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Mistek
© - Foto: Mike Wolff

Studentisches Engagement: "Das gibt ein gutes Gefühl"

Gesellschaftliches Engagement neben dem Studium ist anstrengend. Dennoch lohnt es sich, sagen aktive Studierende.

Deutsche Studentinnen und Studenten sind häufig politisch desinteressiert und unengagiert, der Anteil „labiler Demokraten“ ist auf 39 Prozent gewachsen, haben Konstanzer Forscher unlängst festgestellt (wir berichteten). Seit 1983 habe das Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen kontinuierlich abgenommen, heißt es in der Studie „Wandel politischer Orientierungen und gesellschaftlicher Werte der Studierenden“, die im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erstellt wurde. Von öffentlicher Verantwortung distanzierten sich Studentinnen und Studenten, die zukünftigen Leistungsträger eines Landes, immer weiter. In den Vordergrund trete bei vielen stattdessen die Sorge um die eigene unsichere Zukunft. Die Globalisierung mache Studierenden Angst, dabei eröffne sie gerade ihnen neue Chancen. Das politische Rechts-links-Schema verliere für Studierende weiter an Bedeutung, das Interesse an Parteien lasse weiter nach. Wer sich engagiere, bevorzuge oft kleine Bündnisse. – Warum lohnt Engagement neben der Hochschule trotz Leistungsdruck und Zukunftsangst? Einige Studierende geben Auskunft.

Frýda Místek (35) studiert im 17. Semester Mathematik und Sozialkunde auf Lehramt an der Technischen Universität. Er engagiert sich in der Initiative „Grimpf“, die sich am „Bildungsstreik 2009“ im Juni beteiligt:

„In der Gruppe ,Grimpf‘ wollen wir den Alltagstrott umbiegen und irritieren. Dafür sollen die Studierenden besonders während der Protestwoche des Bildungsstreiks vom 15. bis 19. Juni ihre Veranstaltungen für den Streik benutzen und statt des eigentlichen Seminarthemas die Bildungssituation diskutieren – sogenanntes academic squatting, eine akademische Veranstaltung besetzen. Durch meine politische Sozialisation glaube ich, dass man Probleme nicht alleine lösen kann. Neben der neuen Initiative arbeite ich für die ,Kritischen LehrerInnen‘, die es seit 2005 gibt. Dort versuchen wir gemeinsam, die obrigkeitsstaatliche Rolle von Lehrkräften zu überdenken und zu ändern.

Ich denke, viele junge Menschen sind heute, wenn nicht politisch, dann doch immerhin politisierbar. Die eigene Betroffenheit von Problemen wird so stark, dass es gar nicht anders geht. Im Gespräch merken viele, dass andere auch betroffen sind und die Überforderung während des Studiums nicht an der eigenen Unfähigkeit liegt, sondern dass es ein strukturelles Problem gibt. Allein dieses Erzählen bildet die Grundlage für politisches Handeln.

Auch bei Infoständen – egal ob unter dem Label des Bildungsstreiks oder bei ,Grimpf‘ – merke ich, dass es Potenzial für eine Politisierung gibt, auch wenn es sicherlich keine Bewegung ist. Inwieweit das mit früher vergleichbar ist, weiß ich nicht. Vieles ist da Legende. Auch damals war das ja nur ein kleiner Teil der Studierendenschaft. Fragt man allerdings, wie sich Studierende politisch zuordnen, so wundert es mich nicht, dass sie von Parteipräferenzen nichts wissen wollen. Viele politisch Aktive, die ich kenne, engagieren sich bewusst außerhalb von Parteien in sozialen Bewegungen. Dies ist ein Weg, wie persönliche Betroffenheit politisch gewendet werden kann. Ob auch viele Studierende diesen Weg gehen, werden wir beim Bildungsstreik im Juni sehen.“

Christian Brath (23) studiert im 8. Semester Skandinavistik und Sozialwissenschaften an der HU. Er ist ehrenamtlicher Helfer beim Technischen Hilfswerk Berlin (THW):

„Begonnen hat mein Engagement als Ersatz für den Dienst an der Waffe bei der Bundeswehr und den Zivildienst. Wenn man sich dafür entscheidet, arbeitet man drei Jahre kontinuierlich mit, kann aber eben normal studieren oder eine Ausbildung machen. Aber auch über diese Pflichtzeit hinaus werde ich wohl weiter dabei bleiben, wenn diese Zeit vorbei ist – so fern es mein zukünftiger Job eben zulässt. Gut ist vor allem, dass die körperliche Tätigkeit beim THW ein toller Ausgleich zum kopflastigen Studium ist. Aber auch interessante soziale Erfahrungen haben sich dadurch ergeben: Dort habe ich jedes Alter und jede Berufsgruppe getroffen, Studenten, Beamte, Handwerker, die das alle in ihrer Freizeit machen. Denn beim THW sind nur ein Bruchteil Festangestellte, alles baut auf ehrenamtliche Arbeit auf. Wie alle anderen musste ich zunächst die Grundausbildung machen, einen Sanitätskurs besuchen. Später bin ich dann ,aufgestiegen‘ zum Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Besonders toll waren die Einsätze bei der WM 2006, wo wir permanent in Bereitschaft waren. Als Volunteer war ich auch bei der closing ceremony dabei. Bei so einem Ereignis einen Beitrag zu leisten, gibt einem schon ein gutes Gefühl.

