Rhythmen des Klimas: Auf der Erde war es meist eher heiß als kalt
Kurze Geschichte des Klimas (1): Wie die Erde zu ihrer Atmosphäre kam - und warum meist Treibhaushitze vorherrschte.
Alle reden vom Klima. Auch die Stammtische. „Klimawandel? Ja und? Hat es doch immer schon gegeben, seit die Erde sich dreht.“ Stimmt. Während ihrer 4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte hat die Erde tatsächlich schon so manchen Klimawandel erlebt. Doch wer glaubt, der von der menschlichen Zivilisation eingeleitete Klimawandel wäre nur ein Klimawandel wie jeder andere auch und damit als harmloses Naturereignis abgehakt, der irrt sich in dreifacher Hinsicht: Auch bisher schon war jeder größere Klimawandel gefährlich für das irdische Leben. Dieses Mal aber trifft er einen dicht bevölkerten Planeten mit einer hochentwickelten Zivilisation, die sich genau angepasst hat an die herrschenden Klimabedingungen. Und die ändern sich so schnell wie nie zuvor in der Erdgeschichte.
Von welcher Art Klimawandel reden wir überhaupt? Durch die Köpfe geistern viele Versionen und werden je nach Wissen und Bedarf aus dem Argumente-Hut gezaubert. Gerne angeführt als Beispiel einer natürlichen Klimaschwankung wird die „Kleine Eiszeit“ ab dem 13. Jahrhundert. Im Buch der Klimageschichte ist sie mit ihrer kurzen Dauer von einigen hundert Jahren und durchschnittlich ein bis zwei Grad geringeren Temperaturen allerdings nur eine Fußnote.
Die "Kleine Eiszeit" stiftete Unruhen
Immerhin aber lässt sie erahnen, wie schon ein kleiner Klimawandel zum Katalysator werden kann für große politische und gesellschaftliche Verwerfungen. Das raue Klima zog Missernten und Hungersnöte nach sich, schürte Hexenhysterie und Judenpogrome. Auch zum Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs hat die Kleine Eiszeit vermutlich beigetragen als Treibsatz für die Zündung des explosiven Gebräus aus religiösen Konflikten, sozialen Spannungen und politischen Interessen, das sich am Beginn des 17. Jahrhunderts angesammelt hatte.
Geringe Klimaschwankungen wie die Kleine Eiszeit ausgenommen, befindet sich die Erde seit rund 12 000 Jahren in einer relativ stabilen Phase ihrer Klimageschichte. In diesem mehr oder weniger gleichbleibend milden Klima konnte sich unsere moderne Zivilisation entwickeln.
Auch in Berlin finden wir jedoch zahlreiche Zeugen aus viel kälteren Zeiten in Gestalt von gewaltigen Felsbrocken. Ein solcher Findling ist zum Beispiel der „Große Stein“, der in Französisch Buchholz besichtigt werden kann. Und auch die riesige Granitsteinschale im Lustgarten vor dem Alten Museum, die größte Steinschale der Welt, wurde aus einem Findling herausgesägt, der ursprünglich 700 Tonnen gewogen hatte.
Schon Goethe wunderte sich im zweiten Teil des „Faust“ über die Herkunft der Findlinge:
Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen
Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht?
Doch entgegen der Goethe’schen Skepsis fanden Forscher wie der Schweizer Louis Agassiz schon um das Jahr 1840 heraus, wer die Gesteinsbrocken aus Skandinavien in die Norddeutsche Tiefebene geschleppt hatte: Gletscher, die sich während der vergangenen Jahrhunderttausende immer wieder weit nach Süden vorgeschoben hatten. Gelegentlich wurde das Klima aber auch wieder wärmer, die Gletscher zogen sich wieder zurück, die Findlinge blieben liegen.
Die Spuren dieser abwechselnd kalten und warmen Klimaphasen sind gespeichert in den Eispanzern der Polarregionen, die sich Schicht um Schicht abgelagert haben. Die kilometerlangen Eisstangen, welche die Forscher aus den Eisschilden Grönlands und der Antarktis herausgebohrt haben, sind Klimatagebücher, aus denen man den Verlauf des Klimas während der vergangenen 800 000 Jahre herauslesen kann.
Wir leben noch immer in einer Eiszeit
Das überraschende Ergebnis: Diese Klimawechsel folgten einem regelmäßigen Rhythmus. Rund 80 000 Jahre lang war es jeweils sehr kalt gewesen, danach 20 000 Jahre lang deutlich wärmer, danach wieder 80 000 Jahre lang kalt – und so weiter. Schon um 1920 herum hatte der serbische Wissenschaftler Milutin Milancovic den mutmaßlichen Mechanismus dieser regelmäßigen Klimaschwankungen beschrieben. Sie folgten regelmäßigen Änderungen der Form der Bahn der Erde um die Sonne und der Lage der Erdachse. Und dadurch pendelte das Klima während der vergangenen Jahrhunderttausende regelmäßig hin und her zwischen langen Kaltzeiten und kürzeren Warmzeiten. Die bisher letzte dieser Warmzeiten begann vor 12 000 Jahren. Die Erwärmung um durchschnittlich sechs bis acht Grad bedeutete aber keinesfalls, wie vielfach behauptet, „das Ende der Eiszeit“. Denn die Polarregionen blieben weiterhin stets von Eis und Schnee bedeckt. Wir leben also nach wie vor in einer Eiszeit, wenn auch seit 12 000 Jahren in einer ihrer milden Phasen.
Diese Eiszeit begann vor einigen Millionen Jahren. Die gesamte Entwicklung der Gattung Mensch, angefangen von unseren fernen Vorfahren in Afrika bis zur modernen technischen Zivilisation hat sich also in einer Eiszeit abgespielt. Aber nur die vergangenen 800 000 Jahre innerhalb dieser Eiszeit können wir detailreich beschreiben. Denn weiter reichen die Eisbohrkerne zeitlich nicht zurück, aus denen wir die Milancovic-Zyklen mit ihren Warm- und Kaltphasen herauslesen konnten. Die Klima-Archäologen haben jedoch durchaus auch Relikte aus viel älteren Zeiten gefunden, in denen das jeweils herrschende Klima mehr oder weniger deutliche Spuren hinterlassen hat: Fossilien, Sedimente, Isotopenverhältnisse von Atomkernen. Aus vielen solcher Klima-Indizien schälte sich allmählich heraus, welches Klima herrschte, ehe vor einigen Millionen Jahren unsere aktuelle Eiszeit begann. Davor war das globale Klima der Erde 250 Millionen Jahre lang viel wärmer gewesen. Selbst die beiden Polarregionen der Erde waren während dieser langen Zeit vollkommen eisfrei.
Ohne Treibhausgase wäre die Erde ein Eisplanet
Mit dieser langen eisfreien Heißzeit und der folgenden und auch heute noch herrschenden Eiszeit mit eisbedeckten Polen haben wir auch schon die beiden globalen grundsätzlichen Klimatypen vorgestellt, die seit jeher abwechselnd die Klimageschichte der Erde geprägt haben. Es ist eine Geschichte von aufeinanderfolgenden Heißzeiten und Eiszeiten. Insgesamt überwogen jedoch deutlich die Heißzeiten.
Mindestens 80 Prozent der gesamten Erdgeschichte lang waren selbst die beiden Pole frei von Eis und Schnee. Und zwar von Anfang an. Erstaunlich. Denn nachdem das Sonnensystem mit der Sonne und ihren acht Planeten sich vor 4,6 Milliarden Jahren gebildet hatte, leuchtete unser Zentralgestirn noch deutlich dunkler als heute. Ohne weiteren wirksamen Klimafaktor wäre die Erde ein Eisplanet geworden mit globalen Durchschnittstemperaturen von weit unter null Grad.
Tatsächlich jedoch schwappte schon bald flüssiges Wasser über ihre Oberfläche, in dem sich die ersten Formen von Leben bilden konnten. Im Laufe der Zeit wurde die Sonne zwar immer heller. Sie strahlt jetzt rund ein Drittel mehr Energie ab als in ihren Jugendjahren. Doch selbst heute noch könnte das Sonnenlicht allein die Erde nur erwärmen auf eine globale Durchschnittstemperatur von etwa 20 Grad unter null.
Den Vulkanen entströmte die Atmosphäre
In Wahrheit liegen sie aktuell – in einer Eiszeit! – im erdweiten Mittelwert bei plus 15 Grad. Denn zum Glück hat sich die Erde eine zusätzliche Wärmedecke geschaffen. Schon bald nach der Entstehung der Erde öffneten sich in ihrer abkühlenden Kruste zahllose Vulkane. Die Gase, die aus ihnen strömten, legten sich allmählich als Atmosphäre um die Erde. Darunter befand sich auch das Gas, das die Klimageschichte der Erde mitgestalten würde wie kein anderes: Kohlendioxid. Und erst dank des Treibhauseffekts von Kohlendioxid und anderer Treibhausgase in der Erdatmosphäre verwandelte sich die Erde trotz schwacher Sonne in einen lebensfreundlichen Planeten mit Temperaturen, die fast überall weit über dem Gefrierpunkt von Wasser liegen.
Immer wieder wurde das überwiegend warme bis heiße Erdklima von deutlich kälteren Eiszeiten unterbrochen. An der Sonne kann dies nicht gelegen haben. Denn die wurde stetig heller. Deshalb haben die Klimaforscher nach irdischen Ursachen für die Eiszeiten gesucht. Und auch gefunden. Eine Eiszeit wird dadurch eingeleitet, dass der Atmosphäre mehr Kohlendioxid entzogen wird, als die Vulkane wieder nachliefern können.
Verwitterndes Gestein regelt das globale Klima
Für einen solchen Kohlendioxid-Entzug gibt es viele natürliche Möglichkeiten. Chemische Verwitterung zum Beispiel. Weil Regenwasser immer etwas Kohlendioxid aus der Luft aufgenommen hat, weicht es buchstäblich Steine auf. Als Ergebnis der Verwitterung von Silikat-Gestein bildet sich Kalkstein. Der Klima-Clou dabei: Das Kalksediment speichert Kohlenstoff, der vorher in Kohlendioxidmolekülen durch die Atmosphäre geschwirrt war. Die Verwitterung von Silikatgestein entzieht der Atmosphäre also Kohlendioxid samt seinem Treibhauseffekt. Überraschenderweise beließ die Verwitterung fast immer gerade so viel Kohlendioxid in der Atmosphäre, dass sein Treibhauseffekt stets mehr oder weniger gut zur heller werdenden Sonne passte. Denn die Verwitterung regelt das globale Klima wie ein Thermostat. Wenn es warm ist, verwittern die Gesteine schneller und der Atmosphäre wird viel Kohlendioxid entzogen. Dadurch nimmt der Treibhauseffekt ab. Es wird kälter, die Verwitterung geht zurück und damit ihr Kohlendioxidentzug. Die Vulkane gewinnen wieder die Oberhand und füllen die Atmosphäre mit Kohlendioxid. Es wird wärmer, und so weiter.
In diesem Wechselspiel zwischen Kohlendioxidentzug durch Verwitterung und dem Kohlendioxidausstoß aus Vulkanen pendelte das Erdklima langsam in Zeiträumen von vielen Millionen Jahren hin und her zwischen wärmeren und kälteren Zeiten. Echte Eiszeiten aber mit vereisten Polen blieben dabei eher die Ausnahme. Während der ersten vier Milliarden kam es wohl nur zu einer größeren Vereisung.
Doch schon die zweite Eiszeit, in die der Verwitterungsthermostat die Erde vor rund 700 Millionen Jahren hineinregelte, wäre fast eine ewige Eiszeit geworden. Die Erde verwandelte sich in einen Schneeball. Was war geschehen?
Den zweiten und letzten Teil lesen Sie am Dienstag, den 1. August auf dieser Seite.