Raumfahrt: Das Abenteuer nach dem Space Shuttle
„Sojus“, „Virgin Galactic“, „SpaceX“: Für die bemannte Raumfahrt gibt es bereits große Pläne nach dem Ende der Shuttle-Flüge. Künftig sollen Nasa-Missionen mit Privatfirmen geflogen werden.
Es ist nicht nur ihre letzte Reise, es ist der letzte Flug eines Spaceshuttles überhaupt. Am 8. Juli hob die „Atlantis“ vom Kennedy Space Center in Florida ab und nahm Kurs auf die Internationale Raumstation (ISS). Sie bringt Versorgungsgüter und einen Roboter, mit dem das Betanken alter Satelliten in der Schwerelosigkeit getestet werden soll. Zwölf Tage wird die 135. Shuttlemission voraussichtlich dauern, dann ist definitiv Schluss für die weißen Flieger.
Die billigen und unkomplizierten Pendelflüge ins All, mit denen die Nasa in den Siebzigerjahren für das Programm geworben hatte, blieben ein leeres Versprechen. Im Schnitt gab es nur eine Handvoll Flüge pro Jahr, von denen jeder einzelne je nach Berechnungsgrundlage bis zu anderthalb Milliarden Dollar kostete. Zwei Missionen endeten mit einer Katastrophe: 1986 explodierte die „Challenger“ kurz nach dem Start, 2003 zerriss es die „Columbia“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. 14 Astronauten starben. Doch die Shuttles wurden weiterhin gebraucht, um sperrige Gegenstände in die erdnahe Umlaufbahn zu bringen, wo in 350 Kilometer Höhe die ISS zusammengebaut wurde. Nun, da die Station weitgehend fertig ist, kommt das planmäßige Ende der weißen Flieger.
Was bleibt, ist ein großes Loch. Denn die USA, die ein halbes Jahrhundert eine prägende Rolle in der bemannten Raumfahrt spielten, werden vorerst keine Startmöglichkeit für Astronauten haben. Voraussichtlich um das Jahr 2015 werden wieder Raumfahrer von Florida aus die Erde verlassen. Bis dahin nutzen die amerikanischen Astronauten für Flüge zur ISS und zurück ausschließlich die russischen „Sojus“-Kapseln. Kosten pro Sitzplatz rund 60 Millionen Dollar.
Künftig sollen Nasa-Missionen in den erdnahen Raum ausschließlich mit Privatfirmen geflogen werden, bei denen lediglich Sitzplätze gebucht werden. Für weitere Ziele wie Flüge in Richtung Mond, Mars oder einen Asteroiden, will die Raumfahrtbehörde eigene Transportmittel entwickeln. Langsam entsteht noch eine dritte Säule: private Flüge in den Weltraum, die nicht nur von zahlungskräftigen Touristen nachgefragt werden, sondern auch in den Blick von Wissenschaftlern geraten. Bei Weltraumunternehmen wie Richard Bransons „Virgin Galactic“ können sie vielleicht einmal ihre Experimente schneller in die Schwerelosigkeit bringen als mit dem komplizierten und zeitfressenden Auswahlprogramm der ISS-Mitglieder. Andererseits wird der Service entsprechend teurer sein.
Die Zukunft der bemannten amerikanischen Raumfahrt beschäftigt bei weitem nicht nur die USA. Die Europäer, Kanadier und Japaner besitzen keine eigenen Fluggeräte für ihre Astronauten und haben deshalb ihre bemannten Programme zu großen Teilen über Kooperationen mit der Nasa umgesetzt. Für langfristige Projekte setzen sie weiter auf die Amerikaner. Schon deshalb, weil der jetzt einzige Weltraumcarrier Russland seine Monopolstellung ausnutzen könnte. Als publik wurde, dass nach den Shuttles eine längere Pause kommt, erhöhte die Raumfahrtagentur Roskosmos die Preise für Mitflugplätze in den Sojus-Kapseln.
Die Alleinstellung des Systems Sojus birgt weitere Risiken. Zwar gilt die seit Jahrzehnten eingesetzte Technik als robust und zuverlässig. Dennoch setzen Ingenieure in sensiblen Bereichen wie der Raumfahrt auf Redundanz, also Reserve. Sollte bei Sojus ein größeres Problem auftreten, sind der Flugplan und damit der Betrieb der Raumstation ernsthaft gefährdet. Denn keiner der Verantwortlichen würde nach einer schweren technischen Panne einfach die nächste Kapsel ins All schicken – ohne zu wissen, ob das Problem erneut auftritt. So hatte die Nasa nach den gescheiterten Flügen der „Challenger“ und „Columbia“ ihre Shuttles jeweils zwei Jahre am Boden behalten und die Systeme umfassend überprüft, bevor sie den nächsten Start erlaubte.
Während der letzte Shuttle hoch über der Erde schwebt, tüfteln Hunderte Techniker in den USA an möglichen Nachfolgern. Im Frühjahr hat die Nasa 269 Millionen Dollar an vier Privatfirmen vergeben, damit diese kommerzielle Raumschiffe für den Astronautentransport in eine erdnahe Umlaufbahn entwickeln.
Vor dem letzten Flug des Shuttle „Endeavour“ im Mai haben die Firmen ihre Konzepte im Kennedy Space Center vorgestellt. Dort, wo die staatliche Behörde förmlich zu greifen ist, zwischen dem massiven Holztisch und dem schweren türkisfarbenen Vorhang, der seit gefühlten Tausend Jahren im Hintergrund des Pressezentrums hängt, zogen die PR-Experten ihre Show ab. Bunte Animationen von shuttleähnlichen Kleinfliegern wurden an die Wand geworfen, Raketenmodelle startbereit auf den Tisch gestellt.
Unangefochtener Chef der Runde war Garrett Reisman. Vor einem Jahr flog er noch für die Nasa durchs All, jetzt macht der Astronaut Werbung für „SpaceX“. Die Firma hat es immerhin schon geschafft, eine unbemannte Kapsel namens „Dragon“ ins All zu bringen und nach knapp zwei Erdumrundungen im Pazifik zu wassern. „Unsere Rakete und Kapsel wurden von Anfang an so ausgelegt, dass sie auch Astronauten transportieren können“, sagte Reisman und startet ein Werbevideo. Begleitet von Rockmusik verlässt eine Rakete die Erde. Buchstaben leuchten auf: „Es ist Zeit für das nächste große Abenteuer Amerikas!“ Eine Simulation zeigt, wie eine Kapsel mit Astronauten an der ISS festmacht und später auf der Erde landet. Aber das ist nicht alles. Die letzte Computeranimation lässt die Kapsel samt Crew sanft auf einem staubigen, roten Planeten aufsetzen. Marsflüge, so die unmissverständliche Botschaft, kriegen wir auch hin. „In drei Jahren werden wir Menschen ins All schicken“, kündigt Reisman an. Die anderen Firmen machen ähnliche Vorhersagen.
Noch ist das Zukunftsmusik. Bemannte Flüge, die enorme Sicherheitsanforderungen haben, plus Kopplungen an die ISS, die ebenfalls nicht jeder Dahergeflogene ausführen darf, sind hohe Hürden. „Ich glaube, dass die neuen Flugsysteme nicht vor 2016 einsatzbereit sind“, sagt Martin Zell, der bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa für die Nutzung der ISS verantwortlich ist. Andere Fachleute schätzen, dass es eher sieben oder gar zehn Jahre dauern wird, bis die privaten Space-Taxis ihren Dienst aufnehmen.
Eine Option gibt es allerdings noch. Die Chinesen haben mehrfach bewiesen, dass sie Menschen ins All bringen können. Doch ein gemeinsamer Flug mit ausländischen Astronauten ist illusorisch. Selbst ein erster Schritt wie die Kooperation auf der ISS ist bisher nicht zustandegekommen, was Experten zufolge vor allem am Veto der USA liegt. Im April hat das Land im Osten Pläne für eine eigene Raumstation bekräftigt, was eine Zusammenarbeit unwahrscheinlicher macht.
Die europäische Lösung, eine Kapsel für Astronauten auf der „Ariane“-Rakete, wurde zwischen den Esa-Mitgliedsländern längst zerredet. „Das ist aus politischen und finanziellen Gründen vorerst vom Tisch“, sagt Zell. So haben die Russen, 50 Jahre nach Juri Gagarins Flug ins All, wieder die Nase vorn.
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