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Brennstäbe
© dpa

Forschen: Das Ende der Strahlung

Die Transmutation könnte Atommüll entschärfen. Doch das Verfahren ist noch nicht ausgereift.

Es dauerte Tage, bis die Behälter mit Atommüll am gestrigen Dienstag das Zwischenlager Gorleben erreicht hatten. Verglichen mit der Zeit, die der atomare Abfall noch strahlt, ein Wimpernschlag: In dem Müll aus Kernkraftwerken gibt es Stoffe, deren Halbwertszeit mehrere Millionen Jahre beträgt – das heißt, nach mehreren Millionen Jahren sind sie gerade mal zur Hälfte zerfallen.

Deshalb sollen Endlager für ausgedienten Kernbrennstoff mindestens eine Million Jahre lang dicht sein – was die Suche nach einem geeigneten Ort extrem kompliziert macht. Finnland ist bislang der einzige Staat, in dem man ein vermeintlich sicheres Bergwerk zur Verwahrung hoch radioaktiven Abfalls gefunden hat.

Die Endlagerung wäre weniger kompliziert, wenn der Atommüll nicht so lange strahlen würde. Weltweit arbeiten Wissenschaftler deshalb seit einigen Jahren an einem Verfahren namens Transmutation, das radioaktive Stoffe mit langen Halbwertszeiten in solche mit kurzen Halbwertszeiten umwandeln soll – oder in Stoffe, die überhaupt nicht mehr strahlen. Forscherteams aus 15 europäischen Ländern und Japan haben sich im EU-Projekt „Eurotrans“ zusammengeschlossen, um ein Konzept für eine Transmutationsanlage zu entwickeln. Die Federführung liegt beim Forschungszentrum Karlsruhe.

„Die gefährlichsten Stoffe im Atommüll sind die Actinide, chemische Elemente, deren Kerne schwerer als Uran sind“, sagt Joachim Knebel vom Forschungszentrum Karlsruhe, der das Projekt leitet. Actinide fallen in Atomkraftwerken als Nebenprodukte an. Sie entstehen, wenn der Kern eines Uran-238-Atoms vorbeifliegende Neutronen einfängt und dadurch an Masse gewinnt – eine Reaktion, die in den Reaktorkernen heutiger Atomkraftwerke relativ häufig stattfindet. Typische Actinide sind Plutonium, Neptunium, Americium und Curium.

„Actinide machen etwa ein Prozent des radioaktiven Abfalls aus“, sagt Knebel. Die Stoffe sind gleich doppelt problematisch. Erstens strahlen sie sehr lange, die Halbwertszeiten reichen von zehntausenden bis Millionen Jahren. Zweitens zerfallen sie unter Abgabe von Alpha-Strahlung, die aus Heliumkernen besteht. Gelangen Actinide in den menschlichen Körper, werden dadurch die Zellen stark geschädigt.

Bei der Transmutation sollen die Actinide im Atommüll mit Neutronen beschossen werden, so dass sie zerfallen. „Die Grundidee wurde bereits Mitte des letzten Jahrhunderts formuliert“, sagt Helmut Leeb vom Atominstitut der Österreichischen Universitäten. Neutronen sind kleine Teilchen, die in Atomkernen vorkommen. Stößt ein schnell fliegendes Neutron mit einem Atomkern zusammen, kann es diesen so stark aus dem Gleichgewicht bringen, dass er zerbricht. Dabei entstehen zwei leichte Kerne. Auf diese Weise kann man Actinide in leichtere Elemente umwandeln, die entweder nicht mehr strahlen oder deren Radioaktivität in wenigen Jahrhunderten auf ein weitgehend unschädliches Maß abklingt. „Die Zeit, in der Atommüll unter Verschluss gehalten werden muss, könnte so von Jahrmillionen auf 300 bis 500 Jahre verkürzt werden“, sagt Leeb.

Um das zu schaffen, setzen die Forscher auf schnelle Protonen. Diese Teilchen sind neben den Neutronen die Bausteine der Atomkerne. In der Transmutationsanlage werden die Protonen mit einem Teilchenbeschleuniger auf Tempo gebracht und zu einem schweren, neutronenreichen Metall wie Blei gelenkt. Es kommt zu Kollisionen zwischen den Protonen und den Kernen der Bleiatome, bei denen die Atomkerne zertrümmert werden. Die Bruchstücke, vor allem energiereiche Neutronen, fliegen in alle Richtungen davon. Dabei treffen sie auch den Atommüll, der rings um das Blei angeordnet ist, und zerstören darin die Actinide. „Eine einzige Transmutationsanlage könnte den Abfall von zehn Leichtwasserreaktoren beseitigen“, sagt Knebel.

Bei der praktischen Umsetzung gibt es jedoch noch viele Probleme. Aus alten, verbrauchten Kernbrennstäben müssen die Actinide zu 99,9 Prozent herausgelöst und anschließend in die Transmutationsanlage gebracht werden. Zudem werden bei dem Beschuss mit Neutronen nicht alle Actinide entschärft, sondern nur ein Teil von ihnen. Es ist daher notwendig, den bestrahlten Atommüll von Zeit zu Zeit aus der Anlage zu nehmen, die „verbrannten“ Anteile abzutrennen, die nicht umgesetzten Actinide wieder aufzubereiten und erneut in die Anlage zu bringen. Das ist aufwändig und gefährlich, denn die Stoffe strahlen stark und können daher nur per Roboter bewegt werden.

Außerdem bedarf es ausgefeilter Verfahren, um die verschiedenen Elemente des radioaktiven Abfalls voneinander zu trennen, da sie sich oft chemisch ähnlich sind. Dazu werden im Projekt Eurotrans spezielle Methoden entwickelt. Zunächst lösen die Forscher den Atommüll in Salpetersäure auf. Dann geben sie komplexe organische Moleküle hinzu, die sich ausschließlich an die Actinide binden. Diese Verbindungen werden wieder aus der Lösung extrahiert und die Actinide von ihnen abgespalten. Im Labormaßstab funktioniert das Verfahren bereits.

„Die Entwicklung von Transmutationsanlagen ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Frank-Peter Weiß vom Forschungszentrum Dresden-Rossendorf, das ebenfalls am Projekt Eurotrans beteiligt ist. Ob man solche Anlagen tatsächlich brauche, sei unter Fachleuten allerdings umstritten. Denn die Atomkraftwerke der übernächsten Generation, der Generation 4, sollen so ausgelegt sein, dass ihr Abfall kaum noch Actinide enthält. Während sie Strom produzieren, „verbrennen“ sie den größten Teil der Actinide im Reaktorkern durch Beschuss mit schnellen Neutronen. Derzeitigen Plänen zufolge sollen die ersten Prototypen der Generation-4-Reaktoren in 10 bis 20 Jahren ans Netz gehen.

Trotz dieser Aussichten hält Weiß die Entschärfung von Atommüll in speziellen Transmutationsanlagen für eine „smarte Lösung“. Zudem werde bei der Umwandlung von Actiniden in leichtere Elemente Energie frei, sagt er. „Transmutationsanlagen lassen sich also nicht nur zur Müllbeseitigung, sondern auch zur Stromproduktion einsetzen.“

Wann es so weit sein wird, ist schwer abzuschätzen. Joachim Knebel hofft, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre eine experimentelle Demonstrationsanlage gebaut wird. Ob und wie es dann weitergehe, sei noch offen.

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