Studie aus Hamburg zu Todesursachen: Blutverdünner könnten Hoffnung für Coronavirus-Patienten sein
Eine Studie aus Hamburg zeigt, dass Covid-19-Erkrankte relativ oft an Blutgerinseln sterben. Daraus ergebe sich ein neuer Therapieansatz, folgern Mediziner.
Neue Erkenntnisse in der Coronavirus-Pandemie liefern womöglich erfolgversprechende Behandlungsmethoden. Dies ergibt sich aus einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).
Dabei zeigte sich, dass das Coronavirus bei überraschend vielen Erkrankten zu Thrombosen und letztlich zu tödlichen Lungenembolien führt. Dies ist das Ergebnis von Untersuchungen eines Team von Internisten und Rechtsmedizinern um Stefan Kluge und Klaus Püschel des UKE.
So seien bei der Obduktion von zwölf an der neuartigen Lungenkrankheit gestorbenen Menschen in sieben Fällen Thrombosen und in vier Fällen Lungenembolien festgestellt worden, sagte der Oberarzt des Instituts für Rechtsmedizin, Jan Sperhake, am Freitag in Hamburg.
Dieser Befund sei inzwischen durch insgesamt 192 rechtsmedizinische Untersuchungen am UKE bestätigt worden. Eine Auswertung der ersten zwölf Obduktionen wurde gerade in der Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ publiziert. In keinem Bundesland werden so viele Covid-19-Tote obduziert wie in Hamburg.
Was die Mediziner verblüffte
„Was uns verblüfft hatte war, dass wir schon nach wenigen Todesfällen doch viele Patienten hatten mit Thrombosen, das heißt Gerinselbildung in den unteren Extremitäten“, sagte Sperhake.
„Das kennen wir sonst von keiner Patientengruppe.“ Die Gerinsel bergen nach seinen Angaben ein erhebliches Risiko. Denn wenn sich diese Gerinnsel loslösten, landeten sie in der rechten Herzkammer und würden von dort in die Lunge verteilt. Das Ergebnis: eine tödliche Lungenembolie.
„Dabei ist die Entzündung der Lunge bei Covid-19 wirklich ein eindrucksvoller Befund“, sagte Sperhake. Mit bloßem Auge sei bei den Toten erkennbar, dass die Lungen schwer und fest geworden seien.
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„Da kann man sich die Schwierigkeiten gut vorstellen, die Intensivmediziner haben, diese Lungen noch zu belüften.“ Dennoch würden die Gerinnsel den Patienten mitunter gefährlicher als die Entzündung der Lunge.
Dass in die Studie nur vergleichsweise wenig Obduktionen eingingen, sei auch dem Zeitfaktor geschuldet, sagte Sperhake. „Wir hätten auch 20 oder 30 oder 50 oder 100 sagen können (...) aber dann wären wir nicht schnell genug gewesen. So einfach ist das.“
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Welche Faktoren tatsächlich dafür verantwortlich sind, dass Covid-19-Patientinnen und Patienten überdurchschnittlich häufig Blutgerinnsel ausbilden, sei noch nicht abschließend geklärt, erklären die Mediziner.
Für das UKE selbst bedeuten die Erkenntnisse aus den Obduktionen auch eine veränderte Behandlung von Covid-19-Patienten. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, einen Teil der Patienten mit Blutverdünnern zu behandeln. Und das sollten wir auch tun“, sagte der Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Stefan Kluge.
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Generell sollten alle Covid-19-Patienten entsprechend behandelt werden. Kluge schränkte jedoch ein, dass die häufigste Todesursache bei Covid-19 nach wie vor die Lungenentzündung selbst sei.
„Um einen Nutzen für den Patienten wirklich zu beweisen, bedarf es noch einer größeren randomisierten Studie“, sagte Dominic Wichmann, Oberarzt in der Klinik für Intensivmedizin und ebenfalls Erstautor der Studie, zum neuen Therapieansatz.
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Wie das UKE weiter mitteilte, finde die sorgfältige Untersuchung der Toten seit dem 23. März statt und belege, dass es sich bei dem Großteil der Verstorbenen um bereits zuvor körperlich oder immunologisch erheblich beeinträchtige Patientinnen und Patienten handelte.
Viele Betroffene wiesen Vorerkrankungen an Herz, Lungen und Nieren sowie Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Krebs oder Demenz auf. Auch Übergewicht scheine ein Risikofaktor zu sein.
Todesursächlich war demnach stets eine Lungenentzündung mit oder ohne Lungenembolie. Mittlerweile seien aber auch einige viruspositive Sterbefälle mit Covid-19-unabhängiger Todesursache aufgetreten.
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Die Alters- und Geschlechtsverteilung der im Institut für Rechtsmedizin untersuchten 192 Verstorbenen zeigte bisher ein Verhältnis von etwa 44 Prozent Frauen und 56 Prozent Männern auf. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen lag bei 80 Jahren (Spannweite 31-99 Jahre); bei Männern 77 Jahre und bei Frauen 82 Jahre.
Der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel, hält die Coronavirus-Pandemie in Deutschland weiter für beherrschbar.
Mit Blick auf Italien mit den vielen Toten sagte er: „So bedrohlich ist es nie gewesen, auch nicht ansatzweise hier in Deutschland.“ Es bestehe vielmehr die Gefahr, „dass wir uns durch solche Bilder zu sehr beeinflussen lassen“.
Püschel bekräftigte seine Einschätzung: „Das ist kein Killervirus, wir sind nicht im Krieg. Wir müssen keine Angst haben und sollten auch nicht verzagen.“
Er rechne vorerst – anders als das Robert Koch-Institut – auch nicht mit einer zweiten Coronavirus-Welle. Dies halte er für „Schwarzmalerei“. Darauf reagierte allerdings Oberarzt Sperhake bei der Pressekonferenz: „Ich bin nicht so optimistisch wie mein Chef.“
Püschel hatte bereits am 7. April zur Gefahr, die seiner Meinung nach vom Coronavirus ausgehe, relativiert: „Dieses Virus beeinflusst in einer völlig überzogenen Weise unser Leben. Das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr, die vom Virus ausgeht“, sagt der renommierte Rechtsmediziner. „Ich bin überzeugt, dass sich die Corona-Sterblichkeit nicht mal als Peak in der Jahressterblichkeit bemerkbar machen wird.“ (mit dpa)