Genspur zum Täter: Bayerns Polizeigesetz erlaubt das genetische Phantombild
Geschlecht, Alter, Haarfarbe, Herkunft: Gene waren für Ermittlungszwecke bislang tabu. Bayern ändert das jetzt – und gerät damit in Konflikt mit bundesweiten Regelungen.
Hinterlässt ein Verdächtiger sein Erbgut am Tatort, durften Ermittler daraus bislang nur sein charakteristisches DNA-Muster, eine Art Fingerabdruck, herauslesen. Die Analyse von Genabschnitten, die Auskunft über die Farbe der Augen, der Haare, der Haut oder die Herkunft geben, untersagt die bundesweit gültige Strafprozessordnung hingegen ausdrücklich.
In Bayern soll dieses Tabu nun fallen, zumindest bei „Gefahr im Verzug“. In der Novelle des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) geht der Freistaat nicht nur in der Videoüberwachung neue Wege, sondern ermöglicht auch erstmals das Erstellen eines genbasierten Phantombildes.
Genanalysen sind ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung
Bislang galt die Analyse von merkmalsrelevanten Genen als unerlaubter Eingriff in die „informationelle Selbstbestimmung“ eines Menschen. Zu deren Schutz ist die Bundesrepublik spätestens seit dem „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1983 verpflichtet. Infolgedessen dürfen laut Strafprozessordnung „andere Feststellungen als diejenigen, die zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters sowie des Geschlechts erforderlich sind, nicht getroffen werden“ (§81g).
Setzt sich Bayern mit der PAG-Novelle über dieses Bundesgesetz nun hinweg? „Das wird wohl erst das Landes- oder Bundesverfassungsgericht entscheiden können“, sagt Carsten Momsen, Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Die Novelle regele lediglich den Einsatz der erweiterten DNA-Analyse in der Gefahrenabwehr – also Ermittlungen mit dem Ziel, eine Straftat zu verhindern.
Diese Gefahrenabwehr liegt in der Hand der Länder. Bayern dürfe sie selbst gestalten. Erst wenn strafrechtliche Belange betroffen sind, habe der Bund die Rechtshoheit. „Allerdings ist die Grenzlinie extrem schmal, weil in dem Gesetz die ‚drohende Gefahr’ nicht genauer spezifiziert wird, die nun mit Hilfe von erweiterter DNA-Analyse abgewendet werden soll“, sagt Momsen.
Anlagen für Krankheiten dürfen nicht untersucht werden
Werde etwa am Flughafen Sprengstoff und DNA-Spuren daran gefunden, dann liege es nahe, dass eine Straftat geplant ist. Im Zuge „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ würden die bayerischen Ermittler zunächst das DNA-Identifikationsmuster feststellen und überprüfen, ob es zu einem zuvor bei anderen Straftaten gespeicherten DNA-Profil in der Datenbank passt. Auch das geht schon über die bundesweit erlaubte Praxis hinaus, denn bislang wird die DNA-basierte Identifizierung nur in der Strafverfolgung eingesetzt, nicht präventiv. Lässt sich der vermutliche Attentäter so nicht identifizieren, sollen bayerische Ermittler aber zukünftig auch noch Informationen über das wahrscheinliche Aussehen des künftigen Täters über die DNA-Spur ermitteln dürfen.
Dem neuen Passus zufolge darf „die Datenerhebung durch die molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials unbekannter Herkunft zum Zwecke der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers erfolgen, wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“. Der Zusatz „Bei der Untersuchung dürfen andere Feststellungen als die (...) genannten nicht getroffen werden“ verhindert immerhin, dass etwa Erbanlagen für Krankheiten untersucht werden und Ermittlungsbehörde in Versuchung geraten, bei den Krankenkassen nach passenden Individuen zu fahnden.
Ein juristischer "Testballon" aus Bayern
„Aber was passiert dann mit dieser Information“, fragt Momsen. „Soll man folglich alle Leute mit der ermittelten Haar- und Hautfarbe, Herkunft, Alter und Geschlecht daraufhin untersuchen, ob sie eventuell eine solche Straftat begehen wollen? Wohin soll das führen?“ Der Gesetzentwurf lasse eben das offen, weshalb der Jurist vermutet, dass es sich um einen „Testballon“ Bayerns handelt, „ob das Verfassungsgericht das überhaupt passieren lässt“. Verfassungsbeschwerden seien bereits in Vorbereitung. Sollte die PAG-Novelle durchkommen, dann werden Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat wohl einen neuen Anlauf nehmen, die Strafprozessordnung zugunsten der erweiterten DNA-Analyse zu ändern. Im vergangenen Jahr waren die beiden Länder damit noch gescheitert.
Sollte das Gesetz Eingang in Landes- oder gar Bundesrecht finden, dann müsse es um wichtige Kriterien ergänzt werden, meint Momsen. „Das bayerische Gesetz ist noch viel zu offen formuliert.“ Zum einen müsse festgelegt werden, dass die Analysen in unabhängigen Labors durchzuführen sind. Zum anderen sei eine Ethikstelle abseits der Polizei nötig, die jedes Mal kläre, ob ein Einsatz gerechtfertigt ist – die Methode also nur bei einer sehr schweren Straftat oder deren Vermeidung angewendet wird. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass die Ermittlungsbeamten im Umgang mit der Methode geschult sind. Denn während das gängige DNA-Profil eine nahezu hundertprozentige Identifizierung ermöglicht, sind die Resultate erweiterter DNA-Analysen lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen und schwer zu interpretieren.
Ein Hinweis auf die Herkunft ist nur bei Minderheiten ermittlungsrelevant
Besonders kritisch sieht Momsen, dass das PAG auch die Suche nach der „biogeographischen Herkunft“ zulässt, also von welchem Kontinent ein Mensch stammt. „Das Ergebnis ist nur dann ermittlungsrelevant, wenn die Analyse auf Menschen deutet, die ihrer Herkunft nach eine Minderheit in Deutschland sind.“ Werde das „unsensibel kommuniziert, dann werden Vorurteile bedient“.
Außerdem werden diese Minderheiten dann statistisch häufiger mit Ermittlungsverfahren überzogen als andere Bevölkerungsgruppen. „Das allein ist schon ein erheblicher Grundrechtseingriff, selbst wenn die Leute am Ende freigesprochen werden.“ Momsen hält es daher durchaus für möglich, dass die Verfassungsrichter zumindest die Ermittlung der biogeographischen Herkunft per DNA-Analyse ausschließen. Damit werde zu sehr in Gleichbehandlungsrechte eingegriffen.
Trotz der juristischen Unwägbarkeiten: In einem zukünftigen Strafprozess könnte das Ermittlungsergebnis einer erweiterten DNA-Analyse, die das neue PAG ermöglicht, wahrscheinlich verwendet werden, sagt Momsen, „wenn es als Gefahrenabwehrmaßnahme formal legitim erhoben worden ist.“
Auf Tagesspiegel Causa können Sie Argumente von Experten für und gegen die erweiterte DNA-Analyse nachlesen: Vom Erbgut zum Phantombild - ein nötiger Tabubruch?