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Ausrufezeichen. 1967 fordern Studierende auf dem Kurfürstendamm den Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz. Ganz rechts steht Gudrun Ensslin.
© ullstein bild - Binder

RAF und die Studienstiftung: Aus Stipendiaten wurden Terroristen

Die Studienstiftung förderte einst Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und andere spätere RAF-Größen. Jetzt arbeitet die Studienstiftung ihre Geschichte auf.

Von Intuition bestimmt sei sie, auch und vor allem ein emotionaler Mensch, „Konflikte mit Autoritäten sind vorprogrammiert“. So hat ein Stuttgarter Psychologe einst Gudrun Ensslin beurteilt. Seine Einschätzung stammt aus einer Zeit lange vor den Brandanschlägen und Banküberfällen, an denen die Pfarrerstochter später als RAF-Mitglied beteiligt war. Heute wirkt der Satz euphemistisch.

Ensslin studierte und wollte sich von der Studienstiftung des Deutschen Volkes fördern lassen. Auch ihr damaliger Lebensgefährte Bernward Vesper sowie Ulrike Meinhof und Horst Mahler wollten eine Förderung und bekamen sie auch. Nun wurden diese besonderen Stipendiaten und ihr Verhältnis zur Studienstiftung zum ersten Mal genauer untersucht.

Der Historiker Alexander Gallus von der Universität Rostock hat Einblick in jene Akten bekommen, die bislang weitgehend Anwälten und Stiftungsmitarbeitern vorbehalten waren. Anlässlich der Verabschiedung des langjährigen Stiftungspräsidenten Gerhard Roth stellte Gallus jetzt erste Ergebnisse vor.

„Vor allem bei Ensslin ergibt sich ein abweichendes Bild gegenüber bisherigen Darstellungen. Statt als kalter Racheengel wird sie als gefühlsbetonter Mensch beschrieben, da muss es später einen Bruch gegeben haben“, sagt Gallus. Die Aussagen stützen sich überwiegend auf schriftlich fixierte Beurteilungen von Vertrauensdozenten. Diese sollten die Stipendienanwärter auf ihre geistige und emotionale Tauglichkeit testen. Die politische Gesinnung wurde nicht geprüft.

Ensslin bildet noch aus einem anderen Grund einen Sonderfall in der prominenten Gruppe: Sie brauchte für die Aufnahme gleich drei Anläufe. Attestierten ihr einige Dozenten, sie habe „kein logisches Denkvermögen“, lobten andere ihre „phrasenlose Echtheit“ und „Authentizität“. Ensslin studierte Anglistik, Germanistik und Pädagogik in Tübingen, später Germanistik in Berlin, zwischendurch ließ sie sich zur Grundschullehrerin ausbilden. Dass ihre Studien letztlich scheiterten, wertet Gallus als entscheidenden Einfluss auf ihre Persönlichkeit, er spricht von einer „enormen Misserfolgsbelastung“.

Insgesamt zeichnet der Bericht das Bild von frühreifen, getriebenen, hochintelligenten jungen Menschen. Sie erscheinen als leistungsbereite Nonkonformisten, die auf der Suche nach sich selbst die Gesellschaft in Sippenhaft nahmen. Hat die Studienstiftung bei der Auswahl versagt, hätte man die extremistischen Tendenzen bemerken können? „Wir müssen das Risiko ertragen, wenn wir nicht nur angepasste Leute haben wollen. Man konnte es schlicht nicht wissen“, verteidigt der scheidende Stiftungspräsident Roth die damalige Auswahl. Dass aus einigen Studienstiftlern Terroristen wurden, hätte sich für spätere Bewerber kaum ausgewirkt, sagt auch Gallus. Allenfalls seien „danach schon mehr Zweifel gekommen, wenn jemand einen bekannten Querkopf vorgeschlagen hat“. Es gehört wohl zur Ironie dieser Geschichte, dass ausgerechnet Horst Mahler den Auswahlgremien damals als der am wenigsten auffällige Bewerber vorgekommen war. „Vielseitig begabt“, mit einem „guten Gespür fürs Wesentliche“. So wird der spätere Links-Rechts-Extremist beschrieben. Als Einziger der jetzt Untersuchten schaffte er einen regulären Universitätsabschluss in Jura.

Das Märchen, wonach RAF-Größen aus wohlbehüteten Familien stammten, hat die moderne Geschichtsschreibung schon lange widerlegt. Auch die Protokolle der Studienstiftung zeigen eher zerrüttete Verhältnisse. Horst Mahlers Vater starb, als er 13 war, Ensslin hatte einen depressiven Bruder, der sich später das Leben nahm. Die urteilenden Professoren waren von jungen Bewerbern fast durchweg angetan. Am radikalsten empfanden sie noch Bernward Vespers Lebensentwurf, am Ende war er der einzige der vier, der kein bekennender Extremist wurde. Doch auch Vesper, Sohn eines bekannten NS-Dichters, Autor des legendären 68er-Romans „Die Reise“ und erfolgloser Verleger, beendete sein Leben mit einem Selbstmord.

Gallus benutzt mehrfach das Wort „Giftschrank“, wenn er von den Akten der prominenten Alumni spricht. Wenn der Historiker im kommenden Jahr seine Studie als Buch präsentiert, könnte er sich neben Autoren wie Gerd Koenen positionieren. Dessen detaillierte Recherche „Vesper, Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus“ diente gerade als Basis für den Kinofilm „Wer, wenn nicht wir“, in dem die Geschichte von Ensslins und Vespers Liebe und Radikalisierung erzählt wird. An deren Ende befreien Ensslin, Meinhof und andere Andreas Baader – es ist die Geburtsstunde der RAF.

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