Wie sehr sich Studenten engagieren, hängt meiner Meinung nach vom Studiengang ab, manche werden eben extrem eingespannt. Aber von dem ausgehend, was ich in meinem Umfeld sehe, glaube ich nicht, dass sie unengagiert sind. Viele wissen auch einfach nicht um die Möglichkeiten, wo sie etwas tun können. Letztendlich sehen auch zukünftige Arbeitgeber das ja gerne. Natürlich wäre das dann joborientiert und nicht, weil man für die Sache an sich brennt. Die Motivation kann man dann schon hinterfragen, aber auch solches Engagement ist besser als gar keins.“

Margarete Stokowski (23), studiert im 8. Semester Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität. Derzeit schreibt sie ihre Bachelorarbeit. Sie engagiert sich für verschiedene Projekte im sozialen und ökologischen Bereich:

„Warum engagiere ich mich in Umweltprojekten? Weil es nötig ist! Wir stehen an einer historischen Schwelle, was den Klimawandel betrifft, und auch die Globalisierung stellt uns vor eine große Herausforderung. Gerade Studenten sollten hier aktiv werden: Sie sind jung, intelligent und im besten Fall auch noch kreativ. Sie können sich den Luxus gönnen, sich zu engagieren. Viele schieben aber Studium und Arbeit vor, haben angeblich keine Zeit für Engagement oder machen es nur für den Lebenslauf. Die treten dann in Menschenrechtsgruppen ein, weil es schick aussieht im Lebenslauf und man zeigen kann: ,Ach ja, soziales Engagement kann ich auch noch vorweisen.‘ Dabei sollte man einfach tun, worauf man Lust hat, dem Bauchgefühl vertrauen. Es ist ja nicht so, dass der Einzelne nichts tun kann. Auch mit geringem Aufwand kann man etwas verändern. Bei dem Seminar ,Die Welt retten am Wochenende‘ habe ich bei einem Workshop mitgearbeitet, in dem eine Homepage entwickelt wurde, wo man fair gehandelte und ökologisch hergestellte Kleidung kaufen kann. Entgegen vieler Vorurteile müssen die Klamotten nämlich auch nicht ,öko‘ aussehen.

Außerdem leite ich Projektworkshops mit Schülern zu Themen wie Liebe, Wahrheitstheorie und Eigentum, das inspiriert mich meistens und macht mir Mut. Themen aus dem Philosophiestudium auf Schülerniveau runterzubrechen – was meist nicht so viel niedriger ist als im Studium – macht mir großen Spaß, weil auch unglaublich viel zurückkommt. Die Freiheit, mit der da diskutiert wird, geht irgendwann auf dem Weg verloren, weil junge Menschen zu viel Angst haben, mit ihrem Können nicht angenommen zu werden, später keinen Job zu finden. Das ist aber Panikmache, so schlimm wird es nicht kommen! Deswegen wundere ich mich manchmal, wenn Leute denken, sie könnten sich nicht engagieren.“

Leona Schmidt-Roßleben (23) studiert Sozialwissenschaften im ersten Mastersemester an der Humboldt-Universität. Sie ist ehrenamtliche Vorlesepatin der Bürgerstiftung Berlin in der Kita „Haus der Kinder“ in Schöneberg. Mit Bilderbüchern versucht sie, Kinder im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren für das Lesen zu begeistern:

„In das Engagement als Lesepatin bin ich so reingerutscht. Nach einem Praktikum bei der Berliner Bürgerstiftung vor drei Jahren war es irgendwie naheliegend, weiterzumachen. Und so pathetisch das klingen mag: Wenn man sich bewusst ist, wie privilegiert man aufgewachsen ist, will man etwas davon zurückgeben. Bei einigen Kindern hier in der Kita merkt man, dass sie noch nie ein Buch in der Hand hatten! Zu Sprachproblemen kommen dann kognitive Defizite: Manche Kinder können einfach nicht in Wörter egal welcher Sprache übersetzen, was sie da sehen.

In meinem Umfeld reagieren die meisten positiv auf mein Engagement, einige lassen sich sogar anstecken und machen dann auch mit. Die meisten arbeiten ja eher in anderen Bereichen wie Fachschaftsinitiativen. Langfristige Mitarbeit ist bei den meisten Studenten aber schwierig. Der Alltag ist selten geregelt, ändert sich von Semester zu Semester, durch Arbeit vielleicht sogar von Woche zu Woche. Wer Schichten arbeiten muss, kann nicht einfach sagen, dass er Freitagvormittag nicht zur Verfügung steht. Einige pausieren auch wegen eines Auslandsaufenthaltes oder eines Praktikums und fangen danach einfach nicht wieder an. Außerdem ist das Studium ja auch eine Phase, in der man sich ausprobiert, etwas anfängt und es manchmal schnell wieder sein lässt.

Der Hype ums Ehrenamt ist insgesamt ein neuer Trend: Einige engagieren sich nur zur Lebenslaufoptimierung. Auch wenn die Qualität des Einsatzes oft darunter leidet, muss das nicht per se schlecht sein. So werden Probleme vielen ins Bewusstsein gerufen, die sonst nichts tun würden. Für kleinere Projekte ist das auch eine Chance, Mitstreiter zu finden. Solche kleinen Stiftungen gibt es heutzutage viel öfter. Da muss ich mich nur in meinem Wohnbezirk Neukölln umschauen.“

Protokolle: Constanze Voigt

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