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Eine Lehrerin liest ihren Drittklässlern aus einem Buch vor.
© Felix Kästle/dpa

Lernverluste in der Pandemie: Beim Lesen fehlt Kindern ein halbes Jahr

Iglu-Tests zur Lesefähigkeit von Viertklässlern zeigen große Unterschiede zwischen 2016 und 2021: Im Schnitt fallen die Schüler ein halbes Schuljahr zurück.

Während der Corona-Pandemie haben die Lesefähigkeiten von Viertklässlern in Deutschland nach einer neuen Studie gravierend abgenommen. Unter insgesamt fast 4300 getesteten Grundschülern wiesen Kinder der vierten Klassen 2021 nach gut einem Jahr pandemiebedingter Einschränkungen eine „substanziell geringere“ Lesekompetenz auf als Viertklässler 2016.

Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten repräsentativen Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund (IFS) hervor. Im Durchschnitt fehle den Kindern ein halbes Schuljahr. Lesekompetenz – flüssiges und sinnerfassendes Lesen – wird zentral in der Grundschule erworben. Sie gilt als Schlüsselqualifikation für den Bildungsweg. „Die Ergebnisse sind alarmierend“, heißt es in der Untersuchung.

Nach häufigen Wechseln zwischen Distanz- und Präsenzlernen und Unterrichtsausfällen stellte das Forscherteam Leistungsabfälle durchgängig bei allen Gruppen unter den Viertklässlern fest. Demnach sank der Anteil der starken und sehr starken Leser von 44 Prozent (2016) auf 37 Prozent. 28 Prozent können nur schwach oder sehr schwach lesen – fünf Jahre zuvor waren das mit 22 Prozent deutlich weniger.

Zu ähnlichen Ergebnissen war im September 2021 auch schon eine Auswertung von Lernstandsuntersuchungen zur Lese- und Mathematikkompetenz von Drittklässlern in Hamburg gekommen.

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Mädchen lesen im Mittel weiterhin besser als Jungen, negativen Effekte der Pandemie wurden aber in etwa dem gleichen Ausmaß festgestellt. Das gilt insbesondere für Viertklässler mit ungünstigen Lernbedingungen, die keinen eigenen Schreibtisch und kein zuverlässiges Internet haben.

Die Lesekompetenz von Grundschulkinder mit Migrationshintergrund habe "im Mittel tendenziell stärker unter der Pandemie gelitten", heißt es vom Institut. Dieses Ergebnis könne zwar "nicht statistisch gegen den Zufall abgesichert werden".

Die Zahlen zeigten aber eine deutliche Vergrößerung des Unterschieds der mittleren Leseleistungen: "Lagen Kinder, die im Ausland geboren sind, 2016 im Mittel noch 46 Punkte hinter Kindern mit Deutschland als Geburtsland, so beträgt dieser Unterschied 2021 durchschnittlich 63 Punkte und damit rund 1,5 Lernjahre", stellen die Autor:innen der Studie fest (die kompletten Studienergebnisse finden Sie hier auf der IFS Projektseite).

VBE und Linke fordern mehr Mittel für Personal

Für die Studie waren Daten von insgesamt 4290 Viertklässlern an 111 Schulen aus ganz Deutschland ausgewertet worden, sie stammen aus dem Lesekompetenztest Iglu. Von Mai bis Juni 2016 hatten 2208 Viertklässler teilgenommen, an den gleichen Schulen wurden im Juni und Juli 2021 dann in allen Bundesländern 2082 Viertklässler getestet.

Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), sieht in der mangelnden Lesekompetenz "einen weiteren Beleg für ein unterfinanziertes Bildungssystem". Solange Kitas und Schulen durch die politisch Verantwortlichen nicht so ausgestattet würden, dass sie ihre Aufgaben auch erfüllen können, "werden festgestellte Defizite trotz allen Engagements des pädagogischen Personals nicht behoben werden können", erklärte Beckmann.

Für Nicole Gohlke, die stellvertretende Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, ist das Ergebnis der Studie "die traurige Quittung für die Corona-Politik der Bundesregierung". Es reiche nicht aus, für das Homeschooling digitale Endgeräte an die Schüler:innen zu verteilen und die Schulen zum Lüften zu verpflichten.

Die Länder bräuchten vielmehr "unkomplizierte Unterstützung bei der Ausbildung zusätzlicher Lehrkräfte und der Schaffung von Betreuungsmöglichkeiten", so Gohlke. (dpa/-ry)

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