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Wissen: Das Geheimnis des Lächelns

Kaum eine Mimik übt so einen großen Einfluss auf den Menschen aus wie das Lächeln. Es bringt Menschen zusammen, stimmt sie friedlich – und kann Macht signalisieren

Schauen Sie einmal auf ein altes Foto von sich. Ob und wie Sie darauf lächeln, könnte mehr über ihre Zukunft aussagen als jede Wahrsagerin.

Forscher der Universität Berkeley haben vor einigen Jahren die Fotos von über 100 Frauen aus dem Jahrbuch eines amerikanischen Colleges untersucht. Die Frauen, die in den Fotos am stärksten lächelten, waren auch 30 Jahre später zufriedener, sie blieben seltener Single und ihre Ehen hielten länger.

Lächeln, könnte man sagen, ist der Kitt, der menschliche Beziehungen zusammenhält. Das Mienenspiel hat eine mythisch anmutende Macht über uns. Menschen, die lächeln, werden nicht nur als schöner empfunden, sondern auch als kompetenter und intelligenter. Ein lächelndes Gesicht aktiviert außerdem andere Gehirnbereiche als ein ernstes Gesicht. Deshalb können sich Menschen besser an den Namen eines Menschen erinnern, der bei der ersten Begegnung gelächelt hat.

Und nicht nur das: Wer lächelt, lebt möglicherweise sogar länger. Der Psychologe Ernest Abel hat Fotos amerikanischer Baseballspieler aus den 50er-Jahren untersucht. Er teilte sie in drei Gruppen ein: Die Sportler, die auf den Fotos nicht lächelten, wurden im Schnitt 72,9 Jahre alt. Wer schwach lächelte, erreichte im Schnitt 75 Jahre und die Spieler, die ein volles Lächeln zeigten, wurden 79,9 Jahre alt.

Liebe, Lebensspanne, lange Ehen – man könnte meinen, das Lächeln sei bestens verstanden. Wir ziehen unsere Mundwinkel nach oben und signalisieren damit: Mir geht es gut. Ich bin glücklich. Und die Welt lächelt mit uns. Das einzige Problem: Forscher glauben diese Geschichte schon längst nicht mehr. „Unsere Vorstellung vom Lächeln ist in den letzten Jahren sehr viel komplizierter geworden“, sagt die amerikanische Psychologin Marianne LaFrance von der Universität Yale in Conneticut, USA. Sie und andere Forscher beginnen gerade erst, die Vielfalt des Lächelns zu entschlüsseln. Lehre Nummer eins: Der Mensch lächelt nicht nur aus Freude.

Statt Fröhlichkeit könnte hinter einem Lächeln auch Unsicherheit oder Überheblichkeit stecken, sagt LaFrance. Auch wenn Menschen traurig seien oder in einer peinlichen Situation, lächelten sie manchmal. Dass Menschen das Lächeln auch als Maske nutzen können, musste schon der junge Hamlet lernen: „Schreibtafel her, ich muss mir’s niederschreiben, Dass einer lächeln kann und immer lächeln Und doch ein Schurke sein.“ Der französische Muskelforscher Guillaume Duchenne lieferte dann im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Erklärung dazu. Der Arzt hatte die Elektrizität für seine Forschung entdeckt. Mit Elektroden reizte er verschiedene Muskeln im Gesicht seiner Versuchspersonen und erstellte so einen Atlas der menschlichen Mimik. Beim Lächeln machte Duchenne eine interessante Entdeckung: Wenn Menschen spontan lächeln, nutzen sie zwei Muskeln, den Zygomaticus major, der die Mundwinkel hochzieht und den Orbicularis oculi pars lateralis, der die Wangen hebt und so Falten in den Augenwinkeln hervorruft. Allerdings können Menschen nur den Zygomaticus-Muskel bewusst kontrollieren. Täuscht man ein Lächeln vor, fehlen deshalb in aller Regel die Falten um die Augen.

Fortan unterschieden Forscher zwischen dem „echten“ Duchenne-Lächeln und dem falschen, aufgesetzten Lächeln. Aber schon die Sprache sei irreführend, sagt La France. „Falsches“ Lächeln klinge nach einer Täuschung, die sich nicht gehöre. „Dabei ist das sogar das häufigere Lächeln“, sagt die Psychologin. Und es ist offenbar genauso fest in uns verankert, wie das Duchenne-Lächeln. So haben Wissenschaftler Fotos vom Siegertreppchen der Paralympics mit denen von Olympischen Spielen verglichen. Das Ergebnis: Auch blinde Sportler, die gerade beim Kampf um die Goldmedaillie verloren hatten, trugen bei der Siegerehrung ein aufgesetztes Lächeln. Dabei hatten sie sich das „falsche“ Lächeln nirgends abgucken können.

Die Einteilung in echtes und falsches Lächeln sei zu simpel, sagt auch Paula Niedenthal. Die Psychologin der Universität von Wisconsin hat mit Kollegen vor kurzem im Fachblatt „Behavioral and Brain Sciences“ eine neue Theorie des Lächelns vorgeschlagen: Simulation of Smiles (Sims). Darin unterscheidet sie im Wesentlichen drei Arten des Lächelns: Das Lächeln aus Freude, wie etwa eine Mutter, die ihr Baby betrachtet. Das soziale Lächeln, das als Signal freundlicher Absichten dient, zum Beispiel ein Begrüßungslächeln oder ein beschwichtigendes Lächeln. Schimpansen zeigen eine ähnliche Grimasse als Zeichen, dass sie keine aggressiven Absichten verfolgen. Als dritte Kategorie betrachtet sie das Dominanzlächeln, das den sozialen Status hervorheben und Macht signalisieren soll. Tony Blair gilt als einer der Meister dieses Lächelns. Und auch das fiese Lächeln des Dallas-Bösewichts J. R. Ewing gehört wohl in diese Kategorie.

„Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Formen des Lächelns“, sagt Niedenthal. Sie interessiert vor allem, wie Menschen diese Botschaften decodieren, wie sie jeden Tag hundertfach das Geheimnis eines Lächelns entschlüsseln.

Das ist mitunter gar nicht so einfach. Schon Charles Darwin, Begründer der Evolutionstheorie, interessierte sich für das Problem. Er schlug als einer der Ersten vor, dass es sich um einen universellen Gesichtsausdruck handelt, der allen Menschen gemeinsam ist. In den 1960er-Jahren galt diese Sicht allerdings als überholt. Emotionen? Mimik? Alles eine Sache der Prägung und der Kultur, glaubten Forscher. Bis der Psychologe Paul Ekman in zahlreichen Experimenten beweisen konnte, dass nicht nur Europäer und Asiaten, sondern etwa auch die Fori in Papua-Neuguinea grundlegende Emotionen wie Freude, Trauer und Wut erkennen.

Ekman stellte aber auch fest, dass es verschiedene kulturelle Regeln gibt, wann eine Emotion zur Schau gestellt wird. Beim Lächeln zeigt sich das etwa im Chat. Europäische und amerikanische Internetnutzer stellen ein Lächeln meist so dar: :-). Dagegen sieht in Japan ein Lächeln so aus: ^_^. Das ist vermutlich kein Zufall. Der Psychologe Masaki Yuki von der Universität in Hokkaido hat in Experimenten gezeigt, dass Japaner eher auf die Augen schauen, um eine Emotion zu erraten. Yukis Erklärung: Der emotionale Ausdruck der Augen sei schwerer zu kontrollieren. Deshalb achteten Menschen in Ländern, in denen Emotionen nicht so offen gezeigt würden, stärker auf sie.

Ob in den Augen oder am Mund. Natürlich nehme der Mensch Unterschiede in der Mimik wahr und schließe daraus auf den emotionalen Zustand, sagt Niedenthal. Außerdem spiele im Alltag der Kontext einer Begegnung eine wichtige Rolle. Aber das allein reiche häufig nicht aus, glaubt die Psychologin. Darum nutzt der Mensch eine weitere Methode, glaubt Niedenthal: Er imitiert sein Gegenüber. Das ist die zweite Lehre, die die Erforschung des Lächelns parat hält. „Wir ahmen spontan die Mimik unseres Gegenübers nach und können so nachempfinden, was er fühlt“, sagt Niedenthal. Indem wir den Gesichtsausdruck kopieren, aktivieren wie die gleichen Hirnareale, die beim Gegenüber aktiv sind, wenn er die Mimik macht – und können so Rückschlüsse ziehen, warum er lächelt. So könnten wir etwa das Lächeln eines Politikers wie Blair oder Sarkozy entschlüsseln, sagt Niedenthal: „Man schaut sie an und man ist selbst nicht fröhlich und weiß deshalb, dass sie auch nicht fröhlich sind und nicht aus Freude lächeln.“

Wenn uns jemand anlächelt, dann lächeln wir also nicht nur aus Höflichkeit zurück, sondern auch weil wir auf diese Weise erfahren, was er empfindet. Durch die Nachahmung können wir nachfühlen, ja mitfühlen. Das konnte zum Beispiel in einem eleganten Experiment nachgewiesen werden, in dem Teilnehmer bei einer Reihe von Fotos entscheiden sollten, ob das Lächeln „echt“ oder „vorgetäuscht“ war. Eine Hälfte der Teilnehmer konnte das Lächeln imitieren, sie hatten keine Probleme ein aufgesetztes Lächeln zu erkennen. Die anderen Probanden mussten während des Experiments auf einen Bleistift beißen und konnten deshalb nicht lächeln. Diese Gruppe war deutlich schlechter darin echtes und falsches Lächeln auseinanderzuhalten.

Auch Versuche mit dem lähmenden Nervengift Botox deuten auf einen Zusammenhang zwischen der eigenen Mimik und der Wahrnehmung von Emotionen anderer Menschen hin. So konnten Forscher um Bernard Haslinger von der Technischen Universität München zeigen, dass Menschen, die sich das Gift zur Entfernung ihrer Zornesfalten in die entsprechenden Gesichtsmuskeln spritzen lassen, hinterher auch eine geringere Aktivität in den Gehirnarealen zeigen, die bei der Verarbeitung von Emotionen eine entscheidende Rolle spielen.

Das alles bedeutet nicht, dass Menschen immer auf dieses Mienenmimikry angewiesen sind, sagt Niedenthal. Sie glaubt, dass in vielen Situationen die sonstigen Informationen ausreichen, um eine Mimik zu entschlüsseln. „Um ein Lächeln von einem wütenden Gesichtsausdruck zu unterscheiden, benötigt man vermutlich keine Nachahmung. Um drei verschiedene Formen des Lächelns zu unterscheiden, vermutlich schon.“

Das erklärt womöglich auch warum Menschen, die auf Grund einer Krankheit nicht lächeln können, häufig große Probleme in ihrem Sozialleben haben. „Selbst wenn ich als Partner von der Krankheit weiß, erschwert es mir, eine Unterhaltung zu führen“, sagt die Psychologin LaFrance. Ist das Wechselspiel von Lächeln und Nachahmung des Lächelns gestört, fällt es Menschen vermutlich schwerer, sich in ihr Gegenüber einzufühlen. Ein Lächeln ist eben weit mehr als nur ein Zeichen von Freude. Es ist eines der wenigen Dinge, die zugleich schön und ansteckend sind.

Kai Kupferschmidt

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