Blick auf die Erde: Blaue Murmel auf schwarzem Samt
Heute vor 40 Jahren machten Astronauten von Apollo 17 dieses Foto der Erde – und änderten unser Bild von der Welt.
Was für eine Aussicht! Es fällt leicht, sich auszumalen, wie sehr der Blick auf ihre 45 000 Kilometer entfernte Heimat die Astronauten beeindruckt haben mag. Obwohl die Besatzung der Apollo 17 am 7. Dezember 1972 rasend schnell dem Mond entgegenschießt, zeigt das Bild einen Moment der Zeitlosigkeit.
Vor dem weiten Schwarz des Alls scheint die Erde regelrecht zu strahlen, sie leuchtet wie eine blaue Murmel – „Blue Marble“ wird die Fotografie daher auch genannt. Fotos aus dem All gab es schon viele, aber zum ersten Mal gelang es den Raumfahrern, die Erdkugel komplett beleuchtet aufzunehmen. Um nicht mit den Sehgewohnheiten der Nord-Süd-Achse zu brechen, wurde die Aufnahme gedreht, doch das war die einzige Korrektur, derer es bedurfte. Schließlich transportiert das Bild, ein Kreis in einem Quadrat, ansonsten bemerkenswerte Harmonie.
Horst Bredekamp, Kunsthistoriker an der Berliner Humboldt-Universität, sieht aber in der Fotografie mehr als einen Ausdruck irdischer Schönheit, er beschrieb sie als „veritable Ikone des 20. Jahrhunderts“. Man müsse das Bild der Welt als Weltbild verstehen, argumentiert er in seinem Aufsatz „Blue Marble. Der blaue Planet“, der 2011 im „Atlas der Weltbilder“ (Akademie Verlag) erschienen ist.
Dem Tagesspiegel sagte Bredekamp anlässlich des Jubiläums: „In den letzten 40 Jahren hat das Bild an Bedeutung gewonnen, weil es aus einer Zeit stammt, in der die Erde durch Aufnahmen, die von Menschen getätigt wurden, als Ganzes distanziert werden konnte.“ Seither habe sich der Blick auf die Welt längst wieder verändert. „Diese Epoche scheint weit hinter uns zu liegen, und damit birgt die Aufnahme eine über lange Zeit wohl nicht wiederholbare Visualität.“
Das gezeigte Weltbild verkörpert so bis heute eine damals revolutionär neue Perspektive. Der Mensch blickt nicht mehr zum Himmel hinauf, sondern aus dem All herab. Menschen und Städte sind aus dieser Entfernung nicht zu erkennen, und auch die Staatsgrenzen entziehen sich dem Auge des Betrachters. Nichts Menschliches ist mehr zu sehen, seine Anwesenheit scheint ausschließlich in dem Umstand auf, dass die Fotografie überhaupt aufgenommen werden konnte. Auch wenn das Bild nur eine Seite der Erde zeigt, ist es somit doch ein Symbol der Globalisierung. Es erfasst die Welt als eine zusammengehörige Entität.
Aus dem All wirkt der Globus jedoch nicht mehr groß und unverwüstlich, sondern klein und zerbrechlich. Von diesem Eindruck berichtete fast jeder der Raumfahrer: „Die Welt lag ausgebreitet unter uns, doch wie verletzlich sah sie aus!“ Das erkannte die entstehende Umweltbewegung, die das Bild plakativ für ihre Interessen einsetzte und so maßgeblich zu seiner heutigen Bekanntheit beitrug. Später nutzte auch Al Gore in seinem Werben für klimabewusstes Handeln die berührende Wirkung von „Blue Marble“.
Die Schwäche der Erde, die die „blaue Murmel“ visuell suggeriert, inspirierte jedoch auch aus der damals verbreiteten Technikgläubigkeit erwachsende Allmachtsfantasien. Die Erde, auch so wird das Bild verstanden, scheint endgültig vom Menschen beherrscht zu werden. Einige erhofften sich zu dieser Zeit sogar, mithilfe von Satellitenbildern die Umwelt vollständig kontrollieren zu können.
Historisch ist „Blue Marble“ somit auch das Sinnbild einer Epoche, in der der Mensch erstmals die Grenzen der Erde überwunden hatte. Im ideologischen Systemstreit rangen die Weltmächte um politische Vormacht und Prestige, erst daraus resultierte der Wettlauf zum Mond, der damals ernsthafter als heute als nächstes Ziel des Menschen galt.
Aufgenommen hat das Bild vermutlich Harrison Schmitt. 37 Jahre alt war der Geologe, als er 1972 die 70-Millimeter-Mittelformatkamera bediente. Kurz darauf wurde er der zwölfte Mann, der den Mond betreten hat. „Unseren Erinnerungen“, sagte Schmitt später, „wird die Fotografie nicht gerecht. Wir sahen die Erde wie das Zuhause der Kindheit, verändert durch den Lauf der Zeit, aber unverändert in den Gedanken.“
Wissenschaftlich förderte die Apollo-17-Mission neue Erkenntnisse über Beschaffenheit und Entstehung des Monds zutage. Die Rohstoffe, die man dort im Boden fand, nährten darüber hinaus die Hoffnung, den Energiehunger der Menschheit auf diesem Wege stillen zu können.
Später, im Rückblick auf die Reise, von der die Fotografie stammt, sagte Schmitts Kollege Eugene Cernan: „Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden, aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.“ Bis heute sollte Apollo 17 der letzte bemannte Mondflug sein.
„Blue Marble“ hingegen lebt weiter. Im Januar 2012 veröffentlichte die Nasa neue Aufnahmen der Erde aus ähnlicher Perspektive, zusammengesetzt aus sechs Satellitenbildern. Dank moderner Technik sind die Wolken darauf weniger auffällig als im Original. Die Faszination dieser Bilder ist ungebrochen: Bereits in der ersten Woche hatten mehrere Millionen Menschen die Fotografie im Internet aufgerufen. Am Mittwoch zeigte die Nasa zudem neue Fotos der Erde bei Nacht – sie nennen sie die „schwarze Murmel“.
Christopher Weckwerth