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Einfache Botschaften. Die muslimischen Schüler wissen meist nichts über ihre Religion, hat die Oberhausener Lehrerin Fereba Seleman festgestellt.
© Claudia Keller

Neuer Islam-Unterricht in NRW: „Danke, Allah!“

Nordrhein-Westfalen hat als erstes Land den neuen Religionsunterricht gestartet. Eine der Lehrerinnen ist Fereba Seleman. Sie unterrichtet Grundschüler in Oberhausen - mit einfachen Botschaften.

Für Fereba Seleman gehört das Kopftuch zum Glauben dazu. Doch wenn sie in die Schule geht, lässt sie es zu Hause. Als Lehrerin darf sie ihr Haar dort nicht bedecken. So ist das in vielen Bundesländern, so ist das in Nordrhein-Westfalen, so ist das in der Brüder-Grimm-Grundschule in Oberhausen. Aber jetzt ist Dienstag, 12 Uhr, da gelten andere Regeln. Jetzt beginnt der Islamunterricht. Fereba Seleman bindet sich auf der Lehrertoilette schnell ein modisches, zur blauen Tunika und Jeans passendes Kopftuch um und geht in die Aula. „Assalamu-alaikum“, begrüßt sie die 15 Erst- und Zweitklässler dort. „Friede sei mit euch.“

Zum neuen Schuljahr hat Nordrhein-Westfalen als erstes Land Islamunterricht eingeführt, und zwar Islamunterricht, der es ernst meint: bekenntnisorientierten. Die Lehrer sind gläubige Muslime, Kopftuchtragen ist durchaus erwünscht. Auch das Christentum wird an den Schulen bekenntnisorientiert vermittelt. Fereba Seleman freut sich darüber: „Ich muss nichts verheimlichen und kann den Kindern sagen, dass mir das Beten guttut.“ Sie soll es ihnen sogar vormachen. Seleman ist 38 Jahre alt, aufgewachsen in einer afghanischen Familie und kam mit neun Jahren nach Deutschland. Der Glaube an Allah ist ihr wichtig, sie versucht, fünfmal am Tag zu beten und geht in die Moschee.

Heute steht die Schöpfung auf dem Stundenplan. Die Mädchen und Jungen kramen Äpfel, Blätter und Kastanien aus den Schultaschen. „Wer hat die Blätter so bunt gemacht?“, will Seleman wissen. „Der Herbst“, ruft Aydin. „Allah“, ruft Hüseyin. „Richtig. Allah hat viele Dinge erschaffen“, sagt Seleman und fragt, warum Allah so was tut. „Weil er uns lieb hat“, sagt ein Mädchen. Die Lehrerin nickt. Die Kinder sollen „Gottes Geschenke“ auf Kärtchen malen und sie auf den „Danke-Baum“ aus Pappe aufkleben. „Danke, Allah“, hat die Lehrerin an die Tafel geschrieben.

Naturwissenschaftliche Erklärungen kommen hier nicht vor. „Das lernen die Kinder in Biologie sowieso“, sagt Seleman. Im Islamunterricht sollen sie die religiöse Deutung kennenlernen. So will es auch das Lehrbuch „Miteinander auf dem Weg“, das ein Team aus Islamwissenschaftlern und Grundschullehrern, darunter Fereba Seleman, erarbeitet hat. Anhand von zwei gezeichneten Kinderfiguren führt das Buch in die islamische Ethik ein, in die Glaubenspraxis und in Leben und Denken des Propheten Mohammed. Es zeigt eine heile Welt, in der sich Eltern, Kinder und Allah stets lieben. So viel Idealisierung ist naiv und verkleinert den Glauben, könnte man einwenden. Allerdings ist in der muslimischen Gemeinschaft die Angst vor dem strafenden Gott und der Hölle sehr verbreitet. Da ist ein Unterricht nicht verkehrt, der Allah als liebenden, verzeihenden Gott darstellt.

Dass die Realität wenig mit der Welt im Buch zu tun hat, erleben Kinder in Oberhausen-Stadtmitte ohnehin. In der Fußgängerzone herrscht der Ramsch, Läden stehen leer. Wer kann, zieht weg. 210 Kinder gehen auf die Brüder-Grimm-Grundschule, fast die Hälfte sind Muslime. Viele Eltern stammen aus der Türkei, aus dem früheren Jugoslawien, Afrika, Russland, Afghanistan. 60 Prozent leben mit staatlicher Hilfe.

In Nordrhein-Westfalen leben fast 1,5 Millionen Muslime, 320 000 sind Schüler. Laut einer aktuellen Studie wünschen sich über 83 Prozent der muslimischen Bürger bekenntnisorientierten Religionsunterricht. Sylvia Löhrmann, die grüne Schulministerin in Düsseldorf, nannte die Einführung ein „Signal für die Integration der Muslime in Deutschland“.

Mit diesem Signal hatte es die rot-grüne Regierung offensichtlich sehr eilig. Das Fach startete ohne Lehrplan und ohne theologisch geschultes Personal und erst einmal an 33 der 3086 Grundschulen. Den Lehrplan soll es nächstes Schuljahr geben, das Angebot sukzessive ausgebaut werden und irgendwann in allen Grund- und Oberschulen ankommen. Wann, weiß keiner. Denn die ersten theologisch ausgebildeten Islamlehrer werden erst in einigen Jahren ihren Abschluss an dem neuen Studiengang Islamische Theologie in Münster machen.

Liberale Muslime fürchten, eine konservative Sicht auf den Islam könnte dominieren.

Bis dahin unterrichten Islamkunde-Lehrer, die sich das Bekenntnisorientierte des neuen Fachs in einem Blockseminar angeeignet haben, und Grundschullehrer wie Fereba Seleman. Sie bringt den Kindern seit zehn Jahren Lesen und Schreiben bei und hat ein Jahr lang einmal die Woche einen Islam-Fortbildungskurs im Schulministerium besucht. „Viele Kinder sind stolz, Muslim zu sein, aber sie wissen gar nichts über die Religion“, sagt sie. Das will sie ändern. Als sie neulich mit ihren Schülern über die Propheten im Koran sprach, empörten sie sich, weil die Lehrerin Jesus erwähnte. Das Christentum gilt vielen Kindern offenbar als derart minderwertig, dass sie meinen, es gehöre sich für Muslime nicht, auch nur den Namen Jesus in den Mund zu nehmen. Dass Jesus im Islam als Prophet gilt, wusste keiner, erzählt Seleman.

„Meine Eltern wollen, dass ich in den Islamunterricht gehe, damit ich den Koran auswendig lerne“, sagt die zehnjährige Meiriem. „Dann kann ich anderen Kindern den Islam beibringen und ihnen sagen, was gut ist für ihr Leben.“ Meiriem trägt Kopftuch und glaubt, dass sie so einen besseren Platz im Paradies bekommt. Es ist 12.45 Uhr. Nach den Erst- und Zweitklässlern sind jetzt die Dritt- und Viertklässler dran. Meiriem komme wohl aus einem sehr strenggläubigen Elternhaus, sagt Seleman. Als sie mit den Kindern ein Lied einübte, habe ihr das Mädchen erklärt, Musik sei im Islam verboten – und sang dann doch mit.

Für Seleman ist der Islam mehr als ein Regelwerk, das man auswendig lernen muss, und Allah kein Buchhalter, der die Sünden zählt. Sie möchte den Kindern zeigen, an diesem Dienstag anhand einer Geschichte aus dem Leben des Propheten, dass es dem Islam um Nächstenliebe geht, um Barmherzigkeit und Mitgefühl.

Liberale Muslime fürchten, dass in dem neuen Fach eine konservative Sicht auf den Islam dominieren wird. Schuld daran sei die einseitige Besetzung des islamischen Beirats, der den Lehrern die Lehrerlaubnis erteilt.

Wegen der Trennung von Staat und Kirche darf der Staat nicht im Alleingang die Inhalte des Religionsunterrichts bestimmen und Religionslehrer auswählen. Beim christlichen Religionsunterricht arbeiten die Schulbehörden mit den Kirchen zusammen. Im Islam gibt es keine verfassten Kirchen, weshalb das Schulministerium einen achtköpfigen Beirat berufen hat, der Nordrhein-Westfalens Muslime repräsentieren soll. „Der Beirat repräsentiert vor allem die konservativ-sunnitische Ausrichtung des Islams“, sagt die Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor. Sie kritisiert, dass weder der von ihr mitbegründete Liberal-Islamische Bund oder andere liberale Strömungen in den Beirat aufgenommen wurden noch weitere Vertreter von Schiiten oder Sufis. Man habe sich bei der Zusammensetzung des Beirats an den Dachverbänden und Organisationen orientiert, die in der Islamkonferenz beim Bundesinnenminister vertreten sind, heißt es im Ministerium. Der Liberal-Islamische Bund sei weder dort noch in Moscheegemeinden verankert.

Bei der Auswahl der Lehrer prüft das Ministerium die fachliche Kompetenz der Kandidaten und der Beirat in einem Gespräch, ob die „persönliche Lebensführung“ dem Islam entspricht. Die künftigen Lehrer sollen sich überdies schriftlich bereit erklären, mit einer oder mehreren Moscheegemeinden „konstruktiv“ zusammenzuarbeiten. „Wer legitimiert den Beirat, nach meiner persönlichen Lebensführung zu fragen?“, sagt Kaddor und hält dies für eine Kompetenzüberschreitung. Sie gibt auch zu bedenken, dass die meisten Moscheegemeinden theologisch ebenso konservativ ausgerichtet sind wie die im Beirat vertretenen Dachverbände, die die Moscheegemeinden tragen.

Fereba Seleman hat das Auswahlgespräch in guter Erinnerung. „Der Beirat wollte wissen, wie gläubig ich bin“, sagt sie, „so was zu prüfen, ist natürlich schwierig“. Wie der Unterricht dann konkret aussieht, hänge von der pädagogischen Erfahrung des Lehrers ab und von den Akzenten, die er setzt. Dass es zu wenig Vielfalt geben könnte, glaubt sie nicht.

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