren privaten Computern für die Suche nach Außerirdischen oder zur Analyse von Proteinstrukturen zur Verfügung stellen. Seit 2008 ging die Zahl der aktiven Nutzer von 350 000 um rund 100 000 zurück, berichtet das Fachmagazin „Nature“.
Konkurrenz durch andere Projekte
Das könnte unter anderem daran liegen, dass es mehr mobile Geräte mit begrenzter Akkuleistung gibt. Womöglich aber auch an der wachsenden Konkurrenz durch andere Citizen-Science-Projekte. Denn die Zahl der Begeisterungsfähigen ist begrenzt, betont Elisabeth Kühn vom Umweltforschungszentrum in Halle. Sie leitet das „Tagfalter-Monitoring“, wo Freiwillige aus ganz Deutschland regelmäßig das Vorkommen bestimmter Schmetterlinge erfassen. „Seit neun Jahren haben wir rund 500 aktive Beobachter. Einige haben aufgehört, neue kamen hinzu, aber unterm Strich blieb die Zahl konstant“, sagt sie. Mit verstärkter Werbung könnten es mehr sein, doch Kühn ist skeptisch: „Nicht allein die Menge der Beobachter ist entscheidend, wichtiger ist, dass es gute Leute sind.“ Denn die machen weniger Fehler.
Peter Finke stellt sein Buch am 18. März von 13 bis 14 Uhr im Naturkundemuseum vor. Moderation: Christiane Grefe, „Die Zeit“, Einleitung: Johannes Vogel und Katrin Vohland, Museum für Naturkunde Berlin. Der Eintritt ist frei, bitte an der Kasse melden.
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