Restaurants, Fitnessstudios und Cafés: Corona-Infektionen finden vor allem an „Superspreader“-Orten statt
Stanford-Forscher zeigen anhand von Mobiliätsdaten, wo in den USA die größten Infektionsherde sind. Demnach ist es durchaus sinnvoll, Restaurants zu schließen.
Ein Großteil der Coronavirus-Infektionen passiert einer US-Studie zufolge aller Wahrscheinlichkeit nach an sogenannten „Superspreader“-Orten wie Restaurants, Fitnessstudios und Cafés. Das zeigen Wissenschaftler von der Universität Stanford in Kalifornien anhand eines Computermodells, unter anderem auf Basis demografischer Daten, epidemiologischer Schätzungen und anonymer Handydaten, im Fachjournal „Nature“.
Das Modell analysiert, wo Menschen den Tag über hingehen, wie lange sie jeweils bleiben und wie viele andere Menschen am selben Ort sind - und fand überall dort die meisten Infektionen, wo sich mehrere Menschen in geschlossenen Räumen über längere Zeit aufhalten.
Zwischen März und Mai habe das Modell, das auch den ethnischen und finanziellen Hintergrund der Menschen berücksichtigt, das Verhalten von rund 98 Millionen Menschen in 10 amerikanischen Metropolregionen - darunter New York, Los Angeles, Chicago und Washington - untersucht, hieß es von dem Forscherteam um den Computerwissenschaftler Jure Leskovec.
Als das Forscherteam die Zahl der Infektionen, die das Modell zwischen März und April in Chicago aufwies, mit den tatsächlichen Fallzahlen verglich, stellte es fest, dass das Modell die registrierten Infektionen genau vorhergesagt hatte.
Die Aufenthalte an rund 553.000 Orten - darunter Restaurants, Fitnessstudios, Tierhandlungen, Baumärkte und religiöse Einrichtungen - wurden analysiert. Zudem wurde das Modell nach und nach auch mit dem nachgewiesenen Infektionsgeschehen der jeweiligen Städte nachgebessert. Das Computermodell könne künftig Behörden beim Kampf gegen eine weitere Verbreitung des Virus unterstützen, so die Forscher.
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Die Stanford-Forscher simulierten mit dem Modell zudem verschiedene Szenarien, wie etwa die die Wiedereröffnung von Veranstaltungsorten - während andere weiter geschlossen blieben. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Öffnung von Restaurants bei voller Auslastung zu dem größten Anstieg von Corona-Infektionen führte. Darauf folgten Fitnessstudios, Cafés und Hotels.
Chicago hätte 600.000 weitere Infektionen verzeichnet bei Öffnung der Restaurants
Sie rechnen vor: Hätte Chicago am 1. Mai Restaurants wieder geöffnet, hätte es innerhalb des Monats fast 600.000 weitere Infektionen gegeben; bei Fitnessstudios wären es demnach 149.000 Infektionen gewesen. Die Öffnung aller Veranstaltungsorte hätte laut Modell 3,3 Millionen weitere Fälle zur Folge gehabt.
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Würde die Auslastung der Veranstaltungsorte auf 30 Prozent gesenkt werden, würde die Rechnung den Forschern zufolge anders aussehen - dann hätte es nur 1,1 Millionen weitere Corona-Fälle gegeben. Bei einer Deckelung der Auslastung auf 20 Prozent gar nur 650.000 Infektionen - also eine Senkung der Zahl der Neuinfektionen um mehr als 80 Prozent.
Das Modell "enthält konkrete Hinweise darauf, welche kosteneffektiven Maßnahmen die Ausbreitung der Krankheit eindämmen und gleichzeitig den Schaden für die Wirtschaft begrenzen können", zitiert das Journal „Nature“ Thiemo Fetzer, Ökonom an der University of Warwick in Coventry.
Auch der Epidemiologe am Imperial College London, Neil Ferguson, äußert sich positiv über die Möglichkeiten des Modells "Die Studie zeigt, wie große Echtzeitdaten über die Mobilität der Bevölkerung das Potenzial zur Vorhersage der Übertragungsdynamik in noch nie dagewesener räumlicher Granularität bieten", zitiert „Nature“ den Wissenschaftler.
Lauterbach warnt vor vollständiger Öffnung nach dem Lockdown
Der SPD-Politiker und studierter Epidemiologe Karl Lauterbach sprach auf Twitter von interessanten Ergebnissen. Er schrieb: "Diese Bereiche aus Shutdown zu öffnen verursacht wohl 80 Prozent der neuen Fälle. Sozial Schwache sind besonders betroffen. Lösung könnte bei Restaurants zum Beispiel sein: Maximal jeden 5. Tisch besetzen. Klingt trist, zeigt aber ganz klar, weshalb in Europa bei mehr Kälte Infektionen explodieren... für uns heißt das: wenn Wellenbrecher erfolgreich dürfen wir mE diese Bereiche nicht voll öffnen. Wir erleiden sonst einen Rückfall!"
Die Modelldaten liefern eine mögliche Erklärung, warum Menschen aus ärmeren Vierteln eher an Covid-19 erkranken. Sie könnten seltener im Homeoffice arbeiten und die Geschäfte, die sie für notwendige Güter aufsuchen würden, seien oftmals stärker besucht als in anderen Vierteln, schlussfolgern die Forscher.
Demnach würden Lebensmittelgeschäfte in ärmeren Vierteln im Schnitt von fast 60 Prozent mehr Menschen pro Stunde und Quadratfuß (0,09 Quadratmeter) besucht werden - ein Einkauf sei somit doppelt so risikobehaftet wie für Personen aus wohlhabenderen Gegenden.
Christopher Dye, ein Epidemiologe an der Universität Oxford, gibt allerdings zu bedenken, dass die Mobilitätsdaten mit Daten aus der realen Welt validiert werden müssen. "Es handelt sich um eine epidemiologische Hypothese, die noch getestet werden muss. Aber es ist eine Hypothese, die es wert ist, getestet zu werden." (Tsp, dpa)