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Plötzlich vor der Klasse. Lehramtsstudenten sollen künftig besser auf die Begegnung mit den Schülern vorbereitet werden.
© dpa

Lehrerbildung: Berlin erfindet die Lehrer neu

Eine hochrangige Expertenkommission empfiehlt ein gleiches Studium für Sekundarschule und Gymnasium, eine zentrale "School of Education" soll es aber nicht geben. Berlins Senat bekommt damit Rückendeckung, die Lehrerbildung an den Unis neu zu ordnen.

Berlins rot-schwarzer Senat bekommt Rückendeckung für seine Pläne, die Lehrerbildung an den Universitäten der Stadt zu reformieren. Eine hochrangige Expertenkommission unter Leitung des Bildungsforschers Jürgen Baumert empfiehlt, die althergebrachten Lehramtsstudiengänge vollständig neu zu ordnen. Zudem soll ein Praxissemester an die Stelle kurzer Praktika treten. Eine Absage erteilen die Experten der Idee, eine einzige „School of Education“ für ganz Berlin einzurichten.

Die Empfehlungen entstammen einem 60-seitigen Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt. Offiziell wollen ihn Baumert und Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) an diesem Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellen.

Scheeres hatte Baumert im Frühjahr den Auftrag erteilt, eine Expertise zur Reform der Lehrerbildung zu erstellen. Ein knappes Dutzend Bildungswissenschaftler hatte daraufhin zusammen mit Vertretern der Bildungsverwaltung die Möglichkeiten ausgelotet, Berlins Lehrerbildung der neuen Berliner Schulstruktur mit dem Nebeneinander von Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen (ISS) anzupassen. Neben der rot-schwarzen Koalitionsvereinbarung sollten auch Vorgaben der Kultusministerkonferenz zur Lehrerbildung berücksichtigt werden.

Besonders umstritten dürfte der Expertenrat sein, dass es für Sekundarschul- und Gymnasiallehrer künftig die gleiche Ausbildung geben soll. Bislang gibt es in Berlin ein gemeinsames Lehramt für alle Pädagogen bis Klasse 10. Dies bedeutete, dass die Absolventen dieses Studiums die Wahl haben, an Grund- oder Sekundarschulen zu unterrichten. Stark abgegrenzt davon gibt es den Studienrat, der bis zum Abitur unterrichten darf und deshalb vorzugsweise an Gymnasien und an der Oberstufe der Integrierten Sekundarschulen eingesetzt wird.

Die spannende Frage dürfte nun sein, ob die Verfechter eines starken Gymnasiums dagegen mobil machen werden. Sie könnten befürchten, dass die identische Ausbildung von ISS- und Gymnasiallehrern zu einer Verwässerung des Unterschieds beider Schulformen beiträgt.

Für die Grundschullehrer dagegen soll es nach Auffassung der Bildungswissenschaftler künftig ein spezielles Studium geben. Dies sei wegen der strukturellen Unterschiede zwischen Grundschulen einerseits und Sekundarschulen und Gymnasien andererseits notwendig. Nach Ansicht der Kommission lässt sich eine „ausbalancierte und auf das spezifische Tätigkeitsfeld der Grundschule zugeschnittene akademische Ausbildung“ nicht mit einem fachlich akzentuierten Studiengang für die Sekundarstufe verbinden.

Mit anderen Worten: Wer lernen will, mit Kindern ab fünf Jahren und ihren besonderen Bedürfnissen zurechtzukommen, wer die Basis für den Schriftspracherwerb schaffen und die Jahrgangsmischung mitsamt Inklusion beherrschen soll, hat keine Zeit, zusätzlich noch ein komplettes Fach wie Geografie oder Englisch zu studieren. Allerdings sollten alle Grundschullehrer die Studienfelder „sprachliche und mathematische Grundbildung“ verbindlich belegen. Zum Hintergrund dieser Empfehlung dürften nicht zuletzt Berlins schlechte Ergebnisse bei den Vera-Vergleichsarbeiten und bei länderübergreifenden Studien gehören.

Breiten Raum der Expertenberatungen nahm auch die berufliche Bildung ein. Die Empfehlung lautet hier, zwei Studiengänge einzurichten, wobei der eine eher grundständig angelegt sein soll. Bei dem anderen handelt es sich um einen „Aufbaumaster“, der generell für Fächer mit einem „notorischen Mangel an Lehrkräften“ eine Option sein könnte.

Im Hinblick auf die Inklusion schlagen die Experten vor, dass alle angehenden Lehrer eine „sonderpädagogische Grundqualifikation“ erwerben sollen. Empfohlen wird ein Studienschwerpunkt „Sonderpädagogik/Rehabilitationswissenschaften“, der in die drei Lehrämter für Grundschulen, ISS/Gymnasium und Berufliche Bildung integriert werden soll. Der eigenständige Studiengang „Lehramt Sonderpädagogik“ könnte dann gestrichen werden.

Eine universitätsübergreifende „School of Education“ für ganz Berlin soll nicht geschaffen werden. Vielmehr will die Kommission, dass die Lehrerbildung weiterhin dezentral in der Verantwortung der einzelnen Universitäten bleibt. Die Experten fordern aber eine „institutionelle Neuorientierung“, indem an den Universitäten „quer zu den Fächern und Fakultäten Schools of Education“ eingerichtet werden, die mit festgelegten „Zuständigkeiten, Rechten, Pflichten und Ressourcen“ ausgestattet werden. Mit den bereits existierenden Einrichtungen der Unis sind die Wissenschaftler offenbar nicht zufrieden. An der Freien Universität gibt es bereits ein Zentrum für Lehrerbildung, an der Humboldt-Uni wurde vor einem Jahr ein neue „Professional School of Education“ gegründet.

FU-Erziehungswissenschaftler Jörg Ramseger reagiert dennoch erleichtert: „Eine einzige virtuelle School of Education wäre absurd gewesen.“ Es sei wichtig, dass die Nähe zwischen den Lehramtsstudenten und den einzelnen Hochschulen erhalten bleibe.

Susanne Vieth-Entus

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