130 Jahre Urania: Auf Humboldts Spuren
Die Archäologie erschließt Millionen Jahre Menschheitsgeschichte. Und erklärt so Ursachen heutiger Entwicklungen.
Als Alexander von Humboldt im Wintersemester 1827/28 seine berühmten Kosmos-Vorlesungen hielt, war dafür Berlins größter Saal nötig, die Singakademie, das heutige Gorki-Theater. Von der Hofgesellschaft bis zu den einfachen Bürgern lauschten alle der einmaligen systematischen Übersicht über die Erkenntnisse der Naturkunde, die Humboldt in langen Jahren der Forschung und auf seinen Reisen gewonnen hatte. Er war der erste Wissenschaftler, der den Kreis der Akademiker verließ und seine Ergebnisse einem breiten Publikum vorstellte. Es folgte die Auflage an die Berliner Astronomen, die Sternwarte für die Öffentlichkeit zu öffnen. Die Idee der Urania war geboren und wurde 1888 umgesetzt.
Wenn wir nun 130 Jahre Urania begehen können, wollen wir dies nicht ohne Hinweis auf diese Humboldtschen Traditionen tun. Es ist allgemein anerkannt, wie wichtig Bildung für den Fortschritt einer Gesellschaft ist, aber auch wie sehr die Wissenschaft in den Dialog mit der Öffentlichkeit treten muss, damit ihre Erkenntnisse die möglichen Wirkungen entfalten können. Wie die Urania eine Idee Humboldts ist, so sieht sich das im Entstehen begriffene Humboldt-Forum in der Tradition des großen Forschers, die Fülle des Wissens als Gesamtbild der Welt zu verstehen und dabei den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Das verändert den Blick auf die Präsentation der riesigen Mengen an Überliefertem, auf Ausstellungen und Präsentationen.
Man sieht das gut am Fachgebiet der Archäologie, eigentlich eines der typischen kleinen akademischen Fächer, das versucht, unser Wissen über längst vergangene Zeiten Stück für Stück wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Doch mit der Archäologie erschließt sich die Entwicklung der Menschheit in einer Weise, die nicht nur historische Ereignisse besser verstehen lässt, sondern weit in die Ursachenforschung heutiger Entwicklungen eingreift.
Die Vergangenheit entschlüsseln
Millionen Jahre Menschheitsgeschichte lehren uns das Staunen über die Rätsel der Vergangenheit. Archäologen helfen mit immer weiter verfeinerten Methoden, etwa modernen Genuntersuchungen, wichtige Weg- und Wendemarken in der Entwicklung des Menschen zu erkennen und besser zu verstehen. Sie führen uns auf den Spuren des Homo sapiens von Afrika aus durch alle Kontinente, Zeiten und Kulturen – vorbei an den Feuern der Eiszeitjäger und Höhlenmaler, durch die ältesten Tempelbezirke und Städte der Menschheit, zu den Pyramiden der Ägypter und den Palästen der Mykener und weiter durch das Imperium Romanum, das Karolingerreich und die Städte des Mittelalters bis in die Neue Welt und schließlich auf die Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts und zu den Raubgrabungen unserer Tage im Irak.
Folgt man den Spuren Humboldts, so gilt es die Entwicklung ganz unterschiedlicher Kulturen zu vergleichen, Wechselwirkungen zu verstehen und dieses Gesamtbild der Menschheitsentwicklung vielen Menschen zu erschließen. Das ist das Ziel des Humboldt-Forums mit seinen ethnologischen Sammlungen.
Bei allen Sammlungen von Wissen ändern sich mit neuen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen die Sichtweisen und Anforderungen an zeitgemäße Präsentation. Das betrifft nicht nur die Auswahl von exemplarischen Objekten zur Darstellung der kulturellen Besonderheiten auf unserer Erde, es geht hinein in die Geschichte der Gewinnung dieser Erkenntnisse, der Art des Sammelns bis hin zur Frage des Eigentums an Ausstellungsstücken und die Bewertung indigener Kulturen auf anderen Kontinenten. Diese Diskussion ist beim Humboldt-Forum in vollem Gang und wird mit seiner Eröffnung wohl ständiger Bestandteil der Arbeit dieses größten deutschen Kulturzentrums bleiben.
Die Gegenwart verstehen
Aber wir wären nicht auf Humboldts Spuren, wenn wir es bei der Diskussion um Sammlungsstücke beließen. Der Diskurs ist viel umfassender und betrifft alle Bereiche wissenschaftlicher Arbeit, ob moderne Großgeräte zur Erforschung der Teilchenstruktur der Materie, Klimaforschung oder personalisierte Medizin. Es gibt keinen Bereich der Wissenschaften, der sich nicht der Diskussion um seine gesellschaftliche Relevanz, seinen Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt und vor allem seine Verantwortung für die Weiterentwicklung unserer Zivilisation stellen müsste. Aber abgesehen von der Frage nach der Belastbarkeit von Informationen in Zeiten alternativer Fakten braucht es den direkten Austausch von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Wissenschaftsmuseen sind dafür besonders geeignet, denn Sie verbinden eigene Forschungen mit modernen Präsentationen ihrer Erkenntnisse.
Hier sind wir wieder bei der Urania. Sie ist als unabhängiger Ort der persönlichen Begegnung von Wissenschaftlern und der interessierten Öffentlichkeit ein besonders wichtiger Ort, um Unkenntnis und Zweifeln, Fehlinterpretationen und Falschdarstellungen auf allen Wissensgebieten zu begegnen. Der Schlüssel zum Erfolg ist wie immer Wissen. Ohne Kenntnisse der Fakten und Hintergründe, der Daten und Quellen ist ein sicherer Umgang mit den komplexen Szenarien unserer Gegenwart nicht möglich. Und hier können wir uns auf einen herausragenden Berliner berufen – gleich ob Forum oder Urania: auf Alexander von Humboldt.
Der Autor ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dieser Text erschien zuerst am 4. März 2018 in der gedruckten Beilage „130 Jahre Urania“ des Tagesspiegels.
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