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Urlaub in der Sonne. Touristen in Spanien Mitte der siebziger Jahre. Pauschalreisen setzten sich in Deutschland im internationalen Vergleich relativ spät durch – vorher waren die meisten individuell und oft nur wenige Tage unterwegs.
© mauritius images

Spanien als Lieblingsland der Deutschen: Braunbrüter an der Costa Brava

Von Katzenhaien und Zucchini: Ab den Siebziger Jahren wurde Spanien zum Lieblingsland der Deutschen. Eine kleine Geschichte des modernen Pauschalurlaubs.

Eine Reisejournalistin war überhaupt nicht entzückt, als sie die spanische Touristenhochburg Benidorm 1982 besuchte. „Weiter unten im Sand liegen die Braunbrüter reihenweise hingestreckt – wie tote Fische“, schrieb sie und fuhr fort: „Ob sie am Swimmingpool schweigend dösen und tapfer bräunen, ob sie ziellos durch die Straßen treiben oder an der Hotelbar ins Sangriaglas sehen, stets warten sie darauf, dass einer kommt, der sie aufrüttelt und mitreißt: Sie warten auf den Entertainer.“

Massentourismus: für die einen ein Graus, für andere die schönste Zeit des Jahres. Spanien ist längst das Lieblingsziel der Deutschen. Was heute selbstverständlich ist, war indes nicht immer so: 1970 noch verbrachten erst neun Prozent der Auslandsurlauber aus der Bundesrepublik ihre Zeit in Spanien, Österreich und Italien waren viel beliebter.

Doch die 1970er Jahre sollten für Spanien den Durchbruch als Reiseziel bedeuten – wie sich insgesamt das Urlaubsverhalten der Westdeutschen fundamental veränderte. Damals setzten sich Pauschalreisen durch, im internationalen Vergleich relativ spät. Anders als in Großbritannien verreisten westdeutsche Urlauber in der Nachkriegszeit vornehmlich individuell, wenn sie denn überhaupt verreisten.

Der Durchbruch der Flugpauschalreisen

Erst seit Mitte der 1970er unternahm die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung überhaupt eine jährliche Urlaubsreise von mindestens fünf Tagen. Der Durchbruch von Flugpauschalreisen fällt ebenfalls in diese Zeit. Diese Entwicklung überrascht zunächst, denn sie widerspricht der vorherrschenden Lesart der jüngsten zeithistorischen Forschung, die 1970er als eine Zeit „nach dem Boom“ zu sehen. Wie konnte ein teures Konsumgut wie eine Urlaubsreise ins Ausland gerade in jenen Zeiten boomen, in denen sich das Wirtschaftswachstum als Folge der Ölpreiskrisen deutlich abschwächte?

Nun nahm der Konsum in den 1970ern generell zu. Vor allem der Ausbau des Sozialstaats trug dazu bei, dass kinderreiche Familien und Alleinerziehende in höherem Maße an der Konsumgesellschaft teilhaben konnten. Die Jahre bis zur ersten Ölpreiskrise waren zudem durch hohe Einkommenssteigerungen geprägt, die teilweise mithilfe massiver Streiks durchgesetzt wurden.

In Spanien hatte das Franco-Regime den „boom tourístico“ maßgeblich gefördert, da es die Notwendigkeit ausländischer Devisen erkannte. Zunächst schaffte die Regierung 1959 die Visapflicht für Westeuropäer ab. Sie vergab auch sehr günstige Kredite zum Bau von Hotels und hielt die Übernachtungskosten konstant auf einem niedrigen Niveau. Die Anzahl der Übernachtungen allein auf den Balearen stieg von fünf Millionen 1960 auf 54 Millionen 1973.

Eine Diktatur? Bekümmerte Touristen wenig

Bekümmerte es Urlauber und Reiseveranstalter, dass die Reisen in eine Diktatur führten? Nur wenig. Die Veranstalter profitierten davon, dass das Regime den Ausbau des Tourismus offensiv betrieb. Die gängigen Reiseführer erwähnten das politische System höchstens am Rande. Vorgaben, wie sich die Touristen in dem streng katholischen Land verhalten sollten, fanden sich dort nur sehr wenige. Zwar waren in der Öffentlichkeit Arme und Beine zu bedecken und das Küssen verboten, Bikinis durften nicht getragen werden. Doch die Verantwortlichen ahndeten Verstöße immer seltener. Die Tourismushochburgen entwickelten sich zu liberalen Zentren. So eröffnete die erste Schwulenbar Spaniens während der 1960er im bei Touristen sehr beliebten Torremolinos (Andalusien).

Allerdings bemängelten zahlreiche Kritiker die Expansion des Massentourismus. Auslandsreisen genossen über Jahrhunderte hinweg ein hohes Prestige und dienten der sozialen Distinktion. Um sich weiterhin abgrenzen zu können, griffen distinktionsbewusste Reisende die Organisationsform der Pauschalurlaube an. Nur individuell organisierte Reisen seien „richtiges“ Reisen. Ausschlaggebend war nicht mehr, wohin man reiste, sondern die Art und Weise, wie man reiste. Daraus erklären sich auch die geringschätzigen Beschreibungen, mit denen Reisejournalisten Pauschalreisende charakterisierten. In der Praxis trafen die Klischees allerdings kaum zu.

Vielmehr lässt sich eine zunehmende Individualisierung erkennen. Diese manifestierte sich in vielfältiger Weise, etwa bei der Verpflegung. Zunächst warteten beliebte Urlaubsorte noch mit einer Vielzahl von Gaststätten auf, die es den Reisenden ermöglichten, ihre „Heimatküche“ im Urlaub zu genießen. So konnten deutsche Touristen in Spanien etwa „Bei Heinz“, beim „Dicken Otto“ oder bei „Onkel Willi“ speisen.

"Gurken im gekochten Gemüse": Das sind Zucchini

Pauschalreisende lernten während ihres Urlaubs jedoch neue Gerichte und Zutaten kennen. Eine Urlauberin wunderte sich etwa über „Gurken im gekochten Gemüse“. Diese stellten sich als Zucchini heraus. Und so wurden westdeutsche Pauschalreisende während der 1970er und 1980er Jahre offener gegenüber Speisen des Gastlandes. „Dann haben wir auch mal Sachen probiert, die wir in Deutschland nicht gegessen hätten“, bilanzierte eine Pauschalreisende. Sie und ihr Ehemann steuerten gezielt Lokale an, die von Einheimischen frequentiert wurden, und aßen dort Katzenhai.

Diese Veränderung ging mit einer Diskursverschiebung in den nord- und westeuropäischen Staaten einher. Die „mediterrane Küche“ galt immer mehr als gesund, da sie fett- und cholesterinarm sei. Überhaupt nahm Ende der 1980er Jahre nur noch ein Viertel der Urlauber Vollpension in Anspruch, während es zu Beginn der 1970er noch die Hälfte war. Auch stieg der Anteil der Reisenden, die eine Ferienwohnung mieteten – und zwar nicht weil das billiger war, sondern weil sie unabhängiger sein wollten.

Die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten der Pauschalreisen vergrößerten sich. Zu Beginn der 1970er Jahre offerierten Hotels nur vereinzelt abendliche Unterhaltung oder Sportmöglichkeiten. Doch bald gehörten Tanzabende und folkloristische Darbietungen ebenso wie Sport zu einem zentralen Bestandteil der Programme.

Der Wunsch, in Spanien Land und Leute kennenzulernen

Auch äußerten Pauschalreisenden vielfach den Wunsch, „Land und Leute“ kennenzulernen, was ihnen Kritiker eigentlich absprachen. Die Mehrheit der Reisenden unternahm zumindest einen Tagesausflug während ihres Urlaubs. Diese Ziele entsprachen den etablierten Sehenswürdigkeiten, die Individualtouristen ansteuerten. An der Costa Brava führten Ausflüge nach Barcelona, zum Kloster Montserrat und nach Andorra, an der Costa del Sol nach Grenada und Sevilla.

Ein von TUI versuchsweise durchgeführter Tagesausflug unter dem Motto „Katalonien – Land und Leute“, der gerade nicht zu den etablierten Sehenswürdigkeiten führte, sondern einen Einblick in das „alltägliche“ Leben der Bevölkerung geben sollte, erfreute sich ebenfalls großen Zuspruchs. Allerdings zeigte die Organisation dieses Ausflugs, wie sehr selbst Programme, die sich von den üblichen Ausflügen abzuheben versuchten, in hohem Maße genormt und strukturiert waren. So war die Abfolge der Ortsbesichtigungen ebenso festgelegt wie obligatorische zehnminütige Fotoaufenthalte an immer denselben Stellen.

Ein Vergleich mit der Finanzkrise 2008

Und so machen Pauschalurlaube in Spanien das ambivalente Verhältnis deutlich, das durch eine zunehmende Standardisierung des Massenkonsums bei gleichzeitig zunehmendem Wunsch nach einem individuellen Lebensstil geprägt war. Die Reiseveranstalter differenzierten und erweiterten ihre Programme im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts massiv. Gleichwohl handelte es sich dabei um eine „begrenzte Pluralisierung“, was sich für die Konsumgesellschaft dieser Zeit insgesamt feststellen lässt.

Der Aufschwung der Urlaubsreise relativiert das „Nach dem Boom“-Narrativ, mit dem in der Forschung Wachstumsschwächen, Gefährdungen des Sozialstaats und weitere Krisensymptome hervorgehoben worden sind. Hier lassen sich Parallelen zur Finanzkrise seit 2008 ziehen. Wie dreißig Jahre zuvor schränkten die Deutschen ihr Reiseverhalten kaum ein. Es wäre irreführend, dies mit vordergründiger Konsumkritik als ein Zeichen von Eskapismus zu werten. Vielmehr gehören Auslandsreisen seit den 1970er Jahren zu einer als „normal“ betrachteten Lebensführung und zu einer Europäisierung im Alltag, der Konjunkturschwankungen vorerst wenig anhaben können.

- Die Autorin ist Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Diese Fassung beruht auf einem Text, der zunächst in der Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ erschienen ist (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, www.zeithistorische-forschungen.de).

Sina Fabian

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