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Wuestenheuschrecke
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Biologie: Böse Heuschrecke, gute Heuschrecke

Erst der Botenstoff Serotonin macht aus der Wüstenheuschrecke eine gefräßige Plage.

Ausgerechnet Serotonin. Das kleine Molekül, das oft als „Glückshormon“ bezeichnet wird, soll verantwortlich sein für eine biblische Plage: Wüstenheuschrecken. Serotonin verwandelt die kleinen grünen Hüpfer in dunkle Biester. Das berichten Wissenschaftler der Universitäten Oxford, Cambridge und Sydney im Fachblatt „Science“ (Band 323, Seite 627).

„Die Wüstenheuschrecke ist wohl die schlimmste aller Heuschrecken“, sagt Stephen Rogers, einer der Autoren der Studie. Dabei verlebt auch sie ihre etwa drei Monate auf Erden meist als harmloser Einzelgänger: Klein, grün und im Grunde nicht anders als die Grashüpfer, die man aus Deutschland kennt. Nur unter bestimmten Umständen verwandelt sie sich in ihren bösen Zwillingsbruder. Der grüne Dr. Jekyll mutiert zum schwarz-gelben Mr. Hyde. Dann wird Schistocerca gregaria, wie das Tier amtlich heißt, plötzlich gesellig und gefräßig und fällt in riesigen Schwärmen über das Land her.

Nur etwa fünf Zentimeter lang ist das Tier, aber ein Schwarm kann Milliarden Individuen umfassen und fast 100 Kilometer am Tag zurücklegen. Die riesige Insektenwolke wiegt bis zu 1500 Tonnen, und da die Tiere jeden Tag in etwa ihr eigenes Körpergewicht fressen, bleibt dort, wo sie Station machen, kaum ein Halm übrig. Immer wieder verheeren sie Teile Afrikas. Zuletzt war das 2004 der Fall, als ein solcher Schwarm im Nordwesten Afrikas auftrat. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation hinterließ er einen Schaden von 2,5 Milliarden Dollar und führte die Menschen dort an den Rand einer Hungerkatastrophe.

Die beiden Formen des Tieres sind so unterschiedlich, dass Forscher bis 1921 glaubten, es handele sich um zwei verschiedene Arten. Warum die Tiere diese Wandlung durchmachen, ist weiterhin ein Rätsel. Fest steht nur, dass es immer dann geschieht, wenn die Tiere so zahlreich sind, dass sie sich bedrängen.

Im Labor lässt sich die Metamorphose erzwingen, indem man der Heuschrecke mit einem kleinen Pinsel ihre Hinterbeine streichelt oder sie Artgenossen riechen lässt. Innerhalb von zwei Stunden mutiert das Tier dann zur Schwarmversion, Färbung und Verhalten ändern sich vollständig. Dabei steigt der Serotoninlevel im Gehirn deutlich an, wie die Forscher herausfanden. Um zu klären, ob diese Veränderung auch die Ursache der Verwandlung ist, gaben sie den Tieren einen Stoff, der Serotonin hemmt. Trotz Stimulation verwandelten sich die Tiere anschließend nicht mehr, berichten die Wissenschaftler.

Aber warum ausgerechnet das Glückshormon Serotonin? Der Biologe Paul Stevenson von der Universität Leipzig findet das gar nicht so erstaunlich: „Wir kennen Serotonin vor allem als ein Hormon, das Aggressionen unterdrückt.“ Das führe möglicherweise dazu, dass die Heuschrecken sich in einem Schwarm gegenseitig tolerieren.

„Kurzfristig werden diese Erkenntnisse wohl keine besseren Möglichkeiten zur Bekämpfung der Plage ergeben“, sagt Stevenson, der einen begleitenden Kommentar zu der Studie verfasst hat. „Natürlich wäre ein Stoff denkbar, der Serotonin blockt.“ Aber wann solle der eingesetzt werden? Schließlich müsse man die Verwandlung rechtzeitig verhindern. „Solange die Heuschrecken noch Einzelgänger sind, kommen sie aber relativ selten vor, und man müsste Quadratkilometer von Wüste besprühen in der Hoffnung, die paar Tiere zu finden.“

Grundsätzlich kann sich die schwärmende Wüstenheuschrecke auch noch später zurückverwandeln. Setzen Forscher die gefräßigen Heuschrecken in Isolationshaft, werden sie innerhalb einiger Generationen wieder zu harmlosen Hüpfern. Ob sich diese Verwandlung beschleunigen lässt, ist noch nicht klar.

„Wir wissen einfach zu wenig über die Wüstenheuschrecke“, sagt Stevenson. Die neue Studie sei aber ein riesiger Schritt nach vorn: „Wir verstehen jetzt, wie die ganze Verwandlung in Gang gesetzt wird. Das ist das erste Stück im Puzz le.“ Wenn das ganze Bild erst einmal zusammengesetzt ist, könnte der Mensch es schaffen, Mr. Hyde wieder zurückzuverwandeln in den harmlosen Dr. Jekyll.

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