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Zecke
© ddp

Borreliose: Blutsauger, die im Gebüsch lauern

Nach einem Zeckenstich bekommen bis zu vier Prozent der Betroffenen Borreliose. Frühe Therapie ist wichtig.

Für uns ist es nur eine geringe Menge Blut, für die Zecke geht es bei ihrem Saugakt aber ums Überleben und um ihren Übergang ins nächste Entwicklungsstadium. Was der „gemeine Holzbock“ mit dem wissenschaftlichen Namen „Ixodes ricinus“ von uns will, könnten wir ihm also eigentlich ohne Bedenken geben.

Wären da nicht die Krankheitserreger, die bei dieser Blutmahlzeit den Besitzer wechseln. Sie können den Menschen ernsthaft bedrohen. Die Viren übertragenen nämlich die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), für die es einen Impfschutz gibt – den allerdings nicht jeder braucht (siehe Infokasten). Die häufigste durch Zecken auf den Menschen übertragene Infektionskrankheit ist jedoch die Lyme-Borreliose.

Den ersten Teil des Namens verdankt die Krankheit einer Stadt: In den 70er Jahren hatten in der US-Kleinstadt Lyme in Connecticut auffallend viele Jugendliche unter entzündlichem Gelenkrheuma (Arthritis) zu leiden. Die Ärzte wunderten sich. Viele der jungen Leute berichteten, einige Zeit zuvor hätten sie unter einer größer werdenden Hautrötung gelitten. Das sah für die Ärzte sehr nach den Folgen eines Einstichs aus. Noch dazu gab es im Frühsommer besonders viele Fälle. Im Jahr 1982 wurde dann das Bakterium aus der Gattung der Borrelien als Erreger der Gelenkentzündung identifiziert.

Das Risiko, nach einem Zeckenstich an einer Lyme-Borreliose zu erkranken, liegt, wie Wiebke Hellenbrand und Gabriele Poggensee von der Abteilung für Infektionsepidemiologie des RKI jetzt in der Zeitschrift „Berliner Ärzte“ berichten, zwischen 0,3 und vier Prozent. Es steigt allerdings, wenn die Zecke länger ungestört saugen kann. Denn erst im Lauf der Blutmahlzeit kommt das Bakterium aus der Tiefe ihres Verdauungstrakts an die Oberfläche.

In den meisten Fällen bleiben die Symptome auf die Haut beschränkt: Einer großen Studie zufolge, für die 279 000 Einwohner des Raums Würzburg erfasst wurden, bleibt es bei fast neun von zehn erkennbar Infizierten bei der „Wanderröte“, die von der Einstichstelle ausgeht und sich in Tagen oder Wochen ausbreitet. Wenn der Arzt diese Hauterscheinung sieht, sollte er sofort Antibiotika verordnen. Schon in dieser frühen Phase kann es zu allgemeinen, also nicht so leicht zu deutenden Symptomen kommen: Schlappheit, Fieber, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, aber auch schon Gelenkbeschwerden.

Wenn diese ersten Erscheinungen unbemerkt bleiben oder den Arzt nicht auf die richtige Spur führen, wird das Immunsystem ohne antibiotische Hilfe oft nicht mit dem Erreger fertig. Vor allem Kinder sind dann von der „Neuroborreliose“ bedroht, die sich in einer Hirnhautentzündung zeigt. Aber auch bei Erwachsenen können Kopfschmerzen, Nervenschmerzen und Lähmungen auftreten. Auch das Herz und die Augen werden in seltenen Fällen in Mitleidenschaft gezogen.

Das Bakterium, das sich durch den kleinen Stich Zugang verschafft, zieht im Körper also weite Kreise, und das über einen längeren Zeitraum – wenn auch nur in seltenen Fällen. Bei etwa fünf Prozent aller Infektionen werden auch Gelenke in Mitleidenschaft gezogen. Die Patienten suchen dann oft bei einem Rheuma-Spezialisten Hilfe. Auch er verschreibt Antibiotika, meist über einen Zeitraum von vier Wochen. Der Rheumatologe und Borreliose-Spezialist Andreas Krause vom Immanuel-Krankenhaus Berlin zieht eine positive Bilanz: „In vier von fünf Fällen haben wir mit der ersten antibiotischen Therapie Erfolg. Dass Arthritis heilbar ist, kommt sonst nicht so häufig vor.“

Allerdings brauchen Borreliose-Opfer, bei denen die Gelenke in Mitleidenschaft gezogen sind, manchmal viel Geduld, weil sie sich erst einige Monate nach der Behandlung wieder fit fühlen. Einige wenige Patienten klagen auch dauerhaft über Schlappheit und Gelenkbeschwerden. „Man sollte sich davor hüten, dann immer wieder neue antibiotische Therapien anzusetzen“, warnt Krause. Denn es könnte sein, dass gar keine Borreliose-Infektion vorliegt. Antikörper-Tests geben allein keine zuverlässige Auskunft.

Schätzungsweise zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung haben Antikörper gegen den Erreger im Blut, ohne jemals erkrankt zu sein. Sind die Gelenke betroffen, dann kann ein molekularbiologischer Test Aufschluss geben, der auf der Polymerase-Ketten-Reaktion basiert (PCR-Test). „Am genauesten fällt er aus, wenn man das Gelenk selbst punktiert, denn der Erreger sammelt sich stark im jeweiligen Gewebe“, sagt Krause, der in der Charité vor einigen Jahren selbst an der Entwicklung eines solchen Tests beteiligt war. Doch auch mittels PCR-Test werden nur etwa 70 Prozent der Borreliose-Fälle erkannt. „Ein negativer Test schließt also die Infektion nicht aus.“

Was tun, wenn die Beschwerden nicht verschwinden? Schon vor Jahren hat sich dafür der Begriff „Post-Lyme-Syndrom“ eingebürgert. In Internetforen klagen Betroffene ihr Leid. Ob es sich um ein eigenes Krankheitsbild handelt, ist jedoch höchst umstritten. Dass der verlängerte Einsatz von Antibiotika nicht hilft, haben zwei Studien gezeigt, die 2001 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden. 115 Patienten mit anhaltenden Beschwerden – mit und ohne positiven Antikörper-Test – erhielten nach dem Zufallsprinzip 90 Tage lang entweder verschiedene Antibiotika oder Scheinpräparate. Die Beschwerden besserten sich zwar bei 40 Prozent der Teilnehmer, die Medikamente bekommen hatten, aber auch bei 36 Prozent der Teilnehmer der Placebogruppe. „Wenn drei gut durchgeführte Antibiotika-Therapien nicht geholfen haben, sollte man sich davon nichts mehr erhoffen“, resümiert Krause den Stand der Forschung.

In diesen seltenen Fällen sollten gezielt die Symptome behandelt werden, die den Patienten plagen. Neben entzündungshemmenden Mitteln ist die richtige Schmerztherapie wichtig. Nach langer Zeit hat sich der Schmerz möglicherweise schon tief ins Gedächtnis eingegraben. Er besteht fort, obwohl die Erreger des Unheils, die Borrelien, längst schachmatt gesetzt sind.

Adelheid Müller-Lissner

